Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Ethische Grundlagen zum Umgang mit menschlichen Überresten

Gesetzlicher Auftrag

Das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie – Landesmuseum für Vorgeschichte (LDA) ist eine Behörde des Landes Sachsen-Anhalt. Zu seinen Aufgaben zählen unter anderem die Durchführung von Ausgrabungen, die wissenschaftliche Erfassung, Dokumentation, Erforschung und Bewahrung von Bodendenkmalen und Funden. Das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) dient der Vermittlung der Ergebnisse dieser Tätigkeit an die Öffentlichkeit.

Bei archäologischen Ausgrabungen und Erdarbeiten werden regelmäßig menschliche Überreste gefunden. Deren Bergung ist ein wesentlicher Bestandteil des gesetzlichen Auftrages des Dokumentierens, Bewahrens und Vermittelns von Kulturdenkmalen. Es erfolgt keine Differenzierung hinsichtlich Art und Ursprung von Denkmalen. Allen Funden auf Ausgrabungen werden der notwendige Respekt und ein würdevoller Umgang entgegengebracht. In den letzten Jahren hat sich jedoch die Debatte um den ethischen Umgang mit menschlichen Überresten in der Wissenschaft und in Museen verstärkt. Das vorliegende Dokument skizziert den ethischen Rahmen im Umgang mit menschlichen Überresten am Landesamt.

Grundsätze

Das Landesamt fühlt sich dem Grundsatz eines respektvollen und würdevollen Umgangs mit menschlichen Überresten zu wissenschaftlich-didaktischen Zwecken verpflichtet. Jeder Mensch besitzt eine Würde, die mit dem Tod nicht endet (Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland).

Ein besonderer gesetzlicher Schutz besteht für archäologisch relevante menschliche Überreste hinsichtlich der Totenruhe nicht. Das Gesetz über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen des Landes Sachsen-Anhalt stellt in Paragraf 2 Absatz 1 ausdrücklich fest, dass Skelette oder Skelettteile, die als Kulturdenkmale unter Paragraf 2 Absatz 2 des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt fallen, keine Leichen sind, für die eine Bestattungspflicht und Ruhezeiten gelten würden.

Menschliche Überreste werden am Landesamt als Ergebnis archäologischer Untersuchungen bewusst bewahrt und dokumentiert. Sie stellen primäre Quellen menschlicher Geschichte und individuellen Lebens dar, die ohne wissenschaftliche Dokumentation bei Bodeneingriffen, wie sie beispielsweise durch öffentliche oder private Bauvorhaben zwangsläufig entstehen, vernichtet würden.

Aufbewahrung von menschlichen Überresten und Zugänglichkeit für die Forschung

Durch moderne naturwissenschaftliche Ansätze ist es der Archäologie heute möglich, individuelle (biologische) Lebenswege sehr detailliert zu rekonstruieren. Anthropologische Untersuchungen geben unter anderem Auskunft über Alter, biologisches Geschlecht, Verletzungen und Krankheiten. Isotopenuntersuchungen erlauben Auskunft zur Ernährung und zur Herkunft Verstorbener. Genomuntersuchungen sogenannter alter DNA helfen beispielsweise, Verwandtschaftsbeziehungen zu rekonstruieren und ermöglichen Einblicke in vorgeschichtliche Migrationsbewegungen und die Geschichte von Infektionskrankheiten. Es ergeben sich somit Erkenntnismöglichkeiten, die teils unmittelbaren Einfluss auf aktuelle Fragestellungen wie zum Beispiel den Umgang mit Pandemien haben können. Es handelt sich hierbei teils um Forschungsansätze, die noch vor kurzem methodisch undenkbar waren. Die Aufbewahrung menschlicher Überreste aus archäologischen Kontexten dient damit auch der Ermöglichung zukünftiger Forschung mit heute noch nicht absehbaren Methoden. Die Lagerung von menschlichen Überresten und ihre Erforschung erfolgt am Landesamt nach folgenden Maßgaben:

Menschliche Überreste werden zu ihrer Erhaltung restauratorisch und konservatorisch behandelt und sauber verpackt. Diese Tätigkeiten werden von ausgebildetem Fachpersonal durchgeführt.

Die Lagerung erfolgt in klimatisch und konservatorisch geeigneten Räumlichkeiten.

Es wird sichergestellt, dass Informationen zum Fundkontext nicht verlorengehen. Beschriftungen erfolgen, wenn überhaupt nötig, an unauffälliger Stelle.

Zugang zu den Sammlungen wird bei begründetem wissenschaftlichem Interesse gewährt.

Die Bearbeiterinnen und Berarbeiter werden für den respektvollen Umgang mit menschlichen Überresten sensibilisiert.

Probenentnahmen werden so minimalinvasiv wie möglich und nur im zwingend erforderlichen Umfang nach Maßgabe wissenschaftlicher Fragestellungen durchgeführt.

Ausstellung von menschlichen Überresten

Der Umgang mit dem Tod unterlag zu allen Zeiten kulturellen und religiösen Vorstellungen, die jedoch wesentlich von den heute in Deutschland verbreiteten abweichen können. Graböffnungen, die Bewahrung von Teilen Verstorbener im häuslichen Umfeld, Bestattungen unter den Fußböden von Wohnhäusern erscheinen uns schwer nachvollziehbar. Ebenso fremd erscheint der Umstand, dass in weiten Teilen der Vorgeschichte überhaupt nur einem geringen Teil der Verstorbenen eine Erdbestattung zuteilwurde. Die Grenze zwischen Leben und Tod war häufig weniger strikt als in der modernen mitteleuropäischen Sichtweise, und der Umgang mit dem Tod wesentlich stärker in das Leben integriert. Die in Deutschland geläufige Vorstellung von dauerhafter Totenruhe und Bewahrung von Gräbern stammt aus der christlich-religiösen Tradition, die allerdings etwa durch die heute geläufige (und schon seit dem Mittelalter praktizierte) Abräumung von Gräbern auf Friedhöfen nach einer gewissen Frist an Verbindlichkeit verloren hat. Für diese kulturellen Differenzen und Brüche zu sensibilisieren, ist ein wesentliches Ziel der Ausstellung menschlicher Überreste.

Die Archäologie hat das Potential, mit einem breiten Methodenspektrum den zunächst gesichtslosen Verstorbenen zumindest einen Teil ihrer Identität wiederzugeben. Die Bewahrung dieser Identität scheint nach Aussage der Beigabenausstattung und der Inszenierung vieler Bestattungen ein zentrales Anliegen vorgeschichtlicher Gesellschaften gewesen zu sein. Ziel der Ausstellung von Überresten Verstorbener ist grundsätzlich die Vermittlung vorgeschichtlichen Lebens und des menschlichen Umgangs mit dem Tod, der auch für unsere Gesellschaft zentral ist. Menschliche Überreste sind geeignet, solch komplexe Inhalte durch unmittelbare Anschauung zu vermitteln. Die Ausstellung erfolgt dabei in einer respektvollen Atmosphäre, die die Würde der Verstorbenen achtet. Grundsätze sind hierbei:

Die Ausstellung erfolgt kontextualisiert und mit einem klaren Vermittlungsziel.

Menschliche Überreste werden dann ausgestellt, wenn nur sie als Quellen zur Erläuterung von wissenschaftlichen Sachverhalten geeignet sind.

Menschliche Überreste werden in Ausstellungstexten und Beschreibungen nicht objektifiziert, sondern direkt als solche angesprochen.

Wo möglich, werden die menschlichen Überreste als Blockbergungen im Kontext gezeigt. Der Grabzusammenhang bleibt hier gewahrt.

Insbesondere wenn dies nicht möglich ist (Altfunde), stellt die Präsentation in der Ausstellung einen würdevollen Zusammenhang her, der die Sekundärerhaltung des Fundzusammenhangs zum Ziel hat. So liegt beispielsweise die ›Schamanin‹ von Bad Dürrenberg in einem eigenen Raum umgeben von ihren Beigaben und einem Waldfries im Zusammenhang mit den Tieren, die ihr im Grab beigegeben wurden.

Die Räume sind abgedunkelt und die menschlichen Überreste werden dezent ausgeleuchtet.

Menschliche Überreste werden nicht unter Glas in den Boden eingelassen, Besucher laufen nicht über sie.

Durch die enge Vernetzung von Bodendenkmalpflege und Museum sowie umfassende und kontinuierliche Forschung an Altbeständen ist die Provenienz der menschlichen Überreste in den Ausstellungen des Landesmuseums bekannt.

Das Landesmuseum kauft keine menschlichen Überreste oder aus menschlichen Überresten gefertigte Artefakte an.

Die hier dargelegten Grundsätze werden regelmäßig evaluiert und überprüft. Weiterführende Informationen zum Umgang mit menschlichen Überresten in Sammlungen bietet der vom Deutschen Museumsbund herausgegebene ›Leitfaden zum Umgang mit menschlichen Überresten in Museen und Sammlungen‹.

Zum Seitenanfang