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Ein Schreibset aus dem Lutherhaus in Wittenberg

Oktober 2007

Dass Luthers Haushalt immer wieder für eine Überraschung gut ist, hatte man schon bald bei der Auswertung der Unmengen von Fundstücken bemerkt, die 2004 bei Grabungen im der Elbe zugewandten Garten des Lutherhauses in Wittenberg zutage kamen. Martin Luther lebte hier im Schwarzen Kloster bereits als Augustiner-Mönch, seit er 1508 seine wissenschaftliche Laufbahn an der Wittenberger Universität fortsetzte. Nach den Wirren in Folge des Ablassstreites 1517 und des Bauernaufstandes von 1525 kehrte Luther in das mittlerweile leer stehende Klostergebäude zurück, das er schließlich 1526 als Geschenk des sächsischen Kurfürsten erhielt. Hier gründete er mit seiner frisch angetrauten Ehefrau Katharina von Bora einen Hausstand. Da das Geld anfangs, trotz Zuwendungen von Gönnern und Freunde notorisch knapp war, begannen die Luthers zahlungskräftige Studenten aufzunehmen, denen ein Teil des großen Klosteranwesens zur Verfügung gestellt wurde.

Neben dem Bursenbetrieb finanzierte sich Luther auch über die Landwirtschaft indem er geeignete Gründstücke sowie ein bäuerliches Anwesen auf dem Land hinzu erwarb, so dass der Reformator an seinem Lebensende unter anderem den größten Viehbestand am Orte besaß. So wundert es nicht, dass auch das 2004 bei Ausgrabungen im Garten des Lutherhauses in Wittenberg geborgene archäologische Fundgut eher von gehobenem Wohnkomfort zeugt als von einsiedlerischer Bescheidenheit.
Dennoch gab es einige Fundstücke, deren Zuordnung anfangs nicht ganz einfach war. Darunter befanden sich auch Bruchstücke von mehreren grün glasierten Schalen mit hochgezogenem Rand, auf die offenbar kleine Töpfchen montiert waren. Bisher waren solche Keramiken aus dem archäologischen Kontext nicht bekannt (Abbildungen 1 und 2). Obwohl die Objekte anfangs sehr an moderne Salsa-Schalen erinnerten, lies sich eine Verbindung zu Tafelgeschirr eher nicht ziehen. Ein derartiges Essgeschirr wäre aufgrund der fest montierten Töpfchen sehr schwer zu reinigen gewesen. Zudem wirken die Schalen auch eher sehr einfach gemacht – passen also nicht zu den sonst sehr hochwertigen Tafelgeschirren  aus dem Hause Luthers.

Ein neuer Ansatzpunkt ergab sich, beim Vergleich mit einem Fund aus Straubing (Abbildung 3). Aus dem Fundkontext der Abfallgrube einer Töpferei stammt eine ähnliche Schale, auf der ebenfalls einige Töpfchen montiert waren. Die Töpfchen waren kreisförmig um einen erhöhten Topf in der Mitte der Schale positioniert. Im Inneren der Töpfchen erhoben sich kleine zylinderförmige Ansätze. Offenbar handelte es sich um eine Schalenlampe, die man mit Öl oder Tran betreiben konnte. Die kleinen Zylinder dienten zur Aufnahme von Dochten, die auf diese Weise nicht in die Töpfchen hineinrutschen konnten. Der erhöhte Rand der Schale verhinderte, dass überschwappendes Öl auslief.
Verglichen mit den Objekten aus dem Lutherhaus ergaben sich aber aus diese Deutung gewisse Schwierigkeiten: Zum einen fehlten die zylinderförmigen Dochthalter, wie sie beim Straubinger Exemplar vorhanden waren. Die Dochte wären also ständig in die Flüssigkeit gerutscht, was einen Betrieb als Lampe schwierig gestaltet hätte. Zudem fehlten die sogenannten Schnauzen, auf den das brennende Ende des Dochtes zu liegen kommt. Eine genauere Untersuchung der Objekte zeigte zudem, dass nicht nur runde Töpfchen, sondern auch ovale Schalen auf den Grundplatten befestigt waren.

Dennoch können solche Keramikscheiben prinzipiell auch als Lampen dienen, was sich auch experimentell nachweisen lässt (Abbildung 4). Der Versuch fällt, wie zu erwarten, durchaus positiv aus. Der Umfassungsring erfüllt  bei dem Betrieb der »Lampenscheibe« durchaus eine Funktion: er verhindert, dass zwangsläufig von der tüllenlosen Wandung ablaufendes oder ausgeschwitztes Öl sich auf den Tisch ergießt. Die kleinen Näpfchen lassen sich bequem auch noch als Kerzenhalter - für Talgkerzen, oder im Hause Luthers durchaus zu vermuten - teurere Wachskerzen, verwenden.
Dennoch erscheint die Zuweisung als »Lampe« zweifelhaft, denn zu groß sind die Nachteile, die eine solche plumpe Lampenscheibe hat. Nur am Rande angebracht, könnten die Dochte eine halbwegs vernünftige Lichtausbeute haben. Gerade dort würde aber dann wieder das Öl auf den Tisch laufen. Es ist zudem kein Ausguss für Öl vorhanden. Die »Kerzenhalter« stehen zu dicht nebeneinander, mehrere Leuchtmittel gleichzeitig würden hoffnungslos verschmelzen. Tatsächlich finden sich im Haushalt Luthers auch Öllampen,  ihr Ausgesehen entsprach unter anderem den jüngst vorgestellten Lampen aus »Schwerzau«.

Exkurs: Beleuchtung im Mittelalter und der frühen Neuzeit

Mittelalterliche Lampen sind im Fundspektrum Mittel- und Norddeutschlands selten. Ausnahme: Die Küstenregionen, insbesondere Haithabu. Hier finden sich bereits im 10./11. Jahrhundert geständerte, einfache Schalenlampen aus Keramik. Fisch-, Robben- und Walfang liefern ausreichend brennbare Fette als Betriebsstoff für Lampen.
In den ackerbaulich geprägten Regionen Mitteldeutschlands scheint es zunächst dunkel zu bleiben. Die in der Antike des 1. Jahrhunderts nach Christus  aufgekommene Kerze findet man in gehoben Haushalten und vor allem Kirchen – aber sie bleibt eine Seltenheit. Kerzen unterscheiden sich nämlich in der Ökonomie nicht von Öllampen -  entweder bestehen sie aus tierischen Fetten (Talg) oder dem noch teureren Bienenwachs.
Erst eine neue Kulturpflanze lässt in der frühen Neuzeit plötzlich Lampen zum Allgemeingut werden. Der Anbau von Rübsen (Brassica rapa ssp. oleifera, ab dem 15. Jahrhundert)  breitet sich von den Niederlanden ausgehend bis ins 16. Jahrhundert nach Mitteleuropa aus. Auf den Fersen folgt der nahe verwandte Raps (Brassica napus, ab dem 17. Jahrhundert).
Rübsen und Raps liefern bedeutende Mengen von Öl. Im Gegensatz zu den Neuzüchtungen aus dem Ende des 20. Jahrhunderts eignete sich dieses Öl nicht für den menschlichen Verzehr, weil es hohe Anteile leberschädigender Erucasäure enthielt. Der Anbau von Raps und Rübsen diente der Gewinnung technischer Öle, vor allem zu Beleuchtungswecken.
Aus dieser Zeit stammt der geständerte »Frosch« aus dem Dorf  Schwerzau  (Sachsen-Anhalt, 16. Jahrhundert). Der Leuchter sah mit seiner Konstruktionsweise eindeutig die Verwendung von flüssigem Öl als Brennmaterial vor.  Solche Lampen sind im mitteldeutschen Fundspektrum ab dem 16. Jahrhundert nicht selten.

