Ein Loch ist im Eimer – bronzezeitliche ›Topfbrunnen‹ aus Güsten
September 2006
Dass sich löchrige Eimer kaum zum Wasserschöpfen eignen, versuchte schon Henry seinem Freund Karl-Otto in dem allseits bekannten Gassenhauer mehr oder minder erfolgreich klarzumachen. Die Untersuchungen des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt auf der Trasse der zukünftigen Bundesstraße 6 n nördlich von Güsten (Salzlandkreis) konnten neuerdings zeigen, dass Gefäße mit einem Loch für einen anderen Zweck noch sehr gut zu gebrauchen waren. Sie dienten in der Bronzezeit dazu, kleine Brunnenschächte zu befestigen, um so ein Unterspülen und Verstürzen der Brunnenbasis zu verhindern.
Auf der Fundstelle XV nur wenige Meter östlich der Liethe, einem kleinen Wasserlauf, der heutzutage bei Hochwasser die Wipper entlastet, wurde eine ganze Batterie solcher Brunnenschächte entdeckt (Abbildung 1). Mindestens vier Gefäße standen im Sohlenbereich einer 14 mal 5,4 Meter großen, länglich-ovalen etwa Nord-Süd ausgerichteten Grube.
Die Abstände der keramischen Gefäße untereinander betrugen maximal zwei Meter (Abbildung 2). Als Brunnengefäße bevorzugte man offenbar hohe tönnchenförmige Töpfe, in einem Fall wurde aber auch eine große, stark geschulterte hochhalsige Terrine verbaut (Abbildungen 3 und 4). Die Böden der Gefäße waren ausnahmslos herausgebrochen worden, um ein schnelles Nachfließen des Grundwassers von unten zu gewährleisten (Abbildung 5). Die gedellten Griffleisten eines der Töpfe zeigen, dass es sich nicht um besonders für diesen Zweck hergestellte Keramik handelt sondern um ganz normale Siedlungsware (Vorratsgefäße), die zum Teil eine mit den Fingern verstrichene Schlickrauung aufwiesen (Abbildungen 6 und 7).
Noch nicht eindeutig interpretierbar sind die Beschädigungen, die alle Gefäße im oberen Teil aufwiesen. Denkbar wäre, dass sie während der Nutzung dieser Schöpfstellen entstanden sind. Es ist aber auch möglich, dass diese kleinen Schächte später bei der Anlage der großen Grube, die in Planum 1 erfasst wurde, überschnitten und dabei die Gefäße gekappt worden sind. Das stratigraphische Verhältnis der »Topfbrunnenschächte« zu dem übergeordneten großen Grubenbefund blieb leider etwas undurchsichtig, da keines der Gefäße in einem der sieben durch Befund 2206 gelegten Profile erfasst wurde. Für eine Überschneidung der Topfbrunnen durch eine später angelegte große Grube (die möglicherweise ebenfalls in der Absicht angelegt wurde, an das Grundwasser heranzukommen) könnte die auffällige Korrelation der absoluten Höhe der erhaltenen Gefäßoberkanten mit der (interpolierten) Tiefe der Grubensohle in diesem Bereich sprechen (Abbildung 8). Andererseits könnte dieser Sachverhalt auch dahingehend gedeutet werden, dass die Brunnenschächte von der Sohle dieser großen Grube aus angelegt worden sind. Die große Grube hat vielleicht als Werkgrube für einen Töpfer oder Gerber gedient. Für eine solche Nutzung spricht ein darin gefundenes Knochengerät mit Schliffspuren, das zum Glätten oder Schaben gedient hat (Abbildung 9).
Ein großer platter Sandstein, der etwas südlich der Gefäße auf der Grubensohle in Quadrant III lag, könnte als Trittstein gedient haben, auf dem man die Schöpfstelle(n) trockenen Fußes erreichen konnte. Auch die geringen Mündungsdurchmesser der verbauten Gefäße von etwa 0,32 Meter scheinen eher dafür zu sprechen, dass man das darin gesammelte Wasser von der Sohle einer größeren Grube aus mit einem kleinen Gefäß am »langen Arm« direkt aus diesen Töpfen geschöpft hat. Die Gefäßoberteile dürften dann ein Stück oberhalb der Grubensohle gelegen haben, um eine Verschmutzung des Wassers zu verhindern. Das würde auch die Beschädigungen dieser exponierten Gefäßteile nach der Aufgabe dieser Anlagen erklären. Eine Verwendung größerer, an einem Strick befestigter Holz(?)-Eimer als Schöpfgefäße scheint jedenfalls ausgeschlossen (Abbildung 10).
Die recht einfach gestalteten Gefäße datieren wahrscheinlich in die frühe (?) Bronzezeit. Eine Gleichzeitigkeit aller Brunnenschächte ist letztendlich aber nicht beweisbar gewesen. So könnte das große terrinenförmige Gefäß auch wesentlich jünger sein, wenngleich die Art der Rauung des Gefäßunterteiles (fingerverstrichen) deutliche Ähnlichkeiten mit dem tönnchenförmigen Gefäß aufweist. Aus dem oberen Verfüllbereich der großen Grube stammt neben einem bronzezeitlichen Gefäßfragment mit getupften plastischen Leisten auch eine große feinkeramische Gefäßscherbe eines zweihenkeligen (?) Topfes mit scharf abgesetztem, leicht eingeschwungenen hohen Halsrand, der vielleicht eisenzeitlich datiert (Abbildung 11).
Die Untersuchung der Sedimente aus den Gefäßen wird vielleicht Klarheit über die genaue Datierung und Funktion dieser ungewöhnlichen Brunnen liefern, die nach unserer Kenntnis bisher einzigartig in Mitteldeutschland sind. Die Topfbrunnen von Güsten und weitere herausragende Befunde der Ausgrabungen auf der Bundesstraße 6 n im Landkreis Bernburg (unter anderem. ein Holzkastenbrunnen und mehrere Brunnen mit Weidengeflecht auf Fundstelle XVI bei Ilberstedt sowie zahlreiche Gräber und Siedlungsbefunde) setzen die Reihe spektakulärer archäologischer Funde und Befunde fort, die mit den archäologischen Untersuchungen auf der Bundesstraße 6n im Landkreis Wernigerode ihren Auftakt nahm. Es zeigt sich ein weiteres Mal, wie notwendig und erfolgreich die archäologische Betreuung großer linearer Bauprojekte in Sachsen-Anhalt ist.
Text: Erik Peters
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta