Eine seltene silberne Rollenkappenfibel mit Goldplattierung aus dem Landkreis Anhalt-Bitterfeld – Überlegungen zur Herstellung und Verwendung
März 2023
Über mehrere Jahre hinweg untersuchten die ehrenamtlichen Bodendenkmalpfleger Otto Möbius und Frank Besener die Flächen am Hochufer der Elbe in der Nähe der Stadt Zerbst durch systematische Begehungen mit der Metallsonde. Zahlreiche Funde – neben Metall auch die für die Einordnung unerlässlichen Keramikfunde – der römischen Kaiserzeit und besonders aus dem Früh-, Hoch- und Spätmittelalter sprechen am Fundort für eine intensive Siedlungstätigkeit über viele hundert Jahre. Durch den systematischen und ausdauernden Einsatz und die minutiöse Dokumentationsarbeit der ehrenamtlichen Beauftragten wurde die Grundlage für die folgenden Ausführungen geschaffen.
Zu den Funden der römischen Kaiserzeit gehören neben der hier vorgestellten Rollenkappenfibel auch vier Denare und wenige Fibelfragmente aus Bronze, ferner zwei Fragmente von Armbrustfibeln und ein Fragment einer Fibel mit Kopfkamm aus dem Zeitraum Mitte bis Ende zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus. Der älteste Fund ist ein Stater, auch »Regenbogenschüsselchen« genannt, der Ubier, aus dem späten ersten Jahrhundert vor Christus (Abbildungen 1 und 2). Ein herzlicher Dank an Anika Tauschensky und Ralf Schwarz (beide Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt) für die Bestimmung der Münzen beziehungsweise Fundstücke.
Das herausragende Stück im Fundensemble ist die nur drei Zentimeter lange, silberne Rollenkappenfibel mit Bügelkamm, relativ breitem, bandförmigen Bügel und einem ebenso breiten, geraden Fuß. Die Oberfläche ist komplett mit Goldblech abgedeckt, das vom Kopf bis zum Fuß mit Goldfiligran und Goldgranalien verziert ist. Ihr Gewicht beträgt 10,84 Gramm. Aufgefunden wurde sie in zwei etwa zehn Meter voneinander entfernt liegenden Fragmenten. Sie weisen beschädigte und ausgerissene Bestandteile des Goldes auf (Abbildung 3). Die glatte, moderne Bruchstelle des Bügels liegt unterhalb des Kammes auf dem vorderen Bügelabschnitt. Die Goldauflagen des Bügels zeigt moderne Quetschungen und Abschürfungen. Dadurch fehlen auf der Bügelverzierung drei Rosetten aus Spiraldraht mit Granalie sowie an den Bügelseiten Teile des umgeschlagenen Goldblechs. Am Kamm ist durch den Bruch das Gold zerrissen. Die Filigranauflage des Kamms hat sich nicht erhalten. Dennoch lassen sich die Teile zu einer nahezu vollständigen Fibel rekonstruieren (Abbildung 4).
Die Verzierungen und stilistischen Elemente unseres Exemplars sind in der Region, der mittleren bis oberen Elbe sowie im rhein-wesergermanischen Raum durchaus bekannt. Nur waren sie bisher auf Schmuckstücken oder teilweise in anderer Materialausführung, auch auf anderen Fibeltypen (zum Beispiel Kniefibeln mit Blechauflagen), zu beobachten. Damit fällt für diese äußerst seltene Variante eine genaue typologische Zuordnung nach Oskar Almgren (1923) nicht leicht. Zweifelsfrei kann sie aber zu Almgrens östlicher Hauptserie der Rollenkappenfibeln gezählt werden (Almgren Gruppe II Serie 3, Almgren 37–41). Diese werden durch eine breite, verschiedenartig gestaltete Hülse zur Fixierung der Sehne (Sehnenhülse) charakterisiert. Ihre Datierung fällt allgemein in das erste nis zweite Jahrhundert nach Christus (ältere römische Kaiserzeit, Stufe Eggers B1, 2). Zeitlich enger sind die von M. Olędzki als Variante A 38–39c zusammengestellten Rollenkappenfibeln zu fassen. Sie datieren in den Zeitraum Mitte erstes Jahrhundert bis 150/160 nach Christus (Stufe Eggers B2). Die kleinteiligen Ausführungen, Proportionen, Bügel- und Fußform entsprechen der unserer Fibel-Variante. Sie bestehen in der Regel aus Bronze. Nur eine silberne Ausführung ist bekannt (Olędzki 1998, 74 ff., 80, Abbildung 7, 15).
Alle übrigen kaiserzeitlichen Lesefunde der Fundstelle (Denare, Bronzefibeln) datieren in den Zeitraum 141 bis circa 190 nach Christus (Eggers Stufe Ende B2 bis Beginn C1). Obwohl zwischen den Lesefunden nicht zwingend ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehen muss, ist die Konzentration von Denaren, die mit Antoninus Pius (römischer Kaiser 138 bis 161 nach Christus) im Zusammenhang stehen, auffällig. Denare aus dieser Zeit könnten für die Fibel eingeschmolzen worden sein. In Bezug auf ihre Datierung würde damit die Herstellung absolut nach 161 nach Christus anzusetzen sein und in die zweite Hälfte des zweiten Jahrhunderts nach Christus fallen. Ob sie damit noch der Stufe B2 oder schon der Stufe C1 angehören kann, soll hier auf Grundlage der Fundsituation und dem wenigen Material nicht diskutiert werden.
Die Materialzusammensetzung der Fibel wurde in der Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle analysiert. Einbezogen wurden ebenfalls die Denare und das »Regenbogenschüsselchen« der Fundstelle. Zum Einsatz kamen sowohl die Röntgenfluoreszenzanalyse (RFA) wie auch die laserinduzierte Durchbruchsspektroskopie (LIBS). Im Unterschied zur RFA-Analyse, die nur an der Oberfläche einen größeren Ausschnitt beprobt, sind die LIBS-Ergebnisse punktgenau und es wird je Messung eine Probentiefe von circa 0,01 bis 0,02 Millimeter erreicht. Eine RFA-Analyse kann daher auf unpräparierten Flächen nur die aktuelle Elementverteilung wiedergeben mit allen Oxiden, Fremdkörpern et cetera. Hinzu kommt, dass sich im Laufe der Zeit durch Korrosionsprozesse die Oberflächenzusammensetzung bis zu einer Tiefe von 0,5 Millimeter verändern kann. In Edelmetallverbindungen schwindet dadurch zum Beispiel auch der Anteil unedler Metalle. Bei Mehrstoffverbindungen sind weiterhin Diffusionsvorgänge im Spiel, die bereits bei der Herstellung durch den Goldschmied zum Beispiel beim Glühen, Verlöten oder Schweißen auftreten. Andererseits können ähnliche Effekte auch bewusst bei der Bearbeitung durch den Goldschmied herbeigeführt werden (zum Beispiel. Beizen und Weißsieden), um gegebenenfalls unerwünschte Farbveränderungen an den Oberflächen bei Gold- und Silberlegierungen zu beheben.
Um der Zusammensetzung des Ausgangsmaterials möglichst nahe zu kommen, waren mit dem LIBS-Verfahren an einem Punkt im Schnitt bis zu zehn Messungen nötig. In der Regel lieferten erst die tiefsten drei Proben unveränderte Analyseergebnisse. Ein ganz herzlicher Dank für alle Analysen geht an dieser Stelle an Christian-Heinrich Wunderlich, Heiko Breuer und Vera Keil vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäolgie Sachsen-Anhalt.
