Der Schild des ›Fürsten‹ von Gommern – germanische Kunst und römische Beute
Oktober 2002
Im Jahre 1990 entdeckten ehrenamtliche Bodendenkmalpfleger das germanische Fürstengrab von Gommern. Archäologen des Landesmuseums Halle, unterstützt von Kollegen anderer Museen und ehrenamtlichen Helfern, bargen diesen fast ungestörten Grabfund unmittelbar im Anschluss an die Entdeckung (Abbildung 1). Es sollte etwa zehn Jahre dauern, bis das reichste germanische Grabinventar Deutschlands erstmals im Landesmuseum in Halle der Öffentlichkeit präsentiert werden konnte.
Bei diesem Fund handelt es sich um eine der prunkvollsten Grablegen dieser Zeit in Mitteldeutschland.
In einer großen und tiefen Grabkammer waren für den Toten zahlreiche Gegenstände aus Metall und Glas, aber auch aus Leder und Geflecht als Beigaben deponiert worden (Abbildungen 2 bis 5). Der umfangreiche Inhalt des Grabes wurde in langwieriger Arbeit restauriert. Dafür waren Monate sorgfältiger Präparierung, intensiver Dokumentation und begleitender naturwissenschaftlicher Forschung notwendig.
Neben Funden, die allein aus Metall oder Glas bestehen, gab es aber auch Objekte, bei denen mehrere Materialien miteinander kombiniert sind. Insbesondere Fragen, wie man unterschiedliche Werkstoffe miteinander verbindet, sollten die Wissenschaftler längere Zeit beschäftigen. Die notwendigen naturwissenschaftlichen Untersuchungen wurden mit unterschiedlichen Methoden durchgeführt. Unter anderem konnten im Rahmen eines Forschungsprojektes des BMFT (Bundesministerium für Forschung und Technologie) zahlreiche Proben mit dem damals modernsten Elektronenrastermikroskop Deutschlands analysiert werden. Im Rahmen weiterer Analysen gelang der chemische Nachweis von Krapp als Textilfarbstoff schließlich mit einer Methode, die zum Zeitpunkt der Ausgrabung noch gar nicht für archäologische Fragestellungen genutzt wurde.
Zu den bedeutendsten Funden aus dem Fürstengrab von Gommern zählt der prachtvoll verzierte Schild (Abbildung 6). Aus verschiedenen Detailbeobachtungen bei der Bergung ergab sich ein gut begründeter Rekonstruktionsvorschlag für das ursprüngliche Aussehen. So gehören zu den Hauptzierelementen der Schildfläche weit über 100 vergoldete Pressbleche unterschiedlicher Formgebung. Solche Pressbleche bestehen aus Silber von circa 1/10 Millimeter Stärke, das eine Vergoldungsschicht von circa 1/100 Millimeter Dicke trägt. Damit stellte sich zwangsläufig die Frage, wie man solche Bleche vergoldet hat. Diese Frage hat in zweierlei Hinsicht besondere Bedeutung: Es ging um die Feststellung der Vergoldungstechnologie und um Vorstellungen zur notwendigen Menge an Rohmaterial.
Die Untersuchungen im atmosphärischen Rasterelektronenmikroskop führten zunächst zu einem verblüffenden Ergebnis:
Die weit verbreitete antike Vergoldungsmethode der Feuervergoldung ließ sich nicht nachweisen. Für die Feuervergoldung trägt man in Quecksilber gelöstes Gold auf die Unterlage auf. Dann wird das Quecksilber verdampft und nach einem Poliervorgang entsteht eine geschlossene goldene Oberfläche.
Die hierfür benötigten Mengen Quecksilber waren in der Antike nur im römischen Reich zu erhalten. Außerdem ist das Verfahren materialintensiv und hinterlässt geringe Quecksilberrückstände. Solche Spuren von Quecksilber waren bei den Analysen an den Funden aus Gommern jedoch nicht nachzuweisen.
Für die Vergoldung kann man auch Goldfolien oder Blattgold auf einem vorbehandelten Untergrund befestigen. Gegen diese Möglichkeit sprechen die Beschaffenheit der Bleche aus Gommern und die Tatsache, dass die Bleche nach dem Vergolden noch in ihre endgültige Form gepresst worden sind. Theoretisch kann man Gold und Silber fest miteinander verbinden, indem man sie erhitzt und ihre Oberflächen sich dann gegenseitig geringfügig aber fest durchdringen. Diese sogenannte Diffusionsbindung führt zu einer mechanisch stabilen Vergoldung. Dabei kann sie fast ohne Materialverlust durchgeführt werden. Ein ähnliches Verfahren, das ›Bonden‹, ist heute in der Produktion für Computerchips üblich.
Bei der Rekonstruktion des Schildes wurde diese Vermutung praktisch überprüft. Recht bald gelang es, die Diffusionsbindung auszuführen und mit ihr auch die Massenproduktion von vergoldeten Silberblechen zu betreiben. Vergleichsuntersuchungen an anderen germanischen Fundstücken ergaben immer das gleiche Bild: Alle Bleche sind nach diesem Verfahren vergoldet worden.
Damit ergab sich eine umfassende technikgeschichtliche Aussage: Germanische Handwerker haben beim Vergolden ihr Rohmaterial sehr sparsam verwendet und sie haben eine Technik benutzt, bei der sie nicht von fremden Rohstoffen abhängig waren. Mit dem Schild von Gommern erschließt sich also nicht nur eine Repräsentationsform der germanischen Oberschicht, sondern es eröffnet sich gleichzeitig ein Einblick in die wirtschaftlichen Grundlagen jener Zeit.
Neben Teilen seiner Kleidung und seiner persönlichen Ausrüstung hatte man dem ›Fürsten‹ von Gommern zahlreiche Gegenstände römischer Herkunft mit ins Grab gegeben (Abbildungen 7 bis 9).
Sind die Trachtbestandteile germanische Arbeiten und fast ausschließlich aus Edelmetall gefertigt, so handelt es sich bei den römischen Importen um eine Kollektion von Bronze-, Silber- und Glasgefäßen sowie einen römischen Dreifuß. Die Importstücke von zum Teil bemerkenswerter Qualität sind Ausdruck vielgestaltiger Beziehungen zum Römischen Reich. Die großzügige Verwendung von Gold und Silber lässt Reichtum erkennen, wie er bislang selten so eindrucksvoll belegt ist. Dies ergibt sich einerseits aus der reinen Materialmenge – mehrere Kilogramm Edel- und Buntmetall – andererseits aber auch aus der Qualität der Gegenstände, unter denen sich auch einzigartige Glasgefäße befinden.
Der Blick auf dieses Grabinventar zeigt damit nicht nur ein Bild vom Aussehen eines Chefs der damaligen Zeit, sondern es sind auch Aussagen zu Gestaltung seines persönlichen Umfeldes möglich.
Das sparsame Vorgehen der germanischen Handwerker steht dabei im deutlichen Gegensatz zu den sonstigen Beigaben, die auf weitreichende Fernbeziehungen hindeuten und sogar überregionale Vergleiche bis nach Skandinavien oder Osteuropa ermöglichen. Reiche persönliche Ausrüstung und gediegenes Ambiente ergänzen sich aber schließlich zu einer stimmigen Einheit (Abbildung 10).
Das Grab von Gommern ist in der Ausstellung ›Menschen . Zeiten . Räume. Archäologie in Deutschland.‹ ab 6. Dezember 2002 im Martin-Gropius-Bau in Berlin zu sehen.
Text: Matthias Becker
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta