Ein aufgezäumtes Pferd in einem Brandgrab der Lausitzer Kultur
Dezember 2023
Obwohl Pferde spätestens seit der mittleren Bronzezeit eine besondere Rolle spielten, sind Funde von Trensenbestandteilen sehr selten. Der Neufund eines trotz seiner Verbrennung ungewöhnlich gut erhaltenen Trensenknebelpaares aus Prettin (Landkreis Wittenberg) gab Anlass, diesen Befund näher zu betrachten und in einen regionalen wie auch überregionalen Rahmen einzubinden.
Am 14. Dezember 2013 wurde im Zuge einer Feldbegehung durch den ehrenamtlich bestellten Bodendenkmalpfleger Dieter Gehlsdorf am östlichen Ortsrand von Prettin, (Landkreis Wittenberg) eine Brandbestattung entdeckt.
Im gepflügten Acker fiel ihm eine Konzentration von Keramikscherben und kalzinierten Knochen auf, die sich in die Tiefe fortsetzte. Unverzüglich wurde der zuständige Gebietsreferent des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt unterrichtet und nur drei Tage später erfolgte die fachgerechte Dokumentation und Bergung des Befundes. Dabei konnte der Rest einer Brandbestattung freigelegt werden, die vermutlich Teil eines kleinen Gräberfeldes ist. Der Befund bestand aus dem Unterteil einer Urne, die noch eine große Menge kalzinierter Knochen enthielt (Abbildung 1).
Im Rahmen der Aufarbeitung des Fundkomplexes in der Restaurierungswerkstatt des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt wurden beim Ausnehmen des Gefäßrestes (Abbildung 2) nicht nur mehrere kleine korrodierte Bronzeblechfragmente und weiterer Bronzeschmelz freigelegt (Abbildung 3), sondern auch einige verbrannte Knochenfragmente, die offensichtlich nicht zum Leichenbrand gehörten, sondern zu geschnitzten Gegenständen. Überraschend war, dass sie sich trotz der Verbrennung zu zwei fast vollständigen Trensenknebeln zusammensetzen ließen.
Dies gab den Anlass, den Leichenbrand genauer untersuchen zu lassen. Frau Dr. Peggy Morgenstern, Archäozoologin in Berlin, stellte dabei fest, dass in der Urne die verbrannten Reste eines adulten und eines subadulten Pferdes niedergelegt worden sind. Menschliche Überreste dagegen fehlen. Es handelt sich bei dem Prettiner Brandgrab demnach um eine Pferdedoppelbestattung mit Zaumzeugresten, denn die neben den Knebeln vorliegenden Fragmente mehrerer Bronzehülsen dürften auf den organischen Bestandteilen des Geschirrs befestigt gewesen sein.
Trensenknebel liegen außen an beiden Seiten des Pferdemaules an und sind über das im Pferdemaul liegende Mundstück verbunden (Abbildung 4). Sie verhindern als Sperre das Durchgleiten des Mundstückes beim einseitigen Zug am Zügel und stellen die Verbindung zum Riemenwerk des Kopfgestells dar. Trensen dienen in erster Linie als Kommunikationsmittel. Als Zwangsmittel, um den Willen der Pferde zu brechen, sind sie dagegen nicht geeignet, was auch die fragil wirkende Ausführung der Prettiner Trensenknebel verständlich macht.
Von den beiden verbrannten Trensenknebeln aus Rothirschgeweih ist ein Exemplar nahezu vollständig (Abbildung 5). Das intakte Exemplar besitzt heute eine Länge von 13,5 Zentimeter (gestreckt: 17,4 Zentimeter).
Typologisch kann das Trensenpaar den vor allem karpatenländischen Zapfenknebeln zugewiesen und dabei als insbesondere dem Typ Spiš nahestehend bezeichnet werden.
Spezifische Merkmale, die das Prettiner Paar ausschließlich mit einigen anderen mitteldeutschen und wahrscheinlich oberschlesischen Trensenfragmenten teilt, lassen jedoch erkennen, dass es sich bei diesen Stücken, die bislang auf die Lausitzer Kultur beschränkt sind, um eine spezielle Weiterentwicklung des mitteldanubischen Typs Spiš an der nördlichen Peripherie seines Verbreitungsgebietes handeln dürfte (Abbildung 6). Diese Merkmale definieren eine bislang unbekannte Sonderform und rechtfertigen angesichts des eng umrissenen Verbreitungsgebietes die Ausgliederung einer neuen Knebelvariante, die nach dem Namen des hier vorgestellten Fundortes als Variante ›Prettin‹ bezeichnet werden soll (Abbildung 7).
Sowohl die Beigaben als auch die typologischen Merkmale der Trensenknebel dieser Variante weisen übereinstimmend auf eine Datierung in die Mittel- und Jungbronzezeit (Periode III/IV beziehungsweise Stufen Bronzezeit D bis Hallstatt A2; Mitte des 14. Jahrhunderts bis um 1100 vor Christus) hin.
Ausgehend vom Prettiner Befund haben die Betrachtungen weiterer Deponierungen mit Pferdeleichenbrand zudem ergeben, dass im Bereich der lausitzisch-sächsischen Gruppe der Lausitzer Kultur offensichtlich zwischen Deponierungen mit den verbrannten Überresten von vollständigen, aufgezäumten Pferden und solchen, die nur in Teilen und mit anderen tierischen oder menschlichen Überresten vermischt niedergelegt wurden, differenziert werden muss.
Ersteren ist in der Regel lediglich ein Transportgefäß beziehungsweise eine Urne beigegeben worden. Dagegen gehören zu den viel häufiger belegten Teildeponierungen von Pferden meist ganze Sätze von Gefäßbeigaben, die der Jenseitsausstattung der zugehörigen menschlichen Toten gedient haben dürften. Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei den Teilniederlegungen von Pferden (und anderen Tieren) um Speisebeigaben handelt, während die Deponierungen vollständiger und aufgezäumter Pferde eher in ihrer Funktion als Reit- oder Zugtier (einzeln oder in Paaren) erfolgt sein dürften. Auch wenn Niederlegungen wie jene von Prettin vielfach separat auf Gräberfeldern angetroffen werden, lässt sich in mehreren Fällen belegen, dass sie im Zusammenhang mit einer menschlichen Beisetzung, mehrfach der Zentralbestattung eines Grabhügels, erfolgt sind. Dies deutet darauf hin, dass die mit Zaumzeugresten verbrannten Pferde innerhalb eines Bestattungsrituals – wohl als Jenseitsausstattung – geopfert worden sind und somit den Status der zu bestatteten Person widerspiegeln.
Text: Michael Schefzik, Torsten Schunke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
N. Boroffka, Bronze- und früheisenzeitliche Geweihtrensenknebel aus Rumänien und ihre Beziehungen. Alte Funde aus dem Museum für Geschichte Aiud, Teil II. Eurasia Antiqua 4, 1998, 81–135.
H.-G. Hüttel, Bronzezeitliche Trensen in Mittel- und Osteuropa. PBF XVI 2 (München 1981).
M. M. Przybyła, New finds of antler cheekpieces and horse burials from the Trzciniec Culture in the territory of western Little Poland. Analecta Arch. Ressoviensia 15, 2020, 103–138.
M. Schefzik/T. Schunke, Ein Trensenknebelpaar aus einem Pferdebrandgrab der Lausitzer Kultur bei Prettin, Lkr. Wittenberg – eine neue Variante mittel- bis jungbronzezeitlicher Pferdetrensen. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 99, 2023, 77–128.