Der Bügel der Fibel wurde mit Kamm, Fuß, Nadelhalter in einem Stück als Rohling gegossen. Dafür wurde eine reine Silber-Kupfer-Legierung mit einem Silberanteil von rund 92 Prozent verwendet (Abbildung 5). Der Nadelhalter wurde ausgeschmiedet und zur Nadelrast umgebogen. Entsprechende Hämmerspuren sind zahlreich auf der Stirnseite des Fußes und des Nadelhalters erhalten (Abbildung 6). Die Nadelrast zeigt zudem die Ansatzspuren des Biegewerkzeuges (Abbildung 7). Zur Ausarbeitung der Rollenkappen lassen sich keine weiteren Aussagen treffen, da teilweise nur die gut abgerundeten Randbereiche sichtbar sind.
Die Silberspirale besteht beidseitig aus jeweils sechs Windungen. Ihr circa 1,3 Millimeter dicker Draht wurde aus einem breiteren Silberstreifen mit höherem Kupferanteil (13,5 Prozent) geschmiedet und erst im letzten Arbeitsgang allseits über ein Schleifmittel rund gezogen. Die intensive Faltung des Drahtes ist noch gut an der etwas verrundeten, alten Bruchstelle der Nadel zu erkennen und wird auch durch Längsrisse an den Windungen sichtbar (Abbildung 8). Die Ziehspuren des Spiraldrahtes zeigen trotz Dehnung und Wicklung kein sich wiederholendes Schleifmuster eines kreisrunden Lochziehers. Sie gleichen eher den groben, teilweise auch sehr tief greifenden, unregelmäßig breiten Schleifspuren, die auf der gesamten Unterseite des Bügels, rings um den Nadelhalter und am frei liegenden Kamm zu beobachten sind (Abbildungen 7, 9 und 10). Um welches Werkzeug es sich handelte, bleibt unklar. Eventuell kam hier ein recht unförmiger Schleifstein oder ein Schleifpulver zum Einsatz (bis heute werden Schiefer- oder Bimssteine als Silberschleifmittel benutzt). Grundsätzlich bestand offensichtlich nicht die Absicht, auf der Fibelunterseite und am Nadelhalter eine perfekte glatte Oberfläche zu Schaffen. Diese Bereiche sind beim Tragen nicht sichtbar.
Der Anfang des Spiraldrahtes wurde schräg abgeschnitten (Abbildungen 7 und 9). Damit wird die Spiralkonstruktion nur durch die umgebogenen Rollenkappen gehalten. Eine Fixierung der recht tief verlaufenden Sehne erfolgt jeweils nur in der Breite der äußeren drei Windungen. Die vorderen Rollenkappen-Segmente greifen dabei über die Sehne und nur an einer Seite sichtbar in sie hinein (Abbildungen 9). Die Sehne ist an diesen Stellen etwas S-förmig nach oben gebogen und das Blech der Rollenkappe durch das Anschmieden eingeschlitzt. An dieser Stelle soll erwähnt werden, das Reparaturarbeiten an der Spiralkonstruktion und darüber hinaus an der Fibel nicht feststellbar sind.
Die Fibelachse besteht aus einer harten zwölf prozentigen Zinn-Bronze mit einem zusätzlichen Zinkanteil von etwa 4,5 Prozent, der sich in dieser Konzentration in der Legierung wie weiteres Zinn verhält. Erkennbar sind von der Achse nur der abgerundet bolzenförmige Kopf und ein flaches, bandförmiges Ende (Abbildungen 10 und 11). Die Profilierung innerhalb der Spirale ist durch die starken Korrosionsauflagen aus Kupferoxiden und diversen mineralischen Ablagerungen und Ausblühungen in den Zwischenräumen der Windungen nicht zu erkennen.
Die gesamte Oberseite der Fibel wurde durch Goldblechauflagen abgedeckt und an den Rändern des Bügels und an den Rollenkappen weitgreifend umgeschlagen. An der Bruchstelle des Fibelbügels ist noch gut zu erkennen, dass keine Bindung zwischen Goldblech und Silberbügel besteht und das Goldblech in weiten Teilen sogar hohl aufliegt (Abbildung 8). Unklar bleibt, ob vor der Montage der Goldbleche bereits Teile der Filigranornamente aufgelötet waren (Rosetten, längs verlaufende Runddrähte, Bänder aus Kordelzöpfen). Auf der Fibel wurden die Blechenden zusätzlich durch aufgelötete, quer verlaufenden Kordeldrähten geklammert: am Fußende, jeweils vor dem Kammansatz und zwei auf dem Kopf (Abbildungen 11, 12 und 13). Die Kammfuge war ursprünglich auch mit Filigrandraht ausgelegt, der gleichzeitig die Goldblechstöße an dieser Stelle abdeckte. Auf dem Scheitelpunkt des Kamms ist davon noch U-förmige Vertiefung eine Punktlötstelle sichtbar (Abbildungen 4, 6). Die fünf Dreiecks-Granalien am Kopfende wurden vorgefertigt auf einem eigenen Trägerblech auf das bestehende Grundblech gelötet. Das gelang für eine Dreiergruppe in einem Arbeitsgang. An den beiden Dreiecks-Granalien rechts außen ist das Grundblech durch zu hohe Arbeitstemperaturen derart verschmort, dass sie auch in weiteren, aufeinanderfolgenden Arbeitsgängen aufgelötet worden sein könnten (Abbildungen 12 bis 14).
Das Goldblech besitzt einen recht niedrigen Feingehalt von knapp 60 Prozent Gold. Der Rest der Legierung wurde durch Silber ergänzt. Diese Werte konnten nur auf der Unterseite des Bleches gemessen werden. Die antike Technik des Reaktionslötens lässt sich auf dieser niedrigen Goldlegierung nicht realisieren. Sie funktioniert nur an reinem Gold oder Silber (Brepohl 2016, 359). Die Schmiede in römischen Werkstätten beherrschten dieses Verfahren. Sie verwendeten Kupferverbindungen als Reaktionslote, die unter Einfluss verkohlter Kleber (zum Beispiel Weizenmehlkleister, Fischleim, Knochenmehl) und einem Flussmittel (zum BeispielPottasche, Alaun, Kochsalz, Quarzsand) bei circa 900 Grad Celsius zu metallischem Kupfer reduziert wurden (Schmidt 1993, 10 ff.; Brephol 2016, 359). Die Kupferoxide konnten zum Beispiel aus dem zermahlenen Mineral Chrysokoll gewonnen werden, einem amorphen, wasserhaltigen Kupfersilikat (chemische Formel: CuSiO3 · n H2O); aus »Kupferhammerschlag« (chemische Formel: Kupfer(II)-oxid CuO), das beim Glühen von Kupfer entsteht; weiterhin aus Grünspan (chemische Formel: Kupfer(II)-acetat Cu(CH3COO)2), der sich durch Einwirkung von Essig auf Kupfer bildet, oder schließlich aus Kupferchlorid (chemische Formel: CuCl2 · 2 H2O), das durch Glühen salzbestrichener Kupferbleche gewonnen wird (Schmidt 1993, 23).
Das wichtigste Erkennungsmerkmerkmal einer Reaktionslötung ist das Fehlen jeglicher Lotrückstände. Ebenso bleiben die nicht belöteten Stellen frei von Lotresten, da das Kupfer vollständig diffundiert (Brepohl 2016, 358 ff.). Die Goldoberseite der Fibel wurde mit Kupfer regelrecht überschwemmt. Die hellorangenen bis dunkelbraunen Farben des Goldes verweisen darauf. Zwischen und unter den Filigranaufsätzen und Granalien ist in jedem Fall eine Schicht verbindenden Materials gut zu erkennen (Abbildungen 14 und 15). Benutzt wurde für die Filigranauflagen wohl ein Streulot – als pulvrige Mischung aus metallischem Lotpulver in gleicher Zusammensetzung des Grundblechs, aber versetzt mit etwas Kupfer, einem wässrigen Kleber und ggf. einem Flussmittel. Das Grundblech wird damit an den gewünschten Stellen bestrichen, die Filigranelemente aufgelegt und nach dem Trocknen flächig von unten und von oben so lange vorsichtig erwärmt, bis Lot und die erschmelzende Oberfläche des Trägers mit den Filigranauflagen verschweißt werden (Vergleich Brepohl 2016, 361).
Gelötet wurde damals im offenen Holzkohlenfeuer, das wohl in einem Kohlebecken oder einem Werkofen brannte. Durch Lötrohre oder Gebläse unterschiedlichster Form musste eine Stichflamme gezielt auf das Werkstück gelenkt werden (Wolters 1986, 34 ff.). Das gelang sicherlich nur bedingt bei kleinen Werkstücken, wie der Fibel, die zudem überwiegend aus Silber bestand. Das Silber wurde so nicht nur beim Glühen und Schmieden des Nadelhalters und der Rollenkappen, sondern auch beim Aufbringen der Goldverzierungen wiederholt anhaltend hohen Temperaturen ausgesetzt. Eventuell konnten zum Beispiel Lehmummantelungen gefährdete Bauteile vor zu hohen Hitzespitzen schützen, aber nicht vor einer relativ hohen Grundtemperatur bzw. auch einer langen Abkühlungsphase. Gerade in Silber-Kupfer-Legierungen kommt es dabei zu einer massiven Rekristallisation (das heißt Entmischung). Risse und muschlige Abplatzungen am Nadelhalter mit Ausbildungen von rotem Kupfer(I)-Oxid sprechen für solche Prozesse, die tiefe strukturelle Veränderungen und die Festigkeit des Silbers vermindern. Schwarzfärbungen des Silbers auf der Unterseite verweisen auf eine Tiefenoxidation des Kupfers. Auch die Bruchstelle des Bügels zeigt kein homogenes Gefüge. Größere, silberreiche Einschlüsse (Gussfehler?) sind dort sichtbar (Abbildungen 4, 10, 7 und 8).
Die Herstellung der Fibel erfolgte wahrscheinlich im elbgermanischen Raum. Da Gold- oder Silberlagerstätten fehlten, bot es sich an, zum Beispiel importierte römische Gold- und Silbermünzen zu Schmuck zu verarbeiten. Die Materialzusammensetzung der Denare des Fundplatzes – besonders jene des Antoninus Pius – hätten sich aufgrund ihres hohen Silbergehaltes angeboten. Selbst für die Fibelachse könnte Metall antiker Denarfälschungen gedient haben. Die Herkunft des Goldes ist im vorliegendem Legierungsverhältnis unkar (Vergleich Abbildung 5). Sie entspricht nicht dem hohen Feingehalt der römische Goldmünzen (Aurei). Eventuell stand nicht genug Gold zur Verfügung und es wurde billigeres Silber zugemischt, wenngleich solche Legierungen damit auch einen unschönen grünlichen Goldfarbton annehmen.
Auf dem Silber der Fibelunterseite fallen besonders die dicken schwarzen Kupfer(II)-oxid-Schichten mit dünner Deckschicht aus rotem Kupfer(I)-oxid-Auflage auf. Sie überdecken die Schleifspuren, und an einigen Stellen zieht das Goldblech darüber (Abbildungen 8). Inwiefern sie direkt mit der Herstellungsprozedur der Fibel in Verbindung stehen (korrodiertes Schmelzlot) und/oder Ergebnisse klassischer Korrosionsprozesse darstellen, ist unklar. Verwundern würde es nur, dass sie der Schmied eventuell nicht entfernt hat, auch wenn sie beim Tragen des Schmuckstücks nicht sichtbar sind. Eindeutige Abnutzungsspuren durch langes Tragen sind an der Fibel nicht sichtbar. Etwas leichter würde ihre Interpretation fallen, wenn es sich um einen Fund aus einem Brandgrab handeln würde. In der Nähe des Scheiterhaufens der Leichenverbrennung hätten entsprechende Reaktionsbedingungen bestanden.
Der Fundplatz wurde per Magnetometerprospektion untersucht. Ein herzlicher Dank an Christian Schweitzer für die Durchführung sowie an Ralf Schwarz (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt) für die Organisation). Mit ihr konnte eine sehr intensive Siedlungstätigkeit auf dem Gelände nachgewiesen werden – über die Jahrhunderte wurde demnach »fast jeder Quadratmeter einmal umgegraben« (C. Schweitzer). Es gibt Hinweise auf eisenverarbeitendes Handwerk und auch auf Grubenhäuser. Oberflächenfunde sprechen für eine Datierung dieser Befunde in das Frühmittelalter (5. bis 10. Jahrhundert). Damit ist es nicht ausgeschlossen, dass auf der untersuchten Fläche auch wenige kaiserzeitliche Grabanlagen existiert haben, die durch spätere Siedlungstätigkeiten komplett zerstört wurden. Bekannt war der Abschnitt bei Gödnitz-Talytenberg als Fundort bisher unter anderem durch ein Gräberfeld mit Körper- und Brandgrubengräbern der älteren bis jüngeren römischen Kaiserzeit (Koppe 1962).
Am Ende stellt sich die Frage, wer möglicherweise eine solch edle Fibel trug oder tragen konnte. Einen konkreten Einblick in die Sozialstruktur vermitteln bei den germanischen Stämmen die Bestattungssitten und die Grabausstattungen – unabhängig davon, ob Frau oder Mann. Typische Beigaben in Gräbern der Eliten mit »fürstlichem« Charakter sind nicht in jedem Fall goldene oder silberne Schmuckstücke als Zeichen ihres hohen Ranges, sondern römische Importgefäße/Weintrinkgefäße aus Silber, Bronze oder Glas. Davon fehlt jeder Hinweis im Fundgut der Fundstelle. Aber mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass sie nicht Bestandteil einer Alltagstracht gewöhnlichen freien Germanen war, die Fibeln aus unedlem Metall trugen. Die Fibel ist im archäologischen Fundbild bisher völlig einzigartig. Sie war wertvoll und wird als Prestigeobjekt und Statuszeichen des Ortsadels gedient haben. Die Ranghöhe eines Gefolgschaftsführers und die seiner Familienmitglieder könnte infrage kommen. Auf Grundlage ihrer geringen Größe und der feinen Nadelausführung bestens geeignet für feines Stoffwerk – eventuell für jenes einer Frau.
Text: Thomas Puttkammer, Dietlind Paddenberg
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
Oskar Almgren, Studien über Nordeuropäische Fibelformen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte mit Berücksichtigung der provinzialrömischen und südrussischen Formen. Mannus-Bibl. 32 (Leipzig 1923).
Ernst Brepohl, Theorie und Praxis des Goldschmieds. (Leipzig 2016).
Achim Koppe, Kaiserzeitliche Gräber bei Flötz, Kr. Zerbst. Prähistorische Zeitschrift 40, 1962, 205–219.
Marek Olędzki, Rollenkappenfibeln der östlichen Hauptserie Almgren 37–41 und die Varianten Fig. 42–43. In: J. Kunow (Hrsg.), 100 Jahre Fibelformen nach Oscar Almgren. Internationale Arbeitstagung, 25.–28. Mai 1997, Kleinmachnow, Land Brandenburg (Wünsdorf 1998) 67–83.
Hartmut Schmidt, Übersicht zur wissenschaftlichen Literatur über das »Löten und Schweißen in der Antike/Altertum«. Berliner Beiträge zur Archäometrie 12 (Berlin 1993) 5–53.
Jochem Wolters, Die Granulation, Geschichte und Technik einer alten Goldschmiedekunst (München 1986).