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Ein archäologischer Weihnachtsgruß vom Petersberg – soviel Archäologie steckt in modernen Fundstücken

Dezember 2015

Der Petersberg gehört zur gleichnamigen Gemeinde Petersberg, etwa 10 Kilometer nördlich von Halle (Saale) gelegen. Sein Umland dient zahlreichen Besuchern als naturverbundenes Naherholungsgebiet. Von einem Landschaftsschutzgebiet umgeben, gilt der Berg nach landläufiger Meinung mit einer Höhe von 250 Meter über Normalnull als höchste Erhebung auf seinem Breitengrad zwischen Harz und Uralgebirge (Abbildung 1). Mehrere Hügel in Polen und Russland überragen den Petersberg jedoch um Einiges. Die Klosterruine der im 12. Jahrhundert errichteten Pfeilerbasilika, die St.-Peters-Kirche und der Funkturm mit Nebengebäude sind bei gutem Wetter weithin sichtbare Landmarken.

Seit dem Jahr 2011 findet jeden Herbst an der Ruine des »Hospizes« des Klosters ein Geländepraktikum des Masterstudiengangs »Heritage Management« der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und der Hochschule Anhalt statt. Ziel der Lehrveranstaltung, unterstützt durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt, ist die Einführung in die praktische Feldarbeit der Bauforschung verbunden mit einer modernen archäologischen Denkmalpflege. Zum Projekt zählt deshalb ein mehrwöchiges Bauforschungs- und Ausgrabungspraktikum, das um eine Aufbereitungsübung ergänzt wird. Während der damit verbundenen Ausgrabung sollen Grundsätze der archäologischen Grabungstechnik vermittelt werden (Abbildung 2). Die Übung zur Aufarbeitung beinhaltet Fundbehandlung, Grabungsbeschreibung und die Erstellung aller notwendigen Dokumentationsbestandteile nach den Richtlinien des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt.

Die ersten Arbeiten bestanden in der Freilegung der Oberflächen durch Absammeln der Lesesteinhaufen. Nach der Absteckung der Grabungsflächen begann der Abtrag in den Schnitten an der Süd- und Ostseite der Ruine. Ziel war es hier mittels archäologischer Methodik Bau- oder Nutzungsniveaus des Hospizgebäudes aufzufinden und zu dokumentieren. Ein weiteres damit verbundenes Ziel des Geländepraktikums bestand in der geodätischen Vermessung der Ruine des Hospizgebäudes und der Klosteranlage.
Das Ergebnis der ersten Grabungskampagnen stellte sich dann aber völlig anders dar, als ursprünglich projektiert. Die gewünschten Niveauanschlüsse des Gebäudes an das umliegende Gelände konnten nicht hergestellt werden. Durch Steinraub der Ruine waren zu viele Eingriffe der jüngeren Neuzeit vorhanden, die das direkte Umfeld des Gebäudes zerstört hatten. Ein Hofpflaster, das offensichtlich den Vorplatz eingenommen hatte, konnte zwar flächig nachgewiesen werden, doch besteht auch nach der vierten Grabungskampagne kein Gebäudebezug. Den Funden nach zu urteilen, ist das Pflaster der jüngeren Neuzeit zuzuordnen.
Spektakulär sind hingegen Funde der mittleren Altsteinzeit und der absolut jüngsten Vergangenheit. Unter dem Pflaster folgt ein dünner Rest eines Humus, der sehr schnell in die mit pleistozänen Sedimenten gefüllten Spalten des Quarzporphyrs übergeht. Aus diesen Spalten konnten, trotz der relativ begrenzten Grabungsfläche, bislang einige hundert spätmittelpaläolithische Artefakte geborgen werden.

Der Fund des Monats ist aber der jüngsten Neuzeit zu verdanken. Durch das sorgfältige Aussortieren aller Funde, nicht nur der prähistorischen oder mittelalterlichen Artefakte wurde während unserer Ausgrabungen sehr schnell deutlich, welches Potential auch moderner »Schrott« beziehungsweise »Müll« für eine »kulturhistorische« Auswertung in sich trägt, der aus allen Schnitten in großer Zahl geborgen werden konnte. Neben Kronkorken, Plastikeislöffeln, russischen Militärabzeichen, Münzen der letzten 200 Jahre und vielen weiteren Hinterlassenschaften unzähliger »Zeltlager« oder »Feiern«, fand sich im südlichsten Schnitt, wenige Meter unterhalb der auch von uns genutzten Sitzbank des Aussichtspunktes eine circa 30 Zentimeter tief im Humus vergrabene Kunststoffdose (Abbildung 3). Der Fund dieser Dose war zunächst nicht allzu verwunderlich, hatte die Grabung doch bisher unzählige Plastikfragmente erbracht, die auf »Grillpartys« schließen ließen. Außer einem Riss an dem mit einem »Smiley« bedruckten Deckel und geringfügigen oberflächigen Erdanhaftungen wies die rund elf mal elf mal 4,5 Zentimeter große Kunststoffdose einen materialtypisch guten Erhaltungszustand auf.

Der Fund wurde von den Studenten aus dem angelegten Schnitt (Abbildung 4) zunächst »geborgen«, aber verständlicherweise als »unwichtig« erachtet bis jemand feststellte, dass etwas in der Dose »klapperte«, und daraufhin die Dose öffnete. Ihr Inhalt unterschied sich dann erheblich von den sonst üblichen, weggeworfenen oder verlorengegangenen Gegenständen. In dem Kunststoffbehälter lag, weich gebettet auf Zellstoffpapier, ein gläserner roter Anhänger in Herzform, der per Hand mit einer Inschrift versehen worden war (Abbildung 5). In weißen Lettern steht auf jeweils einer Seite geschrieben:

»11.6.07 – Wer das Herz findet, der soll niemals aufhören dafür zu kämpfen.« (Abbildung 6)
»Das Herz soll man lieben, daran glauben und die Hoffnung NIE aufgeben.« (Abbildung 7)

Der plastisch geformte, herzförmige Anhänger besteht aus rotem, dickwandigem Glas und ist mit einer metallenen Aufhängung in Form einer mit Bögen verzierten glockenförmigen Abdeckung und einem damit verbundenen Metallring versehen. Die Maße des Anhängers betragen etwa sechs mal sieben Zentimeter. Außer leichten Patinierungs- und Rosterscheinungen an der Aufhängung ist der Erhaltungszustand des Anhängers als sehr gut zu bezeichnen. Am Metallring sind noch die Reste einer weißen, verknoteten Schnur vorhanden, die zeigen, dass der Anhänger einstmals wahrscheinlich auch tatsächlich aufgehängt worden ist. Eine Internetrecherche ergab, dass herzförmige Glasanhänger in dieser und in ähnlicher Form üblicherweise als Christbaumschmuck erhältlich sind. 

Dank dem verzeichneten Datum lässt sich die Beschriftung des Herzens exakt auf den 11. Juni 2007 datieren. Geht man von der (sehr wahrscheinlichen) Angabe eines aktuellen Datums durch den Urheber aus, ergibt sich daraus auch, dass der Behälter an diesem Tag oder kurze Zeit nach diesem Datum an der späteren Fundstelle am Petersberg absichtlich vergraben wurde. Archäologen bezeichnen einen solchen Fall (ein bestimmtes Ereignis hat sich nach einem sicher bestimmbaren Zeitpunkt ereignet) mit dem lateinischen Begriff »terminus post quem«.

Da sowohl die Handschrift aufgrund der runden und weichen Linienführung als auch das rote Glasherz selbst einem eher weiblichen Duktus entsprechen, deutet einiges darauf hin, im Urheber eine weibliche Person zu vermuten. Die sehr persönliche Aufschrift zeigt ohne Zweifel, dass es sich hier um eine bewusste Deponierung handelte. Genau wie bei vorgeschichtlichen archäologischen Funden deponierter Objekte bleiben auch hier viele Fragen offen: Wer beschriftete das Herz und vergrub es danach? Was bewog ihn (oder sie) zu dieser Entscheidung? Welche Bedeutung hatte der Ort der Niederlegung? Richtete sich die Botschaft an eine bestimmte Person oder war sie allgemeiner Natur? War das Vergraben eine symbolisch gemeinte, endgültige Handlung oder wünschte sich der Deponierende, dass das Herz eines Tages wiedergefunden würde? In welchem Rahmen fand die Niederlegung statt? Diente die Kunststoffdose mit »Smiley« lediglich zum Schutz des Herzens oder verband sich auch mit ihr eine ganz persönliche Geschichte oder Bedeutung?

Dass für die Deponierung mitten im Frühling/Sommer des Jahres 2007 ein weihnachtliches Dekorationselement verwendet wurde, kann sicher mit dem hohen universellen Symbolwert der Herzform begründet werden. Offensichtlich war es dem Urheber ein besonderes Anliegen und eine buchstäbliche »Herzensangelegenheit«, diese Botschaft auf dem Glasherz aufzubringen. Die Deponierung erfolgte wahrscheinlich im Rahmen eines kleinen zeremoniellen Aktes mit hohem symbolischem Stellenwert. Da die Person dafür offensichtlich auch geeignetes Grabgerät, etwa einen Spaten, mitbringen musste, handelte es sich bei der Aktion auch nicht um eine spontane, sondern um eine geplante und vorbereitete Handlung. Daraus lässt sich ferner ableiten, dass der Ort der Niederlegung nicht zufällig sondern gezielt ausgewählt worden war und daher vermutlich in konkretem Bedeutungszusammenhang mit der Niederlegung steht.
Die Funktion als Weihnachtsbaumschmuck ist in diesem Fall offensichtlich zweckentfremdet worden, dennoch ist zu Beginn der Weihnachtszeit ein kurzer Blick in die Geschichte des Christbaumschmuckes naheliegend. Die bis ins Mittelalter reichenden Ursprünge des Baumschmuckes sind ab dem 18. Jahrhundert hauptsächlich in Form essbarer Elemente überliefert. Vor allem Äpfel und Nüsse, aber auch Teig- oder Lebkuchengebäck, bunte Blüten aus Papier, später auch Figuren aus Zuckermasse oder Marzipan wurden als Baumbehang verwendet. Baumschmuck aus Glas ist erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts bekannt und soll der Legende nach von einem armen Glasbläser aus dem thüringischen Lauscha erfunden worden sein, der sich die üblichen teuren Walnüsse und Äpfel nicht leisten konnte. Die zu Beginn noch charakteristischen bunten Glaskugeln wurden erst mit dem Einsetzen der industriellen Produktion von Weihnachtsbaumschmuck nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend durch eine größere Vielfalt von Formen und Figuren ersetzt.

Trotz seines modernen Alters wurde das rote Glasherz mit seiner Deponierung durch eine bisher unbekannte Person und der späteren Ausgrabung am Petersberg zu einem außergewöhnlichen archäologischen Fundobjekt gemacht, das zeigt, dass archäologische Strukturen durch uns Menschen jeden Tag von neuem entstehen – es liegt an uns, sie als historische Quellen zu verstehen und entsprechend zu würdigen (Abbildung 8).


Text: Jan Weinig , Norma Literski-Henkel
Online-Redaktion: Maria Albrecht, Anja Lochner-Rechta

Literatur

Manfred Klauda. Die Geschichte des Weihnachtsbaumes, Zentrum für außergewöhnliche Museen (München 1993).

Museum für Volkskunde Berlin (Hrsg.), Christbaumschmuck, Katalog (Berlin 1992).

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