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Von zerbrochenen Siegeln in alten Gemäuern: Archäologische Funde im ehemaligen Kloster Kaltenborn

August 2025

Am 18. August 2025 beginnt die dritte und voraussichtlich vorerst letzte Grabungskampagne (Abbildung 1) am ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn (Allstedt). In den letzten drei Jahren erbrachten die Forschungen an diesem Fundplatz nicht nur zahlreiche neue Erkenntnisse, sondern auch herausragende Fundstücke. Einige davon wurden bereits als ›Fund des Monats‹ vorgestellt. Grund genug also, nun auf zwei weitere einzigartige Funde hinzuweisen, die beide momentan in der Kabinettausstellung ›Klöster. Geplündert. In den Wirren der Bauernaufstände‹ gezeigt werden. Es handelt sich um Fragmente der Typare (Siegelstempel) des Kaltenborner Propstes Heinrich und des Konvents der Chorherren von Kaltenborn.

Das Besiegeln und Versiegeln fand bereits in altorientalischen Kulturen Verwendung zur Beglaubigung und Authentifizierung von Schriftstücken. Siegelstempeln wurde allgemein als persönlichen Zeichen der siegelnden Person oder Institution häufig eine besondere, im Falle klerikaler Siegel zuweilen auch spirituelle, Bedeutung beigemessen. Mittelalterliche Siegel bilden dabei keine Ausnahme. Gleichzeitig sind Siegelstempel ausgesprochen seltene Fundstücke. Zwar hat der intensivierte Einsatz von Metalldetektoren bei archäologischen Grabungen und Geländeprospektionen in den letzten Jahrzehnten insgesamt zu einem deutlichen Anstieg der Zahl von Siegelfunden geführt, doch sind sie in Sachsen-Anhalt immer noch recht selten. Umso spannender ist es, dass es bei den Ausgrabungen im ehemaligen Augustiner-Chorherrenstift Kaltenborn gelang, sowohl das Fragment eines Propstsiegels als auch das Bruchstück eines Konventssiegels selbst zu bergen. Während sich die Verwendung von Siegelstempeln bis ins Hochmittelalter hinein hauptsächlich in päpstlichen und königlichen Urkunden nachweisen lässt, war das Besiegeln von Schriftstücken zum Zeitpunkt der Gründung von Kaltenborn um 1118 aufgrund der zunehmenden Schriftlichkeit bereits allgemein üblich geworden. Dabei folgen die Siegel in Form und Gestaltung einheitlichen Schemata, die sich auch in unseren beiden Siegelfragmenten erkennen lassen.

Das Propstsiegel

Klerikale Siegel des Mittelalters waren entweder rund oder, wie im Fall der Kaltenborner Propstsiegel, spitzoval beziehungsweise bikonvex. Aufgrund ihrer Funktion zur Beglaubigung mussten alle Siegel die siegelnde Person oder Institution eindeutig ausweisen. Mittelalterliche Typare nutzten dafür ein zentrales Siegelbild, das von einem umlaufenden Schriftband ergänzt wurde. Bei den vorliegenden Fragmenten lässt sich beides nur in Teilen erkennen. Das Fragment des Propstsiegels (Abbildung 2) zeigt im oberen Bereich einen Adler mit Heiligenschein. Dieser ist das Sinnbild des Evangelisten Johannes, dem das Stift Kaltenborn geweiht war. Seitlich darunter sind Turmspitzen zu erkennen. Dies ist ein übliches Abbildungsschema, das sich auch mit archivalisch überlieferten Siegelabdrücken aus Kaltenborn deckt und eine Rekonstruktion (Abbildung 3) des ehemaligen Siegelbildes ermöglicht. Mit großer Wahrscheinlichkeit zeigte es eine dreigeteilte Darstellung: Im oberen Bereich das Sinnbild des Evangelisten Johannes als Patron (dem Schutzheiligen) des Stifts, mittig eine typisch stilisierte Sakralarchitektur als Darstellung des Klosters selbst und unten eine Abbildung des siegelnden Propstes innerhalb eines stilisierten Portalbogens. Während ältere Siegelbilder oft einfacher gestaltet waren und beispielsweise nur den Patron oder die siegelnde Person darstellten, wurde diese komplexe, gestaffelte Darstellungsweise ab dem beginnenden 14. Jahrhundert immer häufiger. Auffällig ist die konkrete Darstellungsweise des Propstes, die sich auf erhaltenen Siegelabdrücken aus Kaltenborn nachweisen lässt: Er wird sitzend in vollem Ornat mit Stab und Buch gezeigt. Auch wenn diese Art der Darstellung nicht unüblich war, blieb sie doch überwiegend hochrangigen Amtsträgern vorbehalten und findet sich beispielsweise auf zahlreichen Bischofssiegeln. Würdenträger monastischer Einrichtungen stellten sich dagegen häufiger kniend und betend dar.

Möglicherweise sehen wir hier einen Hinweis auf die herausgehobene Stellung des Stifts Kaltenborn in der Region. Denn durch Schenkungen war es im Laufe der Jahrhunderte zu großem Grundbesitz sowie zu entsprechenden Reichtum und Einfluss gekommen. Spätestens ab dem 14. Jahrhundert verwalteten die Kaltenborner Pröpste als Archidiakone etwa 60 Pfarrstellen. Es war nicht ungewöhnlich, dass Pröpste größerer Stifte über umfangreiche Machtbefugnisse in ihren Wirkungsbereichen verfügten und teilweise sogar in Konkurrenz zu Bischöfen traten. Entsprechend besaßen einige Pröpste spätestens ab dem 14. Jahrhundert das Privileg, Krummstäbe zu tragen. Diese waren zuvor ausschließlich Bischöfen und Äbten besonders einflussreicher Klöster vorbehalten, finden sich unter anderem aber auch in den Darstellungen einiger der erhaltenen Kaltenborner Propstsiegel. Das entsprechende Selbstbewusstsein zeigt sich in der Umschrift unseres Siegelstempels, die sich wie folgt rekonstruieren lässt:

»S(igillum) HI(n)RI[CI DII GR(ati)A P(re)P(osit)I (et) ARCHID(iaconi) I(n) KALD]E(n) BRV(n)NE«

»Siegel Heinrichs, von Gottes Gnaden Propst und Archidiakon in Kaltenborn«

Für die Jahre 1307 sowie 1503 und 1504 sind Klostervorsteher mit dem Namen Heinrich belegt. Die verwendete gotische Majuskelschrift spricht für eine Datierung in die Zeit vor der Mitte des 14. Jahrhunderts. Demnach erscheint es wahrscheinlicher, dass es sich um den Typar des im Jahr 1307 erwähnten Propstes handelt. Die fragmentarische Erhaltung erschwert jedoch eine genaue Zuordnung.

Es ist davon auszugehen, dass das Typar nach dem Tod des Propstes gezielt zerbrochen wurde, um einen späteren Missbrauch zu verhindern. Der Brauch, dem verstorbenen Amtsträger die unbrauchbar gemachten Siegelstempel mit ins Grab zu legen, lässt sich bis ins 12. Jahrhundert zurückverfolgen und in zahlreichen Fällen nachweisen. Man entsorgte die zerschlagenen Siegelstempel aber auch in Abfallhaufen, Latrinen und an ähnlichen Orten, wo eine Wiederentdeckung durch Unbefugte unwahrscheinlich war. Da der Fund mithilfe eines Metalldetektors vom ehrenamtlich Beauftragten Thomas Rymer im südöstlichen Bereich des ehemaligen Klosterareals gefunden wurde, kann über die primäre Deponierung keine gesicherten Aussagen getroffen werden.

Die üblichen Legierungen spätmittelalterlicher Buntmetallsiegel variieren stark. Während das geborgene Konventssiegel aus einer vergleichsweise reinen Messinglegierung mit geringen Zinn- und Bleianteilen besteht, entspricht die Zusammensetzung des Propstsiegels eher der eines Rotgusses. Gemeinsam ist beiden Typaren, dass Schrift und Motive durch Gravur gefertigt wurden. Bis ins 14. Jahrhundert wurden fast alle Siegelstempel auf diese Weise von spezialisierten Siegelschneidern hergestellt. Ab dem 15. Jahrhundert löste das Punzen beziehungsweise Prägen diese ältere Methode zunehmend ab und dominierte spätestens ab dem 16. Jahrhundert. Dies ist ein weiteres Indiz dafür, eher eine Datierung ins 14. Jahrhundert anzunehmen.

Das Konventssiegel

Im Gegensatz zu den personenbezogenen Siegeln einzelner Amtsträger wurden institutionelle Siegel oft über Jahrhunderte hinweg verwendet. Die Stempel selbst wurden nur äußerst selten ausgetauscht, beispielsweise bei Beschädigung oder wenn besondere Umstände Änderungen am Siegelbild erforderlich machten. Im Falle des Konventssiegels (Abbildung 4) ist daher eine lange Verwendungszeit anzunehmen. Die Praxis, wichtige Urkunden doppelt zu beglaubigen, indem sowohl der Konvent als auch der Propst je ihr eigenes Siegel anhängten, lässt sich für Kaltenborn ab dem frühen 14. Jahrhundert nachweisen.

Das Konventssiegel zeigt einen Adler mit Heiligenschein. Etwa ein Drittel des Siegelbildes ist erhalten. Glücklicherweise verfügen wir aber über eine Abbildung aus dem 18. Jahrhundert, die die vollständige Rekonstruktion des Siegelbildes (Abbildung 5) ermöglicht. Auch hier haben wir eine sinnbildliche Darstellung des Evangelisten Johannes als Patron des Stifts vor uns. Solche Darstellungen sind auf Konventssiegeln nicht untypisch. Ein Vergleich wäre beispielsweise das Siegel des Stifts Waldhausen (Oberösterreich), das eine sehr ähnliche Abbildung (Abbildung 6) zeigt und in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts datiert werden kann. Es ist jedoch im Gegensatz zum runden Kaltenborner Konventssiegel spitzoval geformt. Die Umschrift des Kaltenborner Konventssiegels lässt sich wie folgt rekonstruieren:

»[SIGILL(um) S(an)C(t)I IOH(ann)IS EW(angelista) IN C]ALDENBVRN«

»Siegel des heiligen Johannes des Evangelisten in Kaltenborn«

Im Spätmittelalter war es nicht unüblich, im Namen von Heiligen zu siegeln, wodurch den so bestätigten Dokumenten zusätzliches Gewicht verliehen wurde. So wird auch hier das Selbstbewusstsein der Kaltenborner Chorherren deutlich, das mit einem entsprechenden Herrschaftsanspruch in ihren Besitzungen verbunden gewesen sein dürfte. Den historischen Umbrüchen des beginnenden 16. Jahrhunderts entging jedoch auch Kaltenborn nicht.

Im Jahr 1517 bestand der Konvent von Kaltenborn aus nur noch 23 Personen. Zu diesem Zeitpunkt müssen bereits mehrere Chorherren aus dem Stift ausgetreten sein. Dies geht zumindest aus den späteren Berichten von Johann Siebenrodt hervor, der im Oktober 1524 zum neuen Propst gewählt wurde, als im Kloster bereits Mangel und Zerfall herrschten: Es gab keinen Biervorrat, zu wenig Holz und kein trockenes Gebäude zur Lagerung von Getreide; einige Untertanen verweigerten bereits die Zahlung üblicher Abgaben. Im folgenden Jahr wurde das Stift gleich zwei Mal gestürmt: Am 4. April wurde das Stift im Rahmen einer Fehde überfallen. Dabei kam es zum Raub von Vieh, zu Brandschatzung und großem Schaden an zahlreichen Wirtschaftsgebäuden. Am 30. April plünderten Bauern der nahegelegenen Dörfer Riestedt und Emseloh das Kloster. Kaltenborn war eines von rund 300 Klöstern, die während des Bauernkriegs im mitteldeutschen Aufstandsgebiet zerstört wurden.

Trotz intensiver Bemühungen, das Stift wiederherzustellen, lebten um 1538 nur noch vier Chorherren in Kaltenborn. Als einer von ihnen, Jakob Bechstein, der als Senior bezeichnet wurde, verstarb, wurde am 11. November 1538 in Sangerhausen die Auflösung des Stifts beschlossen. In einem solchen Fall war es üblich, auch das Konventssiegel unbrauchbar zu machen. Tatsächlich sind am geborgenen Fragment des Siegels deutliche Werkzeugspuren sichtbar, die ein gezieltes Zerbrechen belegen. Dies war keinesfalls ein alltäglicher Vorgang, sondern eine amtliche Handlung, der wahrscheinlich hochrangige Zeugen beiwohnten. Es ist gut möglich, dass das Kaltenborner Konventssiegelfragment, das sich in einer Brand- und Schuttschicht (Befund 200) im Ostflügel der Klausur fand, ein unmittelbares Zeugnis vom Ende des Stifts im Zuge von Bauernkrieg und Reformation darstellt.

Text: Paul Globig, Felix Biermann, Gerrit Deutschländer
Online-Redaktion: Sarah Krohn

Literatur

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