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Wann vermischten sich moderne Menschen und Neandertaler? Bislang älteste Genome moderner Menschen geben Auskunft – Altfunde aus Mitteldeutschland spielen zentrale Rolle

12. Dezember 2024

Die folgende Presseinformation ist auch als PDF [4,3 MB, nicht barrierefrei] zum Herunterladen erhältlich.

Auch lange bekannte Altfunde können durch methodische Fortschritte enormes wissenschaftliches Potential bergen. In den letzten Jahren lieferte insbesondere die Genetik aufsehenerregende Erkenntnisse. So ist es auch im Falle der Funde aus den zwischen 1932 und 1938 in der Ilsenhöhle bei Ranis (Thüringen) vorgenommenen Ausgrabungen, die vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt verwahrt werden. Einem internationalen Team unter der Leitung von Forschenden des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig ist es nun gelungen, die bislang ältesten Genome moderner Menschen zu entschlüsseln. Sie stammen von sieben teils miteinander verwandten Individuen, die vor 42.000 bis 49.000 Jahren in Ranis und Zlatý kůň (Tschechische Republik) lebten. Zudem grenzen die Untersuchungen den Zeitraum, in dem eine Vermischung zwischen frühen Menschen und Neandertalern stattfand, auf etwa 45.000 bis 49.000 Jahren vor heute ein – viel später als bisher angenommen.

Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt birgt in seinen Funddepots mehr als 16 Millionen Fundeinheiten. Dieser immense wissenschaftliche Schatz wird kontinuierlich aufgearbeitet und bildet immer wieder die Grundlage für Forschungen, die zu sensationellen Ergebnissen führen. Gerade schon lange verwahrte Altfunde können durch methodische Fortschritte enormes Potential bergen. In den letzten Jahren ist es insbesondere die Untersuchung alter DNA, die regelmäßig zu aufsehenerregenden Erkenntnissen führt. So ist es auch im Falle der Funde aus den zwischen 1932 und 1938 von Werner M. Hülle in der Ilsenhöhle bei Ranis (Thüringen) vorgenommenen Ausgrabungen, die in Halle aufbewahrt werden.

Neuuntersuchung der Altfunde von Ranis

Die Untersuchungen in Ranis erbrachten unter anderem eine Schicht (X/Ranis 2), die durch lang-schmale aus Feuersteinklingen gefertigte blattförmige Spitzen gekennzeichnet ist und auf etwa 45.000 Jahre vor heute. datiert wird. Lange war umstritten, ob dieser Gerätekomplex mit den Neandertalern oder frühen modernen Menschen zu verbinden ist. In einer vorausgehenden Studie konnten 13 Knochenfragmente aus der Sammlung in Halle (Saale) und kürzlicher Nachgrabungen in Ranis durch das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig (MPI EVA) und das Thüringische Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie auf mitochondriale (mütterlicherseits vererbte Zellkerne) DNA hin untersucht werden. Die DNA stammte ausschließlich von modernen Menschen. Das Aussagepotential mitochondrialer DNA ist allerdings begrenzt, da sie nur einen Bruchteil des Genoms darstellt. Zur Beantwortung von Fragen etwa zu Verwandtschaftsbeziehungen ist die Entschlüsselung des gesamten Genoms nötig. Dies gelang nun einem internationalen Forschungsteam unter Leitung von Forschenden des Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie im Rahmen einer Studie, die heute in Nature veröffentlicht wurde. Die 13 Knochenfragmente konnten mindestens sechs Individuen zugeordnet werden, wobei drei genetisch männlich und drei genetisch weiblich sind

Verbindungen nach Zlatý kůň

Etwa 250 Kilometer von Ranis entfernt liegt mit Zlatý kůň (Tschechische Republik) ein zweiter wichtiger Fundplatz zur frühen Besiedlung durch den Homo sapiens. Gefunden wurde das etwa 45.000 Jahre alte Schädeldach einer Frau, deren Erbgut ebenfalls analysiert werden konnte. Ein Vergleich ergab eine genetische Verwandtschaft fünften oder sechsten Grades zwischen der Frau und zwei der Individuen aus Ranis. Die umfassende Entschlüsselung der Genome erlaubte auch eine phänotypische Rekonstruktion der früher Menschen: sie hatten eine dunkle Haut- und Haarfarbe und braune Augen.

Moderner Mensch und Neandertaler

Die Menschen von Ranis und Zlatý kůň gehörten zu einer kleinen, isolierten Population, die früh aus Afrika nach Europa vorstieß. Aufgrund ihres hohen Alters sind die Genome auch aufschlussreich für die Verbindungen von modernen Menschen und Neandertalern. Die untersuchten Genome zeigen Neandertaler-Genomsegmente von nur einem einzigen Vermischungsereignis, das allen Nicht-Afrikanern gemeinsam ist. Es lässt sich über die Untersuchung der Länge der von den Neandertalern beigesteuerten Abschnitte im besonders komplett rekonstruierten Genom eines Individuums aus Ranis (Ranis 13) auf den Zeitraum vor etwa 45.000 bis 49.000 Jahren festlegen. Damit liegt die Vermischung zwischen Homo sapiens und Neandertaler wesentlich später als bisher angenommen. 

»Die sensationellen Ergebnisse der Untersuchungen an den Funden aus Ranis bringen uns beim Verständnis der frühen Geschichte der Besiedlung Europas durch den Homo sapiens einen großen Schritt weiter. Vor allem zeigen sie aber auch, wie wichtig es ist, archäologisches Fundmaterial langfristig zu bewahren, um Untersuchungen mit neuen Methoden zu ermöglichen. Würde man scheinbar ausgeforschte Funde einfach entsorgen, wäre der Verlust für die Wissenschaft fatal«, sagt Harald Meller, Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt.

Veröffentlichung

Arev P. Sümer, Hélène Rougier, Vanessa Villalba-Mouco, Yilei Huang, Leonardo N. M. Iasi, Elena Essel, Alba Bossoms Mesa, Anja Furtwaengler, Stéphane Peyrégne, Cesare de Filippo, Adam B. Rohrlach, Federica Pierini, Fabrizio Mafessoni, Helen Fewlass, Elena I. Zavala, Dorothea Mylopotamitaki, Raffaela A. Bianco, Anna Schmidt, Julia Zorn, Birgit Nickel, Anna Patova, Cosimo Posth, Geoff M. Smith, Karen Ruebens, Virginie Sinet-Mathiot, Alexander Stoessel, Holger Dietl, Jörg Orschiedt, Janet Kelso, Hugo Zeberg, Kirsten I. Bos, Frido Welker, Marcel Weiss, Shannon McPherron, Tim Schüler, Jean-Jacques Hublin, Petr Velemínský, Ja-roslav Brůžek, Benjamin M. Peter, Matthias Meyer, Harald Meller, Harald Ringbauer, Mateja Hajdinjak, Kay Prüfer, Johannes Krause, Earliest modern human genomes constrain timing of Neanderthal admixture. Nature 2024. https://doi.org/10.1038/s41586-024-08420-x.

Kontakt

Dr. Oliver Dietrich | Dr. Tomoko Emmerling
Öffentlichkeitsarbeit
+49 345 5247-334 | -384
oeffentlichkeitsarbeit@lda.stk.sachsen-anhalt.de

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