Der gestürzte Menhir – ein begrabenes neolithisches Monument in einer komplexen Grabenanlage bei Halberstadt
Januar 2025
Menhire, bretonisch für ›lange Steine‹, sind vom Menschen aufgerichtete, meist einzeln oder in kleinen Gruppen in der Landschaft stehende Steine. Die meisten wurden in der Jungsteinzeit vor 5000 bis 6000 Jahren gesetzt und besonders in der Bretagne kommen sie mancherorts in langen Reihen vor. Aber auch in Mitteldeutschland haben einige bis heute als steinzeitliche Relikte überdauert. Es ist davon auszugehen, dass die meisten in den vergangenen Jahrtausenden verloren gegangen oder sogar bewusst zerstört worden sind. Begonnen hat man damit bereits in der Jungsteinzeit. Der Neufund eines solchen Monumentes ist daher sehr selten und insbesondere von großer Bedeutung, wenn sich Hinweise auf den Umgang mit diesen schweren Steinen in prähistorischer Zeit gewinnen lassen.
Nordöstlich von Halberstadt (Landkreis Harz) liegt der Warmholzberg, eine mehrere Meter hohe Kuppe auf einem Hügel über dem Flüsschen Holtemme. Bereits vor über fünfzig Jahren, als die Luftbildarchäologie noch nicht etabliert war, hatte dort Adolf Siebrecht - der ehemalige Leiter des örtlichen Museums - im Getreide Strukturen entdeckt, die auf eine Grabenanlage im Untergrund hindeuteten. Er interpretierte sie als Reste der 1140 zerstörten Burg Witecke, die schon früher auf dem Warmholzberg vermeintlich lokalisiert worden ist (Ledebur 1834, 135). Die seit dem Beginn der 1990er Jahre erstellten Luftbilder offenbarten dann an dieser Stelle eine sehr komplexe Grabenanlage, die Zweifel an der Zuschreibung zu einer Burg aufkommen ließ, da sich kein typisches Bild einer solchen zu erkennen gab (Abbildung 1).
Insbesondere die beiden circa 125 Meter langen, aus einzelnen Segmenten bestehenden Gräben können nicht der Fortifikation gedient haben, da die Schmalseiten offengeblieben waren. Im Inneren liegt ein kleiner Trapezgraben von 21 Meter Länge und zwölf Meter Breite. Dieser lässt sich gut mit Grabanlagen der Baalberger Kultur aus der ersten Hälfte des vierten vorchristlichen Jahrtausends vergleichen, wo derartige Gräben als Umfassung eines besonderen Bestattungsbereiches fungierten und später häufig überhügelt wurden. Da das Trapez von weiteren Gräben eingefasst wird und auch die langen Gräben nicht parallel, sondern leicht trapezförmig verlaufen, lässt sich ein Bezug aller dieser Elemente zueinander erkennen. Deshalb wurde die Hypothese aufgestellt, dass das komplexe und monumentale Bauwerk, von dem wir nur noch die unterirdisch erhaltenen Teile erfassen können, vor mehr als 5000 Jahren errichtet worden ist (Schunke 2016). Möglicherweise wurde der ›kleine‹ Trapezgraben als erstes für Bestattungen errichtet und der besondere Ort sukzessive immer weiter ausgebaut.
Luftbilder und geomagnetische Untersuchungen hatten Hinweise darauf gezeigt, dass einige der Befunde, die vor zwanzig Jahren noch gut erhalten waren, aufgrund der exponierten Lage auf dem Hügel und der regelmäßigen Überpflügung inzwischen in Mitleidenschaft gezogen worden sein könnten. Um den Erhaltungszustand der einmaligen Anlage zu überprüfen und möglicherweise Indizien für ihre genaue Datierung zu gewinnen, wurden im Sommer 2024 durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt an zwei Stellen kleine Untersuchungen durchgeführt. Der größere Schnitt im Westen sollte den Zustand der Gräben dokumentieren (Abbildung 2).
Es zeigte sich, dass diese noch 0,8 bis 1,2 Meter tief unter der etwa 30 Zentimeter dicken Pflugschicht erhalten sind. Von besonderer Bedeutung war, dass sich Hinweise auf ihre Nutzung erschießen ließen. Der innere Trapezgraben hat eine gewisse Zeit lang offen gestanden, ehe er verfüllt worden ist. Der mittlere Graben wurde ausgehoben und sofort wieder verschlossen. Aus welchen Beweggründen dies angesichts des damit verbundenen großen Arbeitsaufwandes geschah, bleibt natürlich im Dunkeln. Sicher waren es keine profanen Gründe. Der lange Außengraben hat dagegen sehr lange offen gestanden. Wohl über Jahrhunderte verflachte er und wurde immer breiter (Abbildung 3).