Klärung brachte ein Blick über die Alpen. Ein Schreibset aus Faenza, der Herstellungsort der nach dem Ort benannten Fayence-Keramik, von 1510 besitzt einen ähnlichen Aufbau (Abbildung 5).
Auch hier gibt es wieder einen  kreisrunden, flachen Behälter. Hier wird er von drei Löwen getragen. Auf dem rückwärtigen Teil gibt es eine Krippenszene: Maria und Joseph, das Kind anbetend, vor dem Stall mit Ochs und Esel. Am äußeren Bord vorne die Inschrift VERBUM. CHARO EST. DEVIGINE. MARIA (Und das Wort ist Fleisch geworden durch die Jungfrau Maria, nach dem Anfang des Johannesevangeliums) innen ein G, möglicherweise die Initiale des Meisters Giovanni Acole. Auch beim Stück aus Faenza wieder diese Töpfchen wie beim Wittenberger Exemplar; das linke, zylindrische diente wohl als Kerzenhalter, das rechte, vasenförmige als Tintenfass. Die flache Schale hingegen, diente der Aufnahme von Schreibutensilien, etwa des Federkiels, der Messer zum Nachschärfen der Feder. Somit wirft dieses Vergleichsstück ein völlig neues Licht auf die Wittenberger Schalen. Auch hier finden sich dieselben Elemente wieder, die eine Deutung als Schreibset plausibel machen: die flache Schale zum Aufbewahren von Schreibutensilien ebenso, wie fest montierte (und damit umsturzsichere) Töpfchen als Tintenfässer sowie Töpfchen, die als Kerzenständer für eine Wachskerze gedient haben könnten. Flache Näpfchen beinhalteten möglicherweise den Löschsand zum Trocknen der feuchten Tinte.
Die einfache Machart spricht aber eher dafür, dass es sich bei diesen Exemplaren eher um Stücke aus dem Besitz von Luthers Studenten handeln dürfte.

Also doch nicht Luthers eigenes Tintenfass? Vielleicht doch. Neben den einfachen, unverzierten und recht plump gefertigten Stücken gibt es ein einzelnes Exemplar, das sich davon abhebt (Abbildung 6). Es ist insgesamt von besserer Machart, besitzt eine tiefgrüne, gleichmäßige Glasur und zinnenförmige Randverzierungen. Auch hier waren wieder Tintenfässchen auf die Schale montiert. Offenbar wurde hier neben funktionalen Aspekten auch auf Qualität geachtet.
Luther war bekanntlich ein Vielschreiber: Neben der Übersetzung des Alten und Neuen Testaments umfasst sein Werk 473 Druckschriften, teils lateinisch, teils deutsch und zahlreiche Briefwechsel. Stellvertretend für diese literarische Schaffenskraft wurde, neben der von ihm übersetzten Bibel, auch das Tintenfass ein gern dargestelltes Epitheton. In der schon zu Lebzeiten einsetzenden Lutherverehrung wurde »Luthers Tintenfass« später ein gesuchter Gegenstand, mit dem sich gleich mehrere fürstliche Kuriositätenkabinette schmückten. Und nicht zuletzt bildete der berühmte Tintenfleck auf der Wartburg einen beliebten protestantischen »Pilgerort«, da hier bestaunt werden konnte, wie Luther den Teufel mit dem Tintenfass vertrieben habe. - Dass die Tinte eigentlich stellvertretend für die Schriften Luthers stand, und der damit bekämpfte »Teufel« als Papst in Rom saß, steht natürlich auf einem anderen Blatt.

Das Schreibset war in der Landesausstellung »Fundsache Luther« vom 31. Oktober 2008 bis 26. April 2009 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) zu sehen.

Mehr Informationen zur Landesausstellung »Fundsache Luther. Archäologen auf den Spuren des Reformators« finden Sie hier.


Text: Mirko Gutjahr, Christian Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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