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Breitenbach: Als die Kunst nach Sachsen-Anhalt kam

November 2025

Allgemein wird das Auftreten des anatomisch modernen Menschen mit dem Beginn des Jungpaläolithikums vor rund 40.000 bis 35.000 Jahren gleichgesetzt. Die Periode ist durch zahlreiche technische und kulturelle Neuerungen gekennzeichnet. So erhält die schon dem Neandertaler bekannte Klingentechnik in der Steinbearbeitung eine besondere Stellung, auch die zuvor nachgewiesene Verwendung von Knochen und anderen organischen Materialien als Rohstoff für die Geräteherstellung erreicht neue Dimensionen. Im Jungpaläolithikum werden diese Techniken präzisiert, verfeinert und zu einem speziellen Grad der Standardisierung geführt. Gleiches kann zum künstlerischen Ausdruckswillen gesagt werden. Bereits der Neandertaler oder seine Vorfahren schufen gelegentlich Ritzungen auf Knochen oder Stein, die keine signifikante Funktion erkennen lassen und die im Sinne von non-utilitarian objects, also „nicht nutzbaren Stücken“ einen ersten künstlerischen Gedanken wiedergeben. Doch erst mit dem anatomisch modernen Menschen entfaltet sich die Kunst in ihrer vollen Bandbreite und äußert sich in Höhlen- und Felsmalereien, figürlichen oder abstrakten Ritzungen auf transportablen Gegenständen oder als herausmodellierte Plastiken aus Knochen, Elfenbein und gar Ton.

Fundstellen des Jungpaläolithikums sind in Sachsen-Anhalt relativ häufig nachgewiesen. Dessen Beginn ist aber nur punktuell fassbar. Eine herausragende Stellung nimmt hier Breitenbach im Burgenlandkreis ein. Der Fundplatz liegt auf einem Geländesporn nördlich der Scheidemühle, südwestlich öffnet sich ein Talkessel, den der Bach Aga für seinen Abfluss Richtung Weiße Elster nutzt. Mit einer Ausdehnung von mehr als 7.000 Quadratmeter stellt die Fundstelle eine der größten Freilandstationen jener Zeit dar. Erste archäologische Untersuchungen fanden bereits kurz nach der Entdeckung Mitte der 1920er-Jahre statt und erfassten gut 400 Quadratmeter. Hierbei kam nicht nur ein typisch aurignacienzeitliches Artefaktinventar zu Tage, auch wurde eine mit parallelen Ritzlinien versehene Rippe eines Großsäugers entdeckt (Abbildung 1), ebenso wie einzelne durchbohrte Eckzähne des Polarfuchses. Im Zeitraum von 2009 bis 2019 zeichnete das Römisch-Germanische Zentralmuseum (RGZM) verantwortlich für die Untersuchung des Fundplatzes. Im Ergebnis konnte u. a. eine Elfenbeinwerkstatt mit zahlreichen lokal konzentrierten Lamellen dokumentiert werden Zudem fanden sich mehrere markant geformte Elfenbeinbruchstücke, die auf eine einst vollständige Venusfigur zurückgehen. Alle genannten Fundobjekte repräsentieren die ältesten künstlerischen Erzeugnisse des anatomisch modernen Menschen in Sachsen-Anhalt. 

Zwischen diesen beiden Grabungen erfolgten in den Jahren 2004 und 2005 Sondierungen seitens der Humboldt-Universität Berlin (Abbildung 2). Auch diese lieferten einige interessante Ergebnisse bezüglich des frühen Jungpaläolithikums im Bundesland. Hauptsächliches Ziel war es, die bei den älteren Grabungen gewonnenen Erkenntnisse zur Schichtenabfolge zu überprüfen. Hierfür wurden – verteilt über den Geländesporn – rund ein halbes Dutzend Baggerschnitte geöffnet und teilweise flächig untersucht. Für die aurignacienzeitliche Fundstelle von Breitenbach lassen sich mehrere Fundhorizonte differenzieren, die in ein Lösspaket eingelagert sind. Die hauptsächlichen Fundbereiche konzentrieren sich auf eine untere und eine obere Asche-Kohleschicht. Die untere stellt die Hauptfundschicht dar und zeichnet sich durch eine kompakt verfestigte Struktur aus Kohle, Asche, Knochen und Steinen aus. Zwischen beiden Bereichen streuen vereinzelt Funde. Durch die unterschiedliche Verteilung der Untersuchungsschnitte auf dem Geländesporn wurde erkannt, dass die Fundschichten nicht einheitlich ausgebildet sind und ihre Mächtigkeit von Nord nach Süd abnimmt.

In Anbetracht der nur wenig mehr als ein Dutzend flächig untersuchten Quadratmeter ist das Fundmaterial relativ umfangreich. Die kompakten Asche-Kohle-Schichten waren angereichert mit zahlreichen Knochen. Deren fundplatzbedingt nur mäßige Erhaltung drohte aber durch das Hochwasser 2013, infolge von Aufweichung der Fundkartons, weiteren Schaden zu nehmen. Insgesamt ist das überwiegende Material kleinstückig und kaum bestimmbar, doch fanden sich auch einzelne größere Objekte, die auf Wollhaarmammut, Wollnashorn, Wildpferd, Saiga, Ren (Abbildung 3) sowie Polarfuchs und Hase zurückgehen (Abbildung 4). Ein nicht unerheblicher Teil zeigt Hitzeeinwirkung, sekundär kommen häufig kalzifizierte Lössbedeckungen auf den Knochenoberflächen vor, die eine genauere Bestimmung mitunter erschweren. Ein Objekt trägt auffällige rötliche Färbungen, die ursprünglich als Ocker gedeutet wurden (siehe Abbildung 3 Nummer 4). Da diese aber die erst sekundär entstandenen Kalkkrusten bedecken, kann es sich auch um reine Eisenoxydbildungen handeln. Bei allen nachgewiesenen Arten handelt es sich um typische Offenlandbewohner der kaltzeitlichen Mammutsteppe. Der damals nur geringe Baumbestand wird zusätzlich dadurch indiziert, dass in den Ascheschichten zwar zahlreiche Brandspuren an den Knochen nachgewiesen sind, aber keine Holzkohle vorkommt. Hier lässt sich annehmen, dass die Knochen selbst als Brennmaterial dienten.

Allein über 2.800 Artefakte aus Feuerstein wurden gefunden. Der größte Teil umfasst hierbei kleine Abschläge, Absplisse und Lamellen, mitunter auch größere Klingen (Abbildung 5), hinzu kommen mehrere Kerne, die die Fertigung von Klingen und Lamellen nachweisen (Abbildung 6). Das Gerätespektrum ist eher arm. Markant sind mehrere Kappenkratzer, ebenso wie einzelne gezähnte Stücke (Abbildung 7). Die für das Fundinventar der früheren Grabungen in Breitenbach typischen variantenreichen Stichel fehlen aber weitgehend. Bei einigen der vor allem größeren Kappenkratzer kann angenommen werden, dass diese eventuell der Lamellenherstellung dienten und somit eher Kernen entsprechen, was zumindest Gebrauchsspurenanalysen an vergleichbarem Material andeuten. Mehreren Feuersteinartefakten haften Substrate an, die ersten Analysen zufolge auf Birkenpech zurückgehen. Damit lässt sich die schon aus dem Mittelpaläolithikum bekannte Klebertechnik, wie etwa von Königsaue, Salzlandkreis, ebenfalls im frühen Jungpaläolithikum belegen (Abbildung 8).

Herausragend sind die Funde einiger kleiner Knochenperlen. Es handelt sich hierbei um tonnenförmige Röllchen von maximal 2,5 bis 5 Millimeter Länge und 2,5 bis 3 Millimeter Durchmesser, die im fertigen Zustand eine längsgerichtete Durchlochung aufweisen (Abbildung 9). Ein nicht durchlochtes Stück besitzt in der Mitte eine umlaufende Rille. Möglich wäre es, hier eine Art Rohling anzunehmen, aus dem zwei gleich große Perlen gewonnen werden sollten. Alternativ ist auch eine Interpretation als Doppelperle denkbar, bei der die Rille der Aufschnürung diente und eine Durchlochung daher ausblieb (siehe Abbildung 9 Nummer 2). Die sich abzeichnende uniforme Größe zeigt eine standardisierte Herstellung der Objekte an. Unterstrichen wird dies durch ähnliche Objekte, die bei den Grabungen des RGZM entdeckt wurden und in diesem Fall stärker konzentriert in einem Werkplatzareal lagen.

Hierbei traten auch einzelne Elfenbeinstäbchen auf, eines davon von knapp 25 Millimeter Länge und mit quer orientierten Einkerbungen versehen (Abbildung 10). Offensichtlich wurden in dieser Form die Rohlinge vorbereitet und die einzelnen Perlen dann abgeschnitten. Die Durchlochung erfolgte demnach erst nach dem Abschneiden der Perlen. Für diesen Arbeitsschritt mussten die Einzelstücke längere Zeit im Wasser aufgeweicht werden, um dann mit einem filigranen Stechinstrument, eventuell einer harten Nadel eines Nadelbaumes, das kleine Loch bohren zu können. Vermutlich wurden die Schmuckobjekte auf der Kleidung aufgenäht getragen, wobei es eher unwahrscheinlich ist, dass es sich um „Alltagskleidung“ handelte. Eine mit tausenden Perlen ausgeschmückte Kleidung fand sich uter anderem mit mehreren Bestattungen in Sungir im nordwestlichen Russland, welches etwa zeitgleich zu Breitenbach datiert. Somit lässt sich für Breitenbach eine serielle Herstellung von knöchernen Perlen annehmen, deren Tragen besonderen Anlässen vorbehalten war. Gemeinsam mit den durchlochten Fuchszähnen gehören sie zu den ältesten Schmuckgegenständen im mittel- bis nordeuropäischen Tieflandsgebiet.

Text: Thomas Laurat
Online-Redaktion: Sarah Krohn

Literatur

O. Jöris/L. Moreau, Vom Ende des Aurignacien – zur chronologischen Stellung des Freilandfundplatzes Breitenbach (Burgenlandkreis) im Kontext des frühen und mittleren Jungpaläolithikums in Mitteleuropa. Archäologisches Korrespondenzblatt 40, 2010, 1–20.

O. Jöris/T. Matthies/P. Fischer, Am Rande der bewohnten Welt. In: H. Meller/Th. Puttkammer (Herausgeber.), Klimagewalten: Treibende Kraft der Evolution: Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale), 30. November 2017 bis 21. Mai 2018 (Halle [Saale] 2017) 319–328.

O. Jöris/T. Matthies/J. Gehler, Schmuck und Identität vor 34.000 Jahren. In: H. Meller/K. Gärtner (Herausgeber), Schönheit, Macht und Tod II. 275 Funde aus dem Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Halle [Saale] 2022) 80–81.

G. Pohl, Die jungpaläolithische Siedlung Breitenbach, Kreis Zeitz, und ihre bisherige Beurteilung. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, 178–190.

M. Porr, Menschen wie wir. Die Aurignacien-Fundstelle von Breitenbach. In: H. Meller (Herausgeber), Paläolithikum und Mesolithikum. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgesichte (Halle [Saale] 2004) 223–232.

J. Richter, Jungpaläolithische Funde aus Breitenbach/Kreis Zeitz im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Quartär: Jahrbuch für Erforschung des Eiszeitalters und der Steinzeit 37/38, 1987, 63–96.

J. Schäfer, Zur Stratigraphie und Geomorphologie am Aurignacien-Freilandfundplatz Breitenbach-Schlottweh. In: H. Meller (Herausgeber), Zusammengegraben - Kooperationsprojekte in Sachsen-Anhalt: Tagung vom 17. bis 20. Mai 2009 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale). Arch. Sachsen-Anhalt, Sonderband 16 (Halle [Saale] 2012) 19–26.

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