Schloss Neuenburg, Freyburg (Unstrut)
Oktober 2022
Auf einem Bergsporn in einer reizvollen Landschaft, die als »Toskana des Nordens« gepriesen wird, hoch über der Unstrut und dem Städtchen Freyburg gelegen, zeigt sich Schloss Neuenburg dem Entgegenkommenden in all seiner Mächtigkeit einerseits als Schloss der Neuzeit, andererseits als dem hohen Mittelalter entstammende Burg, von der trotz aller späteren Veränderungen noch erstaunlich viel originale Bausubstanz aus der Zeit zwischen 1086 und 1230 erhalten geblieben ist (Abbildung 1).
Vom 9. bis zum 12. Jahrhundert gehörte das Saale-Unstrut-Gebiet im weiteren Umkreis von Naumburg zur Königslandschaft der Ottonen, Salier und teilweise auch noch der Staufer. Bedeutende Grafenfamilien errichteten hier ihre Herrschaftszentren – seit dem späten 11. Jahrhundert die Ludowinger, die seit 1130/31 als Landgrafen von Thüringen bis zum Aussterben 1247 als eines der bedeutendsten Fürstengeschlechter im damaligen Reich agierten. Die durch Bauforschungen nachweislich seit 1086 errichtete Neuenburg war die bedeutendste ihrer Burgen: herrschaftspolitisch wie bau- und kunstgeschichtlich. Auf einer enormen Grundfläche wuchs innerhalb weniger Jahre eine gewaltige Burg empor: mit drei mächtigen Türmen – zwei davon achteckig, einer mit insgesamt 17,4 Metern Durchmesser zu den größten bekannten Bergfrieden zählend –, Burgkapelle, Ringmauern, Wällen und Gräben, Wohn- und Wirtschaftsbauten. Noch heute beeindruckt die riesige Gesamtanlage mit der in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstandenen Vorburg samt zwei Bergfrieden – einer, der »Dicke Wilhelm«, ganz ungewöhnlich mit vier sog. Ecksporen ist eine weithin sichtbare Landmarke. Von hier aus bot sich schon im Mittelalter ein hervorragender Blick nach Naumburg.
Mit einer Grundfläche von rund 30 000 Quadratmetern zählt die Neuenburg nach dem Bau ihrer Vorburg zu den sehr großen hochmittelalterlichen Burgen Deutschlands.
Neben den beiden mittelalterlichen Torhäusern, dem Fürstenbau mit Bausubstanz vom 11. bis ins 19. Jahrhundert, der Schlossküche von 1401 sowie den unter Benutzung älterer Bausubstanz errichteten barocken Galerieflügeln verdient die Doppelkapelle (1170/80 und um 1200/20) höchste Aufmerksamkeit (Abbildung 2). Der untere Raum diente den Hauptgottesdiensten, der obere war vermutlich der landgräflichen Familie als separates Oratorium vorbehalten. Letzterer zählt »zum Besten und Bezeichnendsten, was uns von der höfischen Kunst der Hohenstaufenzeit geblieben ist« (Georg Dehio). Hier haben unstrittig Ludwig IV. und seine später heiliggesprochene Gemahlin Elisabeth Gottesdiensten beigewohnt. Elisabeth weilte mehrfach auf der Neuenburg (urkundlich bezeugt 1224, 1225). Das berühmte Rosenwunder soll sich hier abgespielt haben. Einer Baurechnung von 1458/59 ist zu entnehmen, dass der obere Raum der Doppelkapelle das Elisabethpatrozinium besaß.
Das Baugeschehen auf der Neuenburg seit der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts ist insbesondere durch die außerordentlich stark dominierenden niederrheinischen Bau- und Zierformen charakterisiert. Damit setzten die Landgrafen eine Bautradition fort, die sie schon auf der Wartburg seit etwa 1155 verfolgt hatten. Zu verweisen ist auf die Gestaltung des oberen Kapellenraumes mit seinem mittleren Bündelpfeiler und den vier Gurtbögen, deren Zackenbögen an Vorbilder aus der maurischen Architektur Spaniens erinnern und wahrscheinlich ihr direktes Vorbild in der heutigen Westvorhalle der Kölner Andreaskirche haben. Aber auch bauliche Details wie Lilienfenster, hängende Schlusssteine und die reiche, qualitätvolle Bauzier sind unmittelbar von niederrheinischen Vorbildern herzuleiten.
Als jüngste Zutat darf der Ausbau vor dem Kernburgtor gesehen werden: ein quadratischer Wohnturm von 1225/26 mit einer 1227 errichteten Latrinenanlage samt nach Osten ziehender Umfassungsmauer. Mit dem Wohnturm und seinen hochmodernen Latrinen entstand offensichtlich der komfortabelste Wohnbereich der romanischen Neuenburg. Wahrscheinlich war dieser für die Familie der Burgherren bestimmt.
Das Wechselspiel von fehlender Nutzung und notwendigem, aber kostspieligem Bauunterhalt charakterisierte bereits das späte 18. Jahrhundert und setzte sich auch nach der Übernahme durch Preußen im Jahre 1815 fort. Überlegungen, die Burg bis auf die Kapelle und den »Dicken Wilhelm« abzubrechen, folgten schließlich ab 1850 die Bemühungen um sinnvolle Nutzungen durch verschiedene Behörden und dadurch ermöglichten Bauunterhalt (Restaurierung der Kapelle als »Denkmal des vaterländischen Altertums«) – ein großes Verdienst der preußischen Baubeamten Ferdinand von Quast und Friedrich August Ritter.
Nach einer durch Schwammbefall bedingten Schließung des Museums und damit der ganzen Burg Anfang 1971 verwahrloste die Anlage zunehmend. Im Herbst 1989 konnte von engagierten Bürgern eine Öffnung der Burg erzwungen werden; sehr schnell wurde am Aufbau neuer Ausstellungen gearbeitet. Dies ging einher mit der grundlegenden Instandsetzung der gesamten Kernburg. Träger des Museums war seit langem die Stadt Freyburg. Im Jahr 1998 übernahm der Verein zur Rettung und Erhaltung der Neuenburg e. V. das Museum und betrieb es bis Ende 2004. Inzwischen gehören Burg und Museum zur Kulturstiftung Sachsen-Anhalt.
Text: Reinhard Schmitt
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta