Kleine Klaus mit großer Bedeutung - Karolingisch-ottonische Schmuck- und Trachtstücke aus Helfta
Mai 2022
Die »Kleine Klaus« oberhalb Helftas (Ortsteil von Lutherstadt Eisleben, Landkreis Mansfeld-Südharz) bietet heute eine schöne Aussicht bis nach Eisleben und zum Süßen See, ansonsten jedoch wenig Auffälliges. Tatsächlich aber ist die Anhöhe ein Brennpunkt der mittelalterlichen Landesgeschichte: Buchstäblich übereinander liegen hier die Relikte einer fränkischen Burg der Karolingerzeit, einer ottonischen Königspfalz mit einer von Otto dem Großen vor 968 gestifteten Kirche, der hochmittelalterlichen Vorgängersiedlung Helftas und der hoch- und spätmittelalterlichen Burg gleichen Namens.
Darüber berichten Schriftquellen, deren präziser Ortsbezug lange ungewiss war. Jahrzehntelange Bemühungen der Heimatforschung und der Landesarchäologie, die im Jahre 2021 in ausgedehnten Feldforschungen auf der »Kleinen Klaus« gipfelten (Abbildungen 1 und 2), haben Licht ins Dunkel gebracht: Unter dem Maisacker, so erwiesen geophysikalische Prospektionen und Ausgrabungen, sind zahlreiche Relikte mächtiger Wall-Grabenbefestigungen, von Siedlungsgruben, Kellern und anderweitigen Bauwerken erhalten, nicht zuletzt auch die Fundamente der Kirche Ottos des Großen und zahllose Gräber. Hinzu treten, neben jungsteinzeitlichen Funden, auch die Relikte einer intensiv genutzten, möglicherweise befestigten Siedlung der vorrömischen Eisenzeit.
Die vielfältigen Ergebnisse der letztjährigen Ausgrabungen werden derzeit ausgewertet, weitere Untersuchungen sind in diesem Sommer vorgesehen. Der Berg wird die archäologische Forschung noch geraume Zeit beschäftigen. Schon jetzt wird Helftas Bedeutung in der Karolinger- und Ottonenzeit in den zahlreichen schönen Schmuck- und Trachtstücken aus Metall erkennbar, die die Prospektionen und Grabungen von 2021 geliefert haben: Fibeln bzw. Gewandspangen, Ohr- und Fingerringe, Gürtelbeschläge und Ähnliches. Sie entstammen zunächst als Streufunde dem Oberboden und sind wohl von ihren ehemaligen Eigentümern im Siedlungsterrain verloren worden. Teilweise dürften sie aus Gruben und Kellern aufgepflügt worden sein. Etliche Fibeln und Schmucksachen fanden sich aber auch in Bestattungen (Abbildung 3).
Man hatte sie den Verstorbenen als Zier und Kleidungselemente beigegeben oder belassen. Die beiden hier präsentierten Riemenzungen gehören in die Karolingerzeit, genauer in die zweite Hälfte des 8. Jahrhunderts und das 9. Jahrhundert. Sie wurden 2021 durch ehrenamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt bei umfangreichen, die Grabung begleitenden Metalldetektorprospektionen auf der Anhöhe gefunden. Die Trachtbestandteile aus vergoldetem Buntmetall beeindrucken durch ihre reiche Verzierung in Tierornamentik: Die zierliche Riemenzunge von lediglich 2,5 Zentimeter Länge – der Endbeschlag eines Leibriemens oder Wehrgehänges – zeigt ein hockendes, rückwärts blickendes Tier mit mandelförmigem Auge, spitzen Ohren und langer Schnauze, dessen Oberschenkel wie Spiralen ausgebildet sind (Abbildung 4); anscheinend dachte der Künstler an ein kauerndes Rehkitz.
Die große Riemenzunge (4,8 Zentimeter Länge), die zu einem Leibgurt gehört haben wird, ist flächig mit überbordendem Flechtbanddekor versehen, in das Pflanzen und schlangenförmige Wesen eingewoben sind (Abbildung 5). Im endseitigen Teil des in zwei Felder gegliederten und mit Randkerben ergänzten, gleichwohl unübersichtlichen Ornaments lässt sich ein Tierkopf mit Auge und Ohr identifizieren. Beide Stücke, besonders deutlich das letztgenannte Objekt, sind dem sogenannten Tassilokelch-Stil zuzuweisen, einem überregional verbreiteten, anglo-irisch beeinflussten Kunststil der frühen und mittleren Karolingerzeit (»insularer Tierstil kontinentaler Prägung«), der nach dem berühmten Prunkgefäß im oberösterreichischen Stift Kremsmünster benannt ist. Neben schmückender Funktion hatten solche Motive auch heilsbringend-schützende Bedeutung etwa als Talisman, die wir heute freilich nur noch teilweise nachvollziehen können.
Die beiden Fundstücke beleuchten die karolingische Phase der »Kleinen Klaus«, als sich hier die im berühmten Zehntverzeichnis der Reichsabtei Hersfeld (880 bis 899) genannte Helphideburg erhob; von hier aus verwalteten und beherrschten die Franken das Umland, einen Teil des Hassegaus. In geophysikalischen Prospektionen wurden die einst starken Wall-Grabenbefestigungen der Burg sichtbar. Diese waren notwendig: Seit der Zerschlagung des Königreichs der Thüringer durch die fränkischen Merowinger in den 530er Jahren war die herrschaftliche Durchdringung der eroberten Gebiete nur schleppend vorangegangen, die politische Situation lange instabil. Erst im 7. und 8. Jahrhundert gelang eine nachhaltige Integration als Ostprovinz ins fränkische Reich, doch gab es weiterhin häufige Konflikte in der Region, in der Siedlungs- und Herrschaftsgebiete von Sachsen, Thüringern und Slawen aneinandergrenzten, aber auch die verschiedenen Großen des Frankenreiches beständig untereinander um Einfluss rangen. Burgen wie die Helphideburg waren Stützpunkte und Instrumente der Herrschaftssicherung und -expansion.
Merowinger und Karolinger wurden Geschichte, die Ottonen traten die Nachfolge an. Aufenthalte des ostfränkischen Königs und römischen Kaisers Ottos I., des Großen (912 bis 973), und seines Sohnes, Ottos II. (955 bis 983), belegen die Rolle Helftas als Königspfalz in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts. In diesen Kontext gehört der 2021 untersuchte Sakralbau: Eine Urkunde von 969 nennt diese Kirche, und der Chronist Thietmar von Merseburg (gestorben 1018) berichtet, dass Otto der Große sie bei seinem Königshof stiftete, der heiligen Thüringerprinzessin Radegundis (gestorben 587) widmen ließ und bei ihrer Einweihung durch Bischof Bernhard von Halberstadt (gestorben 968) persönlich anwesend war.
Bereits die oben angesprochenen geophysikalischen Prospektionen auf der »Kleinen Klaus« hatten Hinweise auf die Lage des heute komplett verschwundenen Bauwerks gegeben. 2021 konnte die mehrphasige Kirche weitgehend freigelegt werden, die sich im Endzustand als etwa 30 Meter lange, dreischiffige und kreuzförmige Basilika mit Querhaus darstellte. Innerhalb des Gotteshauses sowie auf den Friedhofsarealen in ihrem Norden und Süden waren mehrere Hundert Tote bestattet worden, darunter etliche in aufwändig gestalteten Sarkophagen und Grüften. Sie datieren im Schwerpunkt in das 10. bis 12. Jahrhundert, wie einerseits die häufigen, für jene Zeitspanne typischen, anthropomorph gestalteten Grabgruben (sogenannte Kopfnischengräber), andererseits Beigaben des 10./11. Jahrhunderts erweisen: Scheiben-, Brezel-, gleicharmige Fibeln, Riemenzungen, Dreibeeren- und Hakenohrringe, Fingerringe und Ähnliches.
In den Gräbern und auch unter den Streufunden besonders häufig sind Scheibenfibeln wie die beiden hier vorgestellten Stücke (Abbildungen 6 bis 9): Kleine Buntmetallspangen, deren Nadelkonstruktion an einer kreisförmigen Platte von 1,6 bis 2 Zentimeter Durchmesser befestigt war. Auf der Schauseite zeigen sie reiche Emailverzierung: Verschiedenfarbige Glasflusseinlagen in mitgegossenen oder durch dünne Blechstege aufgesetzten Zellen bilden Ornamente, die besonders häufig Varianten von Kreuzzeichen aufweisen. Die Scheibenfibeln dienten mithin nicht nur dem Zweck, die Kleidung ihrer Besitzer – offenbar vorrangig Frauen und Kinder – im Hals- und Brustbereich zu verschließen, und sie waren nicht nur bunt schimmernder Zierrat, sondern auch ein Bekenntnis zum christlichen Glauben. Diese emblematisch-symbolische Funktion wird bei den Beigaben in den Gräbern an der Radegundiskirche besonders wichtig gewesen sein. Die in großen Mengen produzierten Fibeln dieser Art können als typisch für die ottonenzeitliche Tracht gelten, im mitteldeutschen Raum und darüber hinaus. Die Schmuck- und Trachtsachen von Helfta sind mithin reizvolle Vertreter karolinger- und ottonenzeitlichen Kunsthandwerks, zugleich aber auch Zeugen bewegter Zeiten, in denen die »Kleine Klaus« eine große Rolle gespielt hat.
Text: Felix Biermann, Normen Posselt
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
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