Meyers Kachelofen, Straße der Republik, Bitterfeld-Wolfen
September 2024
Die am 1. Mai 1978 eingeweihte Brunnenanlage mit dem Spitznamen ›Meyers Kachelofen‹ (Abbildung 1) liegt inmitten der Wohnsiedlung Wolfen-Nord an der Straße der Republik. Die Trabantenstadt entstand ab 1960 als »sozialistisches Wohngebiet« für die Chemiearbeiterfamilien der Industrieregion um die Städte Wolfen und Bitterfeld. 1989 hatte Wolfen-Nord 35 000 Einwohner, Ende 2008 noch 11 117 und Ende 2018 nur noch 6 600.
Die Gestaltung des Brunnens lag in den Händen des Malers Bernhard Franke und des Bildhauers Gerhard Markwald, zwei in der Region bestens bekannte und vielbeschäftigte Künstler. Die von Markwald, der in der Region zahlreiche figürliche Arbeiten im öffentlichen Raum schuf, vorgegebene plastische Idee des Brunnens basiert auf einem Würfel, der über einer Wasserfläche schwebt. Das Wasser strömt aus zahlreichen Düsen und fließt dann ins flache Becken. Den malerischen Part übernahm Franke mit den wellenartig gebogenen Keramikplatten mit formal und farblich sehr lebhaft durchwirkten Blumen- und Baummotiven in erdhaften Farben in dekorativ-teppichhafter Flächenausbreitung (Abbildung 2). Beide Künstler waren in der künstlerischen Volksbildung aktiv und bemühten sich in ihren Arbeiten um die Annäherung von zeitgenössischem Kunstschaffen und Arbeiterschaft im Sinne des ›Bitterfelder Weges‹.
Der Brunnen wurde 2018 saniert. Der Spitzname ›Meyers Kachelofen‹ ist eine Anspielung an den populären Direktor der an diesem Ort ursprünglich stehenden Wilhelm-Pieck-Oberschule, die 2008 abgerissen wurde.
Dekorative Objekte dieser Art waren in den Neubaugebieten der DDR weit verbreitet und schufen als Werke der Bildenden Kunst in oft sehr hoher Ausführungsqualität in der architektonischen Einförmigkeit und dem städtebaulichen Schematismus der modernen Siedlungsstrukturen individuelle Raumakzente und ästhetischen Aufwertungen, die Architektur und Stadtplanung den Bewohnern schuldig blieben. Mit dem Wegfall städtebaulicher Raumkanten erscheint der Brunnen heute etwas verloren und wirkt wie ein melancholisches Relikt jener modernistischen Utopien, die politischen Systemen von der Art der DDR als sozialistischer Versorgungs- und Erziehungsdiktatur zugrunde lagen.
Text: Holger Brülls
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta