Auf dem Schlachtfeld verloren – ein schottischer Distel-Anhänger vom Schlachtfeld bei Lützen
Juli 2011
Beim Sichten des Fundmaterials, das im Winter 2010 bei den Prospektionen auf dem Schlachtfeld bei Lützen geborgen wurde, konnte eines der Objekte sicher als ein schottischer Distel-Anhänger identifiziert werden (Abbildung 1).
Das aus einer Kupferlegierung bestehende circa einen Millimeter dicke Blech misst etwa fünf mal drei Zentimeter und stellt eine Distelblüte dar, die durch gezackte Blätter eingerahmt wird. Die Blätter sind im oberen Bereich jeweils einfach gelocht. An der linken Seite befindet sich noch die originale, aus einem gebogenen Blech bestehende Aufhängung in Form einer Blütenknospe, die durch einen Stift mit dem Distelblatt verbunden ist. An der rechten Seite wurde die ehemalige Aufhängung durch einen kleinen Ring ersetzt, der durch die umlaufende, maschinell eingeprägte Schrift (leider im unteren Bereich durch Abnutzungsabrieb unleserlich) sicherlich in modernere Zeiten datiert werden kann. Im unteren Bereich des Blechs läuft es in eine tropfenförmige Öse aus. Dort konnte ehemals ein weiterer Anhänger befestigt werden. Die Öse weist im rechten unteren Bereich schwache Abnutzungsspuren auf. Das Blech ist beidseitig durch sehr feine eingestanzte Rillen verziert, die im Bereich der Knospe bogenförmig angeordnet sind und zu den fächerartig angeordneten Blütenblättern auslaufen. Auf den Distelblättern bilden die feinen Rillen die Äderung der Blätter nach. Das Blech ist auf der rechen Seite schwach verbogen und weist auf der Rückseite eine stärkere grünliche Patina auf - dort sind auf der ebenfalls mit feinen Rillen verzieren Befestigungsknospe schwache Versilberungsreste zu erahnen.
Die Bedeutung der Distel als schottisches Emblem
Veerle van den Eynden stellt 2010 in seinem Aufsatz »Plants as Symbols in Scotland Today« sehr anschaulich heraus, welche wichtige Rolle die Distel auch heute noch für das schottische Selbstverständnis spielt:
»The thistle is the plant that has come to symbolize Scotland and the Scottish identity. [...] Initially used as a personal emblem by the Stuart kings in the fifteenth century, the thistle has been a national emblem since the sixteenth century. [...] The thistle is truly used everywhere in Scottish society nowadays, as a logo for businesses and national institutions (Scottish Natural Heritage, National Trust of Scotland and the Scottish rugby team), as well as on stamps, Scottish Pound coins [...] The thistle represents Scottish identity, both to Scottish people themselves, and to visitors.« (van den Eynden 2010, 239)
»Die Distel ist die Pflanze, die zum Symbol Schottlands und der schottischen Identität geworden ist […]Im 15. Jahrhundert ursprünglich von den Königen des Hauses Stuart als persönliches Emblem verwendet, ist die Distel seit dem 16. Jahrhundert ein nationales Emblem. […] Die Distel ist heutzutage in der schottischen Gesellschaft wahrhaft allgegenwärtig, als Logo für Geschäfte und nationale Institutionen [Scottish Natural Heritage, National Trust of Scotland und das schottische Rugby-Team], ebenso wie auf Briefmarken, schottischen Pfundmünzen […] Die Distel verkörpert schottische Identität, sowohl gegenüber dem schottischen Volk als auch Besuchern gegenüber.« (Abbildung 2 bis 4)
The legend of the ›Guardian Thistle‹ – die Distellegende
Die Legende besagt, dass im frühen Mittelalter eine Distel ein schottisches Heer vor dem sicheren Untergang bewahrte. Hislop fasst dies in seinem Artikel zur schottischen Distel folgendermaßen zusammen: »This ancient emblem of Scots pugnacity, with its motto -‚›Nemo me impune lacessit‹, is represented on various species of royal bearings, coins, and coats of armour, [...] The origin of the badge itself is thus handed down by tradition: When the Danes invaded Scotland, it was deemed unwarlike to attack an enemy in the darkness of the night, instead of a pitched battle by day; but on one occasion the invaders resolved to avail themselves of this stratagem; and in order to prevent their tramp from being heard, they marched barefooted. They had thus neared the Scottish force unobserved, when a Dane unluckily stepped with his naked foot upon a superb prickly thistle, and instinctively uttered a cry of pain, witch discovered the assault to the Scots, who ran to their arms, and defeated the foe in a terrible slaughter. The thistle was immediately adopted as the insignia of Scotland« (Hislop 2004, 195-196)
»Dieses alte Emblem schottischer Kampfeslust mit seinem Motto ›Nemo me impune lacessit‹ ist auf verschiedensten königlichen Beschlägen, Münzen und Wappen dargestellt, […] Der Ursprung des Emblems selbst ist folgendermaßen überliefert: Als die Dänen in Schottland einfielen, wurde es als unkriegerisch erachtet, einen Feind in der Dunkelheit der Nacht anzugreifen anstelle eine offene Feldschlacht bei Tag zu suchen, aber einmal entschlossen sich die Invasoren, sich dieser Kriegslist zu bedienen; und um zu verhindern, dass ihr Getrampel gehört wurde, marschierten sie barfuß. Auf diese Weise hatten sie sich den schottischen Truppen unbeobachtet genähert, als ein Däne mit seinem nackten Fuß unglücklich auf eine herrliche stachelige Distel trat und instinktiv einen Schmerzensschrei ausstieß, der den Angriff gegenüber den Schotten enthüllte. Diese rannten zu ihren Waffen und besiegten den Feind in einem schrecklichen Gemetzel. Die Distel wurde sofort als Abzeichen Schottlands eingeführt.« (Abbildung 5)
Der schottische Orden von der Distel und die Distelembleme in der St. Giles' Cathedral in Edinburgh
»The Order of the Thistle may have begun in the fifteenth century. From the Reign of King James III (1460-88) there are Pictures of the King (or the Royal coat of arms) with a ceremonial collar of thistles, similar to that worn today as part of the Thistle insignia, suggesting the existence of a kind of royal order [...] On 29th May 1687 King James VII of Scotland (II of England) issued a statute in which he ‘revived’ the Order of the Thistle as a sign of his affection for the kingdom of Scotland and as a symbol of continuation from the ancient rules to himself. All the knights appointed by James were Scots [...] James set out the robes and Regalia to be worn by the knights at all times when in Scotland, including a green robe embroidered with gold thistles, a medal on a purple ribbon, and a gold collar of thistles.« (Nicol 1998, 4-5)
»Möglicherweise entstand der Distelorden im 15. Jahrhundert. Aus der Regierungszeit König James’ III. (1460 bis 1488) gibt es Darstellungen des Königs (oder des königlichen Wappens) mit der zeremoniellen Ordenskette aus Disteln, ähnlich jener, die heute als Teil der Distel-Insignien getragen wird, was auf die Existenz von einer Art königlichem Orden hinweist [… ] Am 29. Mai 1687 erließ König James VII. von Schottland [II. von England] ein Gesetz, in dem er den Orden von der Distel ›wiederbelebte‹ als Zeichen seiner Verbundenheit mit dem Königreich Schottland und als Symbol der Kontinuität von den altehrwürdigen Herrschern bis zu sich selbst. Alle von James ernannten Ritter waren Schotten […] James ordnete an, welche Roben und Insignien von den Rittern zu allen Zeiten, wenn sie in Schottland waren, getragen werden mussten, einschließlich einer grünen, mit goldenen Disteln bestickten Robe, einem Orden an einem purpurnen Band und einer goldenen Ordenskette aus Disteln.«
Nach wechselvollen Zeiten hat der Distelorden, dessen Ordenskirche zunächst die ›Holyrood Chapel‹ war, seit 1911 seinen neuen Sitz in der ›Thistle Chapel‹ in der St. Giles Cathedral in Edinburgh (Abbildung 6 und 7).
Ab circa 1660 findet man eine Ordenskette, bestehend aus Distelgliedern mit St. Andreas-Anhänger, auf dem Banner der schottischen Könige Charles II., James VII. und Anne. Auch das Motto ›Nemo me inpune lacessit‹ ist hier bereits auf einem Banner unter dem Wappen, das auf einer mit Disteln bewachsenen Wiese steht, zu lesen (Abbildung 8).
Die Ordensinsignien des schottischen Distelordens, dem die englischen Regenten seit 1687 vorstehen, ist eine Kette, deren Glieder aus Distelornamenten bestehen, und an der eine ovale Plakette mit einem Abbild des St. Andreas mit Kreuz hängt. Der Orden hat die Form zweier übereinandergelegter Kreuze mit zentraler Distel, die von dem Motto eingerahmt wird. In der St. Giles‘ Cathedral ist er allgegenwärtig (Abbildungen 9 bis 12). Das lateinische Motto des Distelordens »Nemo me inpune lacessit« bedeutet »Niemand greift mich ungestraft an«.
In der ›Antechapel‹ (Vorkapelle der Distel Kapelle) sind an den Wänden alle Ordensmitglieder des Distelordens seit 1687 aufgeführt.
Die schottischen Regimenter in der Armee Gustav Adolfs in Lützen
Da der Export von Pferden aus Britannien verboten war, wurden die Briten in der schwedischen Armee vor allem als Fußtruppen eingesetzt. »Die Verbindung von Schottland und Schweden ist oft als ›besondere Beziehung‹ bezeichnet worden. Schotten und Schweden hatten viele Gemeinsamkeiten: raues Klima, heimische Armut, strenger Protestantismus.« (Brzezinski/Hook 2006, 17) Zwischen 1624 und 1632 traten zahlreiche schottische Regimenter in den Dienst des Schwedenkönigs. Um nur einige zu nennen, dienten Schotten zum Beispiel in den Regimentern von James Spens, James Ramsay, Donald MacKays, John Monro, Alexander Hamilton, Robert Leslie.
In Lützen kämpfte nur ein schottisches Regiment - das von Oberstleutnant Ludovick Leslie -, in dem drei schottische und drei englische Regimenter, die in den Jahren zuvor starke Verluste erlitten hatten, zusammengefasst waren. Es gehörte zu Herzog Bernhards Grüner Brigade und bestand aus 16 Kompanien mit insgesamt 360 Musketieren, 24 Pikenieren und 192 Offizieren, also 576 Mann. Unter Leslies Soldaten sollen sich auch die schottischen Soldaten des 1631 in Stettin (Abbildung 13) gelandeten Regimentes von Alexander Hamilton befunden haben.
Der Überlieferung nach sollen die im Schottischen Nationalmuseum archivierten Sporen Gustav II. Adolfs durch einen unter dem Schwedenkönig dienenden Schotten nach Schottland verbracht worden sein. »Among Thousands of Scots serving in his armies was his aide-de-camp at Lützen, Colonel Hugh Sommerville, who kept these spurs taken from the Kings body«
»Unter Tausenden Schotten, die in seinen Truppen Dienst taten, war sein Adjutant in Lützen, Oberst Hugh Sommerville, der diese dem gefallenen König abgenommenen Sporen aufbewahrte.« (Abbildung 14, Stuart / Carswell 1988, Plate 3.2 Bildunterschrift).
Die Gedenkfeiern zum Todestag von Gustav II Adolf – zur historischen Einordnung des schottischen Distel-Anhängers
Die Produktionstechnik spricht dafür, den Anhänger ins 19. Jahrhundert zu datieren. Die Reparatur der Aufhängung mit eingestanzter Schrift deutet darauf hin, dass der Distelanhänger eine hohe Bedeutung für den Besitzer hatte und eventuell sogar über Generationen innerhalb der Familie weitergereicht wurde.
Gedenkfeiern auf Schlachtfeldern am Tag der jeweiligen Austragung wurden regelmäßig in ganz Europa zum Gedenken der Verstorbenen begangen. Für die napoleonische Zeit ist belegt, dass schottische Regimenter zum Beispiel auf dem Schlachtfeld von Bannockburn des 500sten Jahrestags der Schlacht gedachten. Eine Prozession von 500 Soldaten geschmückt mit Distel-Kokarden gedachte dort der Verstorbenen. 15.000 Besucher nahmen an der Gedenkfeier teil.
»By the end of the 18th century, the Scots Guards had adopted the thistle star as their regimental badge and this appeared on buttons, belt plates, and other items of uniform. During the Napoleonic campaign, another Scottish regiment, the Royal Scots, was granted a motif from the Order of the Thistle. This occurred in 1812 when the collar of the order was incorporated into the regimental badge by express authority of the prince Regent, later King George IV. Gradually during the 19th century, other Scottish regiments adopted Order of the Thistle motifs as a means of identifying their Scottish origin.« (Burnett 1996, 340)
»Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts hatten die Scots Guards den Distelstern als ihr Regimentsemblem übernommen, und dieses erschien auf Knöpfen, Gürtelbeschlägen und anderen Uniformelementen. Während des napoleonischen Feldzugs wurde einem anderen schottischen Regiment, den Royal Scots, ein Motiv von diesem Orden von der Distel gewährt. Dies geschah 1812, als die Ordenskette mit ausdrücklicher Genehmigung des Prinzregenten, des späteren Königs George IV., in das Regimentsemblem integriert wurde. Während des 19. Jahrhunderts übernahmen schrittweise andere schottische Regimenter Motive des Distelordens als Mittel, ihre schottische Herkunft kenntlich zu machen.« (Abbildungen 15 und 16; Vergleich. Abbildungen 9 bis 12) Vergleicht man das unterste Kettenglied der Ordenskette auf Abbildung 19 mit dem Fundstück aus Lützen, so könnte es sich dabei um ein solches Mittelstück einer Ordens-Kette handeln.
Auch auf dem Schlachtfeld bei Lützen wurden regelmäßig Gedenkfeiern im Zusammenhang mit dem Todestag des Schwedenkönigs begangen. So waren zum Beispiel 205 Jahre nach dem Tod des Schwedenkönigs bei der Weihe des Schinkel-Monuments über dem Schwedenstein am 6. November 1837 etwa 10.000 Menschen anwesend (Abbildung 17).
Bei der feierlichen Grundsteinlegung der schwedischen Gedenkkapelle in Lützen im Jahr 1907 waren vermutlich weit mehr Menschen anwesend, und es ist durchaus möglich, dass unter den zahlreichen Gästen in Begleitung der schwedischen Delegationen auch schottische Würdenträger, Vertreter von schottischen Regimentern oder Familienangehörige der Offiziere und Soldaten, die im Jahre 1632 in Lützen kämpften, an der Gedenkfeier teilnahmen.
Vergleicht man die Namen der Offiziere, die im 17. Jahrhundert in Gustav Adolfs Armee dienten, mit den Namen der Ordensträger des Distelordens, so fällt auf, dass auch hier die Namen Hamilton, Leslie, MacKays und Ramsay vertreten sind. James Hamilton, 1. Duke of Hamilton (1606 bis 1649) stellte für den Schwedenkönig Gustav Adolf fünf Regimenter bestehend aus Engländern und Schotten (insgesamt 6000 Mann) zusammen. Zahlreiche seiner Nachfahren waren Ritter des Distelordens und einige davon zudem Offiziere in den schottischen Regimentern, so zum Beispiel George Douglas-Hamilton, 1st Earl of Orkney (1666 bis 1737) der Oberst des ›1st Regiment of Foot‹ war und im Jahr 1704 von Queen Anne zum Ritter des Distel-Ordens geschlagen wurde. Viele der schottischen Regimenter verfügten ihrerseits über eigene Freimaurerlogen, die sicherlich die Insignien des eigenen Regimentes und die des Distelordens für ihre Embleme aufgriffen. In diesen Kontext kann sicherlich auch der schottische Distelanhänger von Lützen gestellt werden. Im Gedränge einer der Gedenkfeiern, die jährlich abgehalten wurden und die besonders bei den runden Jubiläen zahlreiche Personen anzogen, könnte einer der schottischen Gäste den Distelanhänger verloren haben.
Text: André Schürger, Eva-Carmen Szabó
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta
Literatur
R. Brzezinski, Lützen 1632. Climax of the Thirty years War (Oxford u. a. 2001).
R. Brzezinski/ R. Hook, Die Armee Gustav Adolfs - Infanterie und Kavallerie (Königswinter 2006).
C. J. Burnett, The export of Scottish heraldic symbolism. In: C. Boudreau/A. Vachon (Hrsg.), Genealogica& Heraldica. Proceedings of the 22nd International Congress of Heraldry, 18-23. August 1996, University of Ottawa / Canada (Ottawa 1998) 339-342
A. Hislop, The Book of Scottish Anecdote; Social, Legendary and Historical (o. O. 2004).
K. Nicol, St Giles’ Cathedral. The Thistle Chapel (o. O. 1998).
M. Reichel/I. Schubert (Hg.), Ausstellungskatalog Gustav Adolf, König von Schweden. Die Kraft der Erinnerung 1632-2007 (Dössel 2007).
V. van den Eynden, Plants as Symbols in Scotland Today. In: M. Pardo-de-Santayana u. a. (Hrsg.), Ethnobotany in the new Europe: people, health, and wild plant resources (o. O. 2010).