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Schädelverletzung und reiche Beigaben – die Bestattung eines schnurkeramischen Kriegers aus Wennungen

August 2015

Innerhalb der Trassengrabung der ICE Neubaustrecke Erfurt-Halle/Leipzig wurde nahe der Ortschaft Wennungen eine große Anzahl schnurkeramischer, glockenbecherzeitlicher und Aunjetitzer Gräber entdeckt. Diese gruppierten sich in insgesamt zehn Gräbergruppen, die wohl größtenteils tatsächliche Gräbergruppen darstellen. Die Bestattung 5351 lag innerhalb der Gräberguppe 9, die neben zwölf schnurkeramischen Gräbern auch fünf glockenbecherzeitliche und vier Steinkisten der Aunjetitzer Kultur enthielt (Fröhlich, Kegler 2012, Abb. 4). Die Bestattung 2351 wurde als rechter Hocker in Ost-West-Orientierung mit Blick nach Süden mit stark angehockten Beinen niedergelegt (Abbildung 1). Der linke Unterarm ist nur leicht, der rechte dagegen stark angewinkelt. Dabei kam die Hand im erhöhten linken Schulterbereich zu liegen. Der gesamte sichtbare Mittel- und Vorderhandbereich der rechten Hand ist im anatomischen Kontext verlagert und liegt im Bereich des Thorax. Der gesamte Körper wirkt nach rechts verkippt, besonders deutlich ist dies im Beckenbereich erkennbar. Eine Grabgrube war nicht erkennbar, daher ist davon auszugehen, dass die Bestattungsgrube in den homogenen Löss eingetieft wurde und mit Löss wieder verfüllt wurde. Die Lageveränderungen im Grab deuten daraufhin, dass ein Hohlraum existiert hat, der durch eine Bretter- oder Balkenlage gebildet wurde. Nachdem die Abdeckung vergangen war, drang Löss in den Grabraum ein und die Grube wurde vollständig verfüllt.

Die Beigaben

Die Bestattung war mit einem reichen Beigabenensemble ausgestattet (Abbildung 2). Neben den üblichen Beigaben einer schnurverzierten Amphore und eines Bechers, der auf der Mündung stehend deponiert worden war, wurde ein weitere kleiner Becher mit Stichverzierung und eine Steinaxt neben dem Toten niedergelegt. Die Steinaxt war offenbar während ihrer Nutzungszeit stark überarbeitet worden (Abbildung 3). Nachdem die Schneide beschädigt war, wurde das Stück neu geschliffen und ein stumpfer Schneidenwinkel angelegt. Dies führte zu einer Verkürzung der Axt, die das Stück gedrungen wirken lässt. Außer der Axt wurden ein kleines flaches Beil und zwei Silexwerkzeuge, ein Bohrer und eine retuschierte Klinge (Abbildung 4) sowie ein Tierknochen als Beigabe deponiert. Auffällig ist die Beigabe einer Reibeplatte, die von beiden Seiten stark benutzt und an den Rändern überarbeitet wurde (Abbildung 5). Während die Amphore vor dem Gesicht des Toten platziert wurde, lagen die übrigen Beigaben auf der Höhe des Hinterkopfes. Dabei war die Reibplatte zentral deponiert, die beiden Becher und der Tierknochen auf der rechten, das Steinbeil und die retuschierte Klinge auf der linken Seite sowie das kleine Beil und der Bohrer oberhalb (Abbildung 1).

Der Tote

Die Bestattung selbst war gut erhalten und weist nur an den Gelenkenden sowie an Wirbeln und Rippen Verwitterungsschäden auf. Sowohl anhand der Beigaben und der Orientierung als auch der anthropologischen Merkmale an Schädel und Becken lässt sich das Skelett als eindeutig männlich bestimmen. Das Lebensalter kann aufgrund der Abnutzungserscheinungen an verschiedenen Gelenkbereichen, dem Abschliff der Zähne und dem Verschluss der Schädelnähte als circa 40 bis 50 Jahre angeben. Es handelt sich demnach bei der bestatteten Person, um einen spätadult-maturen Mann mit kräftig ausgeprägten Muskelansätzen an Armen und Beinen.  

Die Schädelverletzung

Bereits bei der Freilegung wurde ein runder Defekt auf der linken Schädelseite registriert (Fröhlich, Kegler 2012, 71-72) (Abbildung 6). Während der vollständigen Freilegung und Präparation der als Blockbergung gesicherten Bestattung wurde der Schädel entnommen, der circa drei Zentimeter große Defektbereich gereinigt und intensiv untersucht und dokumentiert. Die Ränder sind unregelmäßig bis glatt verrundet und weisen schräg nach innen (Abbildung 7). Der Boden des Defektes ist verschlossen. Es handelt sich dabei um eine verheilte Hiebverletzung die aufgrund der Ausformung des Defektes durch ein Objekt mit rundem Querschnitt erfolgt sein muss (zum Beispiel dem Nacken einer Axt). Dabei wurde ein Knochenstück aus dem Zusammenhang getrennt und ins Innere des Schädels getrieben. Die ursprünglich terrassenartig eingebrochenen Defektränder sind im unteren Bereich vermutlich geglättet worden. Trotz des Eindruckes einer tiefen Depression exokranial (6,5 Millimeter Tiefe) ist endokranial nur eine schwache dellenförmige Veränderung erkennbar (3,8 Millimeter).

Obwohl der vordere Ast der mittleren Hirnhaut-Arterie (Arteria meningea media) von der Verletzung betroffen ist und von einer Schwellung in Folge eines Hämatoms auszugehen ist, erfolgte keine Trepanation. Es ist zu vermuten, dass die Person zwar zeitweise Ausfallerscheinungen zeigte, die Symptome aber einen Eingriff nicht notwendig erscheinen ließen. Die im vorderen Bereich des Defektes verlaufenden Kranznaht (Sutura coronalis) sorgte vermutlich aufgrund der in diesem Bereich besonders großen Stabilität dafür, dass der Schlag nicht tiefer in das Schädelinnere eindrang und tödlich Folgen hatte. Die Verletzung wurde längere Zeit überlebt und die Heilung verlief ohne erkennbare Komplikationen. Der Befund fügt sich in eine Reihe ähnlicher Verletzungen, die meist überlebt wurden, ein. Es liegt nicht nur anhand der Grabbeigaben von Äxten bei Männern nahe zu vermuten, dass in der Schnurkeramik, Krieger eine besondere Rolle in der Gesellschaft einnahmen. Das Auftreten von Schädelverletzungen und -öffnungen (Trepanationen) die vor allem auf den seitlichen Schädelregionen vorkommen und die nach bisherigen Erkenntnissen wohl häufig zur Behandlung von Schädelverletzungen durchgeführt wurden, macht deutlich, dass eine regulierte, möglicherweise sogar ritualisierte Kampfweise existierte (Meller u.a. 2015). Neben diesen vielleicht als Zweikämpfe zu deutenden Auseinandersetzungen kam jedoch auch eine »entgrenzte« Form der Gewalt vor, die sich zum Beispiel bei den Gräbern von Eulau zeigt, bei der eine eindeutige und vorsätzliche Tötungsabsicht nachweisbar ist (Meyer u.a. 2009).

Weitere krankhafte Veränderungen

Neben der verheilten Schädelverletzung lassen sich am Körperskelett weitere und zum Teil gravierende krankhafte Veränderungen erkennen. Im gesamten Bereich des rechten Femur sind deutliche Veränderungen der Knochenoberfläche erkennbar (Abbildung 8). Das Femur wirkt unregelmäßig aufgetrieben und weist auf allen Seiten neben der glatten, verdickt wirkenden Oberfläche eine schwammartige Struktur auf. Deutlich erkennbar ist, dass die Strukturen auf der glatten Knochenoberfläche ansetzen. Im oberen Bereich des Schaftes liegt eine Art Knochenspange vor. Nach der computertomografischen Untersuchung, die am Universitätsklinikum in Halle durchgeführt wurde, ist weder eine verheilte Fraktur noch eine Schädigung des Markraumes erkennbar. Derzeit ist noch unklar ob es sich um eine unspezifische Entzündung oder ein Verknöcherungs-Phänomen handelt. In jedem Fall dürfte aber eine Verletzung der umgebenden Weichteile der Auslöser für diese Erscheinung sein.
Das rechte Hüftgelenk war sicherlich infolge der Knochenveränderungen stark deformiert (Abbildung 9), dennoch zeigt die Erweiterung der Gelenkflächen, dass das Bein keineswegs geschont wurde. Es ist daher davon auszugehen, dass trotz des akuten und sicherlich schmerzhaften Prozesses das Bein weiter belastet wurde. Eine weitere isolierte Knochenwucherung ist am linken Oberarm erkennbar. Auch dies ist wahrscheinlich auf eine Muskelverletzung zurückzuführen.

Neben dieser massiven Erkrankung liegen auch sogenannte degenerative Skelettveränderungen vor, die zum einen auf das höhere Lebensalter der bestatteten Person hindeuten und zum anderen auf Belastungsmuster, die Brust- und Lendenwirbelsäule betreffen. In den betreffenden Wirbelabschnitten liegen arthrotische Veränderungen vor, die auf eine Annutzung der Zwischenwirbelscheiben hindeuten. Zusätzlich sind Veränderungen im Bereich des Beckens beziehungsweise im Kreuzbein und am Schlüsselbein feststellbar. Die Zähne weisen einen starken Abschliff vor allem im Bereich der Frontzähne auf. In diesem Bereich ist der Abschliff so stark, dass vom Zahnschmelz weniger als ein Millimeter verblieben ist beziehungsweise dieser vollständig fehlt. Dies ist jedoch nicht auf krankhafte Veränderungen zurückzuführen sondern auf eine Nutzung der Zähne in diesem Bereich als Werkzeug. So führt zum Beispiel das Weichkauen von Leder zu entsprechenden Abnutzungserscheinungen. Neben diesen Abnutzungserscheinungen können jedoch auch eine tiefe Karies im Bereich der Zahnkrone des zweiten Backenzahnes der rechten Unterkieferseite nachgewiesen werden. Der erste Backenzahn ist wenige Wochen vor dem Tod der Person ausgefallen, wie der teilweise bereits wieder verschlossene Kieferknochen erkennen lässt. Ob auch in diesem Bereich eine starke Karies zu einer Entzündung geführt hat, die das Ausfallen des Zahnes bewirkt hat, lässt sich nur vermuten.

Die Präparation des Blockes

Der durch das Hochwassergeschädigte und nur teilweise freigelegte Befund wurde zunächst oberflächlich gereinigt, nachdem er unmittelbar nach dem Hochwasser Ereignis 2013 die Schimmelbildung beseitigt worden war (Abbildung 10). Nach Entfernung der Zellstoff- und Gips-Reste wurde der gereinigte Zustand dokumentiert und die Oberfläche vollständig freigelegt (Abbildung 11). Nachdem der Zustand dokumentiert wurde, konnten die Beigaben sowie die für die weitere Untersuchung notwenigen Skelettbereiche (Schädel mit verheilter Hiebverletzung und krankhaft veränderter Oberschenkel) aus dem Befund entnommen, um sie gesondert zu dokumentieren und näher zu untersuchen (Abbildung 12). Zudem wurden sowohl an der Keramik als auch an den menschlichen Resten Proben entnommen, die zur weiteren Untersuchung der Inhaltsstoffe der Gefäße, sowie der aDNA, Isotopenanalyse zur Ernährungsrekonstruktion, der regionalen Herkunft der Person sowie zur Radiocarbon-Datierung dienen.

Nach der Sicherung der Oberfläche wurde der Block um 180 Grad gedreht und die Rückseite abgegraben (Abbildung 13). Dabei wurde das Skelett vollständig von der aufliegenden Seite freigelegt und ein Großteil des Befundes freipräpariert(Abbildung 14). Um den Skelettbefund präsentieren zu können, wurde ein Fensterausschnitt festgelegt und das umgebende Sediment noch einmal stabilisiert, um ein Reißen der Oberfläche zu verhindern. Die Arbeiten an der Rückseite des Befundes werden in den nächsten Wochen abgeschlossen sein und der Befund anschließend erneut auf die Vorderseite gedreht, um die entnommenen Beigaben und Skelettteile wieder einzufügen. Der Fund wurde vom 6. November 2015 bis 22. Mai 2016 in der Ausstellung »Krieg – eine archäologische Spurensuche« präsentiert.

Die Dokumentation der Funde und des Blockes

Die bestmögliche Aufnahme einer solchen Bestattung ist ein dreidimensionales Abbild. Eine moderne Form des 3D-Scans ist »Structure from Motion« (Kersten u.a. 2012). Es werden hochaufgelöste 3D-Modelle aus einfachen Digitalfotos berechnet. So werden derzeit alle Blockbergungen im Projekt zur Aufarbeitung der Hochwasserschäden dokumentiert. Aus circa 100 bis 150 Digitalfotos werden am PC hoch aufgelöste 3D-Punktwolken errechnet (Abbildung 15). Die Auflösung aus mehreren Millionen Punkten pro Bildsequenz kommt modernem HighTech 3D sehr nahe, kostet aber nur einen Bruchteil. Alleine die Oberseite der Wennunger Bestattung wurde mit elf Millionen errechneten Punkten aufgenommen.

Die Informationsdichte ist so hoch, dass sie für die Weiterverarbeitung wieder deutlich reduziert werden muss. Vor allem die anthropologischen Befunde, wie die Schädelverletzung aber auch die Beigaben können im 3D-Modell untersucht und vermessen werden (Abbildung 16). In dem beiliegenden Video ist bereits ein Arbeitsstand dargestellt. Anschließend werden weitere Aufnahmen in 3D miteinander kombiniert und kartiert, so entsteht im virtuellen Raum das, was bislang die archäologische Zeichnung war. Die Vorteile, der besseren Interpretierbarkeit des Befundes, werden noch von der Effizienz überwogen. Die Aufnahme der über 150 Digitalfotos dauert nur wenige Minuten, die Berechnung der Geometrie kann über Nacht ablaufen. Die Nachbearbeitung der 3D-Modelle findet ausschließlich mit Open Source (nicht kommerzieller) Software statt, dies hat neben den Kosteneinsparungen vor allem Vorteile bezüglich der Langzeitarchivierung von Arbeitsdateien. Darüber hinaus kommen in der Nachbearbeitung geometriesparende Methoden wie Texturierung und »normal Mapping« zum Einsatz. So sind alle 3D-Daten auch an einfachen Bürorechnern zum Beispiel im pdf-Format interaktiv nutzbar.

Text: Jörg Orschiedt, Lukas Fischer
Online-Redaktion: Julia Kruse, Anja Lochner-Rechta

Literatur

M. Fröhlich/ J.F. Kegler, »Memento moriendum esse – Bedenke, dass du sterben musst.« Der Umgang mit dem Tod in der Stein- und Bronzezeit. In: M. Becker/ K. W. Alt/ B. W. Bahn/H.-J. Döhle u.a.(Hrsg.), Neue Gleise auf alten Wegen I. Wennungen und Kalzendorf. Archäologie in Sachsen-Anhalt, Sonderband 19, (Halle/Saale 2012) 63-84.

T. Kersten/M. Lindstaedt/K. Michelke/K. Zobel, Automatische 3D-Objektrekonstruktion aus unstrukturierten, digitalen Bilddaten für Anwendungen in Architektur, Denkmalpflege und Archäologie. Publikationen der deutschen Gesellschaft für Photogrammetrie, Fernerkundung und Geoinformation e. V. 21, 32. Wissenschaftlich-Technische Jahrestagung der DGPF, 2012, 137-148.

H. Meller/N. Nicklisch/J. Orschiedt/K. W. Alt, Rituelle Zweikämpfe schnurkeramischer Krieger? In: H. Meller/M. Schefzik (Hrsg.), Krieg - eine archäologische Spurensuche. Begleitband zur Sonderausstellung vom 6. November 2015 bis 22. Mai 2016 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Darmstadt 2015) 185-189.

C. Meyer/G. Brandt/W. Haak/R. A. Ganslmeier/H. Meller/K.W. Alt, 2009, The Eulau eulogy: Bioarchaeological interpretation of lethal violence in Corded Ware multiple burials from Saxony-Anhalt, Germany. Journal of Anthropological Archaeology 28, 2009, 412-423.

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