Der zweite Schnitt wurde angelegt, um den Charakter zweier einzelner, sich fast berührender Grabensegmente des langen nördlichen Grabens besser beurteilen zu können. Die beiden Gräben zeigten dort ein ebenso verwaschenes Aussehen wie der Außengraben im westlichen Schnitt in etwa 60 Meter Entfernung. Merkwürdig war ein großer Sandstein, der in der oberen Verfüllung des östlichen Grabenkopfes lag (Abbildung 4). Da dieses Gestein nicht in der direkten Umgebung vorkommt, muss er von Menschenhand aus einer Entfernung von mindestens fünf Kilometern dorthin geschafft worden sein. Dass der damit verbundene Aufwand nicht gering war, belegen die Dimensionen: der Stein ist 1,74 Meter lang und wiegt circa 830 Kilogramm. Es handelt sich um einen typischen Plattenmenhir. Etwa 1,3 Meter aus dem Boden ragend wies er eine sehr regelmäßige, schlank pyramidale Form auf (Abbildung 5). Im Zusammenhang mit der Zielstellung der archäologischen Untersuchung ist sein Vorhandensein bereits von großer Bedeutung, weil er einerseits die angenommene Datierung der großen Grabenanlage auf dem Warmholzberg in das vierte Jahrtausend vor Christus unterstützt und zugleich deren Bedeutung in einem rituellen Kontext, vermutlich im Zusammenhang mit Grablegen dieser Zeit, wahrscheinlich macht.
Andererseits ermöglicht er darüber hinaus sehr spannende kulturgeschichtliche Aussagen. Im Graben kann der Menhir nicht gestanden haben. Vermutlich war er ursprünglich zentral zwischen den Längsgräben in einer Entfernung von mindestens 15 Meter, möglicherweise auch deutlich weiter in Richtung Osten oder Westen aufgestellt und bildete auf dem länglichen Höhenrücken eine weithin sichtbare Markierung, denn der Warmholzberg gestattet eine Rundumsicht über mehrere Kilometer. Nach langer Zeit muss der oberflächlich stark verwitterte Stein von seinem ursprünglichen Ort entfernt und in den nach Jahrhunderten nun halb verfüllten und breit verschliffenen Graben gebracht worden sein. Dieser Akt war aufgrund seines Gewichtes wiederum mit einem hohen Aufwand verbunden und kein Vorgang, der nebenbei durchgeführt worden sein kann. Man hätte den Menhir einfach umstoßen können, um ihm seine Symbolwirkung zu nehmen. Jedoch hat man gezielt gehandelt und ihn, sicher nicht zufällig, in einen der Grabenköpfe transportiert. Derartige Grabenköpfe haben sich auch in anderen Grabenwerken als bevorzugte Orte für metaphysisch intendierte Deponierungen herausgestellt.
Damit ergibt sich zwangsläufig die Frage, welche Menschen dies getan haben. Mit Sicherheit waren es nicht Hunderte Jahre später die Nachfahren der Errichter des Monumentes, sondern wohl Träger einer anderen archäologischen Kultur, die vermutlich auch andere geistige Vorstellungswelten besaßen. Für diese stammte der Stein aus einer nicht verstandenen beziehungsweise abzulehnenden mythischen Sphäre der Vergangenheit. Beispielsweise könnte der Menhir die Macht fremder Ahnen symbolisiert haben und bedrohlich für sie gewirkt haben. Der kulturgeschichtliche Wert der Beobachtung, dass der Menhir entweder rituell begraben oder rigoros beseitigt worden ist, besteht darin, dass wir hier keinen Einzelfall vor uns haben. Alle bekannten verzierten Menhire Mitteldeutschlands waren alt verlagert.
Zumeist waren sie als Teile von Grabkammern viel späterer Kulturen verbaut. Eines der frühesten und bedeutendsten Beispiele liefert hier das ›Grab der Dolmengöttin‹ von Langeneichstädt aus dem Ende des vierten Jahrtausends vor Christus (siehe https://www.emuseum-himmelswege.de/archaeostories/langeneichstaedt). Im Falle des Halberstädter Menhirs könnte eine Scherbe, die neben dem Menhir lag, einen Hinweis auf die ›Täter‹ geben (Abbildung 6). Sie ist der Schnurkeramik-Kultur des dritten vorchristlichen Jahrtausends zuweisen. Diese archäologische Kultur ist für Eingriffe in ältere Grabanlagen bekannt und auch andere Kriterien sprechen für neue Vorstellungswelten innerhalb dieser Kultur sowie einen bewussten Bruch mit älteren Traditionen.
Grabungsdokumentation: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Thomas Koiki.
3D-Modell: Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, Heiko Heilmann, Thomas Koiki, Olaf Schröder.
Ein großer Dank gebührt den Mitarbeitern der Ausgrabung: Th. Koiki (Grabungstechniker), M. Becker, N. Bormann, A. Neese (Studenten), L. Herrmann, F. Schnürer, J. Ertz (FSJ) und ehrenamtlichen Bodendenkmalpflegern der Region, insbesondere D. Mothes. C. Schittko (LDA Sachsen-Anhalt) ein Dank für das Händeln und Wiegen des Steines. Dem Bewirtschafter der Fläche, der Harslebener Agrargenossenschaft e. V. und Herrn Keddi, ist für die gute Zusammenarbeit zu danken!
Text: Torsten Schunke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
J. Groth, Menhire in Deutschland (Halle 2013).
L. v. Ledebur, Allgemeines Archiv für die Geschichte des Preußischen Staates, 13. Band (Berlin, Posen und Bromberg 1834).
T. Schunke, Monumentale Grabanlagen der Trichterbecherzeit in Mitteldeutschland. Außergewöhnliche Befunde mit Hinweisen auf Innenstrukturen und Bauphasen. In: F. Bertemes/O. Rück (Hrsg.), Neue Forschungen und Aspekte zur Baalberger Kultur (Langenweißbach 2016) 125—146.