Kindlein, Roggen und Wein
Februar 2004
Ein nacktes Kindlein und ein Christuskopf - zwei archäologische Besonderheiten. Beide konnten im Sommer 2003 aus dem Schutt der Brandkatastrophe, die 1517 große Teile Naumburgs verwüstete, geborgen werden. Sie legen ebenso wie im Feuer verkohlte Nahrungsreste Zeugnis vom Alltagsleben der mittelalterlichen Bewohner der Saale-Stadt ab.
Die Grabung in Naumburg
Im Sommer des Jahres 2003 wurde die rückwärtige Hälfte des Grundstücks Salzstraße Nummer 40 im Zentrum der mittelalterlichen Bürgerstadt Naumburgs ergraben, die sich in unmittelbarer Nähe des Topfmarktes befindet (Abbildung 1).
Frühgeschichtliche Besiedlung ist durch den Rest eines Leichenbrandgrabes der späten römischen Kaiserzeit nachgewiesen, das durch eine Armbrustfibel mit langem Nadelhalter (Almgren VII) in den Zeitraum um 180 nach Christus datiert (Abbildung 2). Spätere Besiedlungsspuren setzen erst im frühen 13. Jahrhundert mit zahlreichen Siedlungsgruben ein. Bald darauf entstehen die ersten Pfostenbauten, die jedoch diagonal zur heutigen Parzellierung der Salzstraßengrundstücke ausgerichtet sind. Erst die zweite Bauphase aus dem späten 13./frühen 14. Jahrhundert richtet sich nach dem an uns überkommenen Stadtgrundriss.
Insgesamt ergab die umfangreiche Stratigraphie, dass die Parzelle im rückwärtigen Teil im Schnitt circa alle 35 Jahre deutlich umgestaltet worden ist; also in fast jeder Generation zwischen dem 13. und frühen 16. Jahrhundert. Nicht immer geschah dies freiwillig. Das zeigte bereits das erste Planum, das die Brandschicht des großen Stadtbrands von 1517 offen legte, sowie zwei ursächlich damit zusammenhängende Planierungen des Geländes (Abbildung 3). Neben einem verbrannten Getreidevorrat wurden aus dem Brandschutt des Jahres 1517 zwei Fragmente mittelalterlicher Kleinplastiken geborgen, die Seltenheitswert besitzen.
Das »Bornkindl«
Die erste Plastik stellt ein nacktes Kind dar (Abbildungen 4 und 5). Die Höhe des Fundes beträgt 3,6 Zentimeter. Die Füße sind abgebrochen. Die maximale Breite liegt an den Ellenbogen bei 1,3 Zentimeter. Die Figur besteht aus rosafarbenem Ton mit minimalen Kalkanhaftungen. Auffallend ist die Naht, die sich in Längsrichtung rund um den gesamten Gegenstand zieht. Sie weist darauf hin, dass die Figur im zweischaligen Model hergestellt wurde. Der Ton wurde nicht gegossen, sondern manuell in die Modelhälften hinein gepresst. Beim Brand blieben Risse zwischen den einzelnen Tonklümpchen vor allem am Rücken und unter dem Kniebereich zurück.
Deutlich ist das lockige Haar am Hinterkopf modelliert, während dem Geschlecht wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Mit beiden Händen hält das Kind einen runden Gegenstand von 0,3 Zentimeter Durchmesser. Die Knie sind leicht angezogen, was für eine liegende Verwendung spricht.
Die Verwendung dieser Figuren war sowohl im profanen Bereich als Kinderspielzeug möglich, als auch sakral als Jesuskind. Die Deutung des runden Gegenstands als Rassel ist nur im ersten Fall statthaft. Als Christkind hält es mit Sicherheit einen Apfel als Symbol der Weltherrschaft in den Händen, der in der zeitgenössischen Tafelmalerei zunehmend mit einem Kreuz versehen, und als Weltkugel verstanden wird.
Zumindest im zweiten Fall ist die Figur als Knabe anzusprechen, aber in beiden Fällen wären eindeutige Geschlechtsmerkmale sekundär, weil man sich die Figur entweder in Stoff gewickelt, oder in einer Krippe halb bedeckt vorzustellen hat.
Die allgemeine Datierung dieser zweischalig hergestellten Figuren ins 15./16. Jahrhundert wird durch diesen Fund aus dem Jahre 1517 bestätigt. Obwohl im profanen Bereich gefunden, ist eine sakrale Funktion des »Bornkindls« zum Beispiel im Bereich eines Hausaltars oder als Andachtsbild denkbar.
Der Begriff »Bornkindl« wird einerseits als »geborenes Kind« gedeutet, aber auch von »Bare«(Krippe) abgeleitet.
Der Christuskopf
Aus demselben Brandschutt wie das Bornkindl stammt der Kopf einer Christusfigur. Das Fragment besteht aus fein gemagerter, jedoch uneinheitlich gebrannter Irdenware. Der gelbe Kern und die graue Außenseite des Scherbens weisen auf einen Wechsel zwischen oxydierender und reduzierender Brenntechnik hin (Abbildungen 6 und 7).
Das Fragment ist 1,7 Zentimeter hoch und maximal 1,1 Zentimeter breit. Durch die deutlich modellierte Dornenkrone und die geschlossenen Augen stellt der Fund sicher den Kopf des gekreuzigten Jesus dar. Zudem ist das Hinterhaupt unterhalb der Dornenkrone platt abgeflacht. Vermutlich ist diese Deformierung der Position des Querbalkens vom Kreuz geschuldet, an dem die Figur angebracht war.
Sorgfältig sind das lange, leicht gewellte Haupthaar und der Vollbart herausgearbeitet. Die geringen weißen Kalkanhaftungen und eisenoxydroten Verfärbungen, von denen eine ausgerechnet den Mund abdeckt, müssen nicht unbedingt Bemalungsreste darstellen, sondern können durchaus von der Lagerung im Boden herrühren.
Das Fragment des Corpus Christi kam spätestens 1517 in die Erde. Der Entstehungszeitraum liegt aufgrund der gotischen Formgebung, die jeder romanischen Statik und »Strenge« entbehrt, vermutlich im 14./15. Jahrhundert. Kruzifixe mit Höhen von 10 bis 20 Zentimeter Höhe, zu dem auch das Exemplar aus Naumburg zählt, sind vor allem in Bronze erhalten. Der recht seltene Fund aus Naumburg belegt deren Verbreitung auch in Form von Keramik, die für den frommen Menschen des Mittelalters zur Andacht oder zum Gebet erschwinglicher war.
Beide vorgestellten Plastiken stammen aus denselben Befundzusammenhängen. Ob sie jedoch zusammen verwendet wurden, wird sich nie mehr klären lassen.
Speis und Trank – botanische Reste
Die bereits erwähnte Brandkatastrophe von 1517 im Zentrum Naumburgs hinterließ auch im Bereich des Topfmarktes ihre Spuren, denn eine dort ausgegrabene Abfallgrube ließ einen Brandhorizont zu erkennen (Abbildung 8). Die Laborassistentinnen Margitta Jahreis und Heike Fetisch fanden neben einigen Holzkohlen auch verkohlte Getreidekörner (Abbildung 9). Diese stammen zum großen Teil von Saat-Roggen, wie die Archäobotanikerin Monika Hellmund feststellte.
Weil die Hitze wenige Hundert Grad Celsius nicht überstieg und wenig Luft hinzutrat, verbrannte der gelagerte Getreidevorrat bei dem verheerenden Stadtbrand nicht restlos zu Asche. Vielleicht ist das Material zuvor von herabstürzenden Gebäudeteilen überdeckt worden. In einer Abfallgrube wurde der Brandschutt schließlich entsorgt und bei der Ausgrabung 2003 wieder entdeckt.
In der Abfallgrube wurden vor allem Getreidekörner und bisher keine Reste des Dreschabfalls gefunden. Neben zahlreichen Körnern von Saat-Roggen finden sich nur wenige Früchte von anderen Getreidearten, wie zum Beispiel von Emmer, Saat-Weizen und von Saat-Hafer (Abbildung 10). Darüber hinaus kommen vereinzelt Samen und Früchte von Unkräutern, wie Kornrade, sowie Ungräsern wie Trespe vor. Deren Größe stimmt weitgehend mit derjenigen der Roggenfrüchte überein. Demnach fiel ein weitgehend ausgesiebter und gereinigter Getreidekornvorrat dem Stadtbrand anheim.
Am Topfmarkt wurde des Weiteren eine Bodenprobe aus einer Latrinenfüllung geborgen (Abbildungen 11 und 12). In einer Latrine können sich neben verkohlten Pflanzenresten auch unverkohlte und mineralisierte Sämereien erhalten, sofern das Bodenmilieu stets feucht und sauerstoffarm geblieben ist. Die Probe aus der Latrine hat in den Siebrückständen zahlreiche Pflanzenreste erbracht. Es ist aber anzunehmen, dass die Lagerungsbedingungen nicht optimal waren. Schließlich sind vorwiegend hartschalige Sämereien vorhanden. So wurden Obstreste von Kirsche, Apfel/Birne sowie von Wein gefunden (Abbildung 13). Damit ist für das frühe 16. Jahrhundert in Naumburg Wein nachgewiesen, dies zeugt offenbar auch vom Weinanbau in der Region. Noch heute wird in der Umgebung von Naumburg, die zum Weinanbaugebiet Saale-Unstrut gehört, Wein angebaut.
Text: Peter Rudolph, Monika Hellmund
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta