›Mit dem Messer ins Jenseits‹ – ein neu entdeckter Reihengräberfriedhof in der Magdeburger Börde
März 2012
Im Dorf Domersleben, circa 20 Kilometer westlich von Magdeburg, wurde im Sommer 2011 anlässlich eines Straßenausbaus eine Rettungsgrabung vorgenommen. Dazu gehörte auch die Untersuchung eines circa 440 Quadratmeter großen geplanten Regenversickerungsbecken. Im Frühjahr 2011 wurden aufgrund bereits bekannter Fundstellen Sondagen durch das mobile Ausgrabungsteam (kurz MAT) des Stützpunktes Heyrothsberge durchgeführt, welches auf Reste von Skeletten und mittelalterlicher Keramik stieß.
Bei der Ausgrabung entpuppten sich die Skelettfunde als Reste eines frühmittelalterlichen Reihengräberfeldes mit West-Ost-Orientierung (Abbildungen 3 und 4).
Von den 37 Gräbern mit Skelettresten fand sich bei zwei Gräbern (Befunde 61 und 62) jeweils eine Messer-Beigabe (Abbildungen 1 und 2 und 5).
Die Gräber aus der Zeit zwischen 500 und circa 800 zeichnen sich in der Regel durch mitunter reiche Beigabenausstattung aus Waffen, Schmuck oder Gebrauchsgegenständen aus. In Domersleben sind allerdings bis auf zwei Gräber mit Messerbeigaben alle anderen beigabenlos.
Die Knochenerhaltung bei allen Skeletten erwies sich als relativ gut, vorhandene Beschädigungen waren meist durch die von Baggern angewendete Abhubtechnik erfolgt (Abbildung 5). Allerdings sind bei wenigen Gräbern auch Störungen in der Hüftregion oder am Oberkörper des Bestatteten festgestellt worden, die nicht durch den Bagger erfolgten, sondern älter waren.
Wenn Störungen durch Wühltiere ausgeschlossen werden, kommen nur noch gezielte Eingriffe in die ehemals noch obertägig sichtbaren Gräber durch den Menschen in Frage. Das könnte auf Beigabenraub hinweisen. Die Ausdehnung des Friedhofes war nicht feststellbar, aber ist vor allem nach Norden zur Straße hin sehr wahrscheinlich, wo sich die Grabfunde verdichteten (Abbildung 6).
Weitere Reste von 19 Individuen wurden ohne eindeutige Grabzugehörigkeit aufgedeckt. Diese wurden durch hoch- bis spätmittelalterliche Siedlungsaktivitäten gestört. Das bezeugen auch die menschlichen Knochen aus insgesamt 41 Siedlungsgruben. Aus dem Rahmen fielen zwei Tierskelette (Reste eines Hundes und eines Schweines) - offensichtlich Entsorgungen aus der jüngsten Zeit.
Die Befunde lagen in der hier anstehenden Schwarzerde und reichten oft bis in die darunter liegenden, pleistozänen, Lösse hinein. Bei den Siedlungsgruben wurden sowohl reine Erdgruben ohne Funde als auch Abfallgruben und außergewöhnliche Gruben beobachtet.
Unter letzteren fällt eine »Werkstattgrube«, in der mehrere Kilo Eisenschlacke sowie Holzkohle, Fragmente hochmittelalterliche Kugeltöpfe sowie Reste eines Lehmkuppelofens geborgen wurden (Abbildung 7). Leider ging der Befund in die Schnittkante über.
Unmittelbar neben diesem Befund wurde ein Schacht entdeckt, der offensichtlich bis in das Grundwasser hinunter abgetieft wurde und wohl als Brunnenbohrung aufgefasst werden muss (Abbildung 8). Eine Fassung oder Verschalung wurde nicht festgestellt. In der Verfüllung fand sich allerdings ein Bruchstück einer teilgebrannten Lehmplatte mit einer glatten, ebenen Fläche – offensichtlich Teil des vermutlich gleichen ehemaligen Lehmkuppelofens wie in der Werkstattgrube nebenan.
Eine weitere Abfallgrube (Befund 43) im Schnitt 5 fällt ebenfalls aus dem üblichen Spektrum heraus. Hier wurden neben zahlreichen spätmittelalterlichen Keramikfragmenten (darunter zwei fast komplette Gefäße) ein Spinnwirtel aus Ton sowie Reste von menschlichen Skeletten geborgen, die aus mutmaßlich zerstörten Gräbern stammten (Abbildungen 9 und 10).
Durch den nördlichen Bereich der Fläche 1 zog sich von Ost nach West ein circa drei Meter (von der Geländeoberkante) tiefer Spitzgraben, der im Spätmittelalter offensichtlich die Siedlung abgrenzte (Abbildung 11). Dieser Graben ist durch drei Profile im Verlauf dokumentiert worden. Auch Steinfundamente für einen mutmaßlichen Übergang über den Graben wurden aufgedeckt.
Im südöstlichen Teil der Fläche wurden zudem noch Reste eines ehemaligen Weges mit Kieselpflasterung festgestellt, der ebenfalls von Osten nach Westen verlief (Abbildung 12). Zahlreiche Funde zwischen, neben und unter den Kieseln weisen diesen ebenfalls in das Spätmittelalter.
Gewichtige Hinweise deuten auf eine Anlage des Friedhofs um 800 nach Christus, also an das Ende der Gruppe C (nach Stein 1967) beziehungsweise Stufe 4 bis 5 (nach Kleemann 1991). In diesen Horizont fällt mit der Aufgabe der Beigabensitte der Übergang von der Merowinger- zur Karolingerzeit. Um diese Datierung zu bestätigen wurden von den zwei Messergräbern je eine Probe zur Radiocarbon-Datierung in ein Labor weitergegeben.
Bei den Funden aus den Siedlungsgruben können die Kugeltopffragmente als bislang älteste mittelalterliche Keramiken in das 9. bis 10. Jahrhundert gestellt werden. Häufig fand sich auch die typische graublaue Keramik, die im Magdeburger Raum frühestens ab dem 13. Jahrhundert bis ins 15. Jahrhundert auftritt. Auch glasierte Ware und rotbraunes Steinzeug sind hier erst frühestens im späten 13. Jahrhundert verwendet worden.
Die Grabungsfläche des Auffüllbeckens ergab eine unerwartet große Fülle an Befunden und Funden. Trotz des Zeitdruckes, unter dem das Team der Rettungsgrabung stand und trotz der wiederholten Überschwemmungen der ganzen Fläche durch ergiebige Regenschauer konnten die wesentlichen Befunde gesichert und die meisten Funde geborgen werden. Damit ist nicht nur für wissenschaftliche Erforschung der mittelalterlichen Archäologie und Geschichte in der Magdeburger Börde ein wichtiger Baustein erschlossen worden, sondern auch ein bislang unbekannte Kapitel in der Domerslebener Dorfgeschichte aufgeschlagen worden.
Text: Bernhard Lück
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
J. Kleemann, Grabfunde des 8. und 9. Jahrhunderts im nördlichen Randgebiet des karolingischen Reiches (Bonn 1991).
H. Rempel, Reihengräberfriedhöfe des 8. - 11. Jahrhunderts. Teil 1 (Berlin 1966).
F. Stein, Adelsgräber des achten Jahrhunderts in Deutschland (Berlin 1967).
H. J. Stoll, Zur Keramik mit Bleiglasur der Stadtkerngrabung Magdeburg . ZfA 14, 1980, 249-270.