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Geschichte aus der Luft gegriffen – neue Erkenntnisse der Stratosphärenarchäologie in Mitteldeutschland

April 2008

Der Flughafen Oppin bei Halle ist häufiges Ziel des jüngst am Landesmuseum neu angestellten Strato-Archäologen Peter Regensburger. Er ist einer der ersten Wissenschaftler dieser ausgesprochen jungen Disziplin, die sich mit der anthropogenen Atmosphärenchemie der Vorgeschichte befasst. Sein wichtigstes »Arbeitswerkzeug«: das mit modernster Analysetechnik besetzte Stratosphärenflugzeug, bereitgestellt für ein Jahr von der Landesanstalt für Umwelt sowie dem Bundesministerium für Forschung und Technologie. Die Maschine, die im Gegensatz zu herkömmlichen Luftfahrzeugen bevorzugt auf extreme Flughöhen ausgelegt ist, dient üblicherweise der Messung von Feinstaub und im Rahmen eines Frühwarnsystems für Schauer und Gewitter (Abbildung 1).

Regensburgers Arbeitsplatz dürfte zeitweise wohl der höchstgelegene eines Archäologen überhaupt sein - die Stratosphäre ist jene Zone der Erdatmosphäre, die in einer Höhe von 15.000 Meter beginnt und etwa bei 50.000 Meter endet.

Warum wollen Archäologen so hoch hinaus? Konventionelle Luftbildarchäologie ist tatsächlich nicht, was den Forscher zu Höhenflügen veranlasst: die Luft selbst ist Gegenstand seines relativ jungen Fachgebietes ›Stratosphärenarchäologie‹.

Grundlage der Stratosphärenarchäologie sind einige naturwissenschaftliche Voraussetzungen, die in den letzten Jahren insbesondere von den baltorussischen Atmosphärephysikern A. Prilov und  S. Cherzovitch erforscht und beschrieben wurden. Während in den tiefer liegenden Atmosphäreschichten (Troposphäre) Gasmoleküle durch Wind, Turbulenzen und Diffusion innerhalb weniger Jahre relativ gleichmäßig über den Globus verteilt werden, stellen sich die Verhältnisse in der wesentlich dünneren und kälteren Stratosphäre vollkommen anders dar (Abbildung 2).

Die »mittlere freie Weglänge« eines Teilchens liegt in der Stratosphäre (pro Tag) bei nur wenigen Zentimetern. Dies ist bedingt durch die ausgesprochen niedrige Temperatur der dieser Atmosphärenzone (minus 60 bis 0 Grad Celsius), dem geringen Druck, der niedrigen Teilchendichte und der damit geringen Wahrscheinlichkeit von Zusammenstößen und Strahlungs»treffern«.  Steigen Gasmoleküle durch Konvektion (zum Beispiel bei aufsteigenden Gewitterwolken) senkrecht in die Stratosphäre auf, so werden sie dort abrupt abgebremst und im Ruhezustand »eingefangen«. Nur relativ langsam steigen die Teilchen weiter in der  Stratosphäre empor (circa 9,8 bis 10,3 Meter/Jahr), ihre horizontale Ausbreitung beträgt dabei sogar nur wenige zwanzig bis dreißig Zentimeter im Jahr. Ein eingefangenes Gasteilchen hat sich folglich nach circa 1000 Jahren nur maximal circa zwei bis drei Kilometer horizontal von seinem ursprünglichen Eintritt in die Stratosphäre fortbewegt, was einer ziemlich guten Ortskonstanz entspricht. Ebenso langsam steigen die »historischen« Luftschichten in vertikaler Richtung auf. Im Vergleich zur konventionellen »Erdarchäologie« gilt also: die obersten Luftschichten sind die ältesten, die jüngsten Schichten der Stratosphäre beginnen »unten« bei 15.000 Meter.

Die Grenze ihrer Nachweisbarkeit liegt an der Grenze der Stratopause, die als relativ scharfes Band die Stratosphäre nach oben hin zur Mesosphäre abgrenzt. Oberhalb dieser Grenze unterliegen die Teilchen einem starken Beschuss ionisierender Strahlen, wodurch sie stark beschleunigt und ihre chemischen Bindungen weitgehend aufgebrochen werden. Bei einer Ausdehnung der Stratosphäre von 15.000 bis 50.000 Metern über Normalnull ergibt sich ein Zeitfenster von 1500 vor Christus (in 50.000 Meter Höhe, Beginn der Mesosphäre) absteigend bis 15.000 Meter (heute). Die Atmosphäre wesentlicher archäologische Kulturen von der späten Frühbronzezeit über die römische Kaiserzeit und Völkerwanderungszeit, Mittelalter und Neuzeit sind somit schichtenweise in der Stratosphäre – lokal aufgelöst - konserviert. Dies erschließt nicht nur Forschern für die Klimageschichte der letzten 3500 Jahre wesentliche Informationsquellen, sondern auch die Vorgeschichtsforschung hat die Chancen erkannt: »Strato-Archäologie« wird zukünftig wohl fester Bestandteil der prähistorischen Forschung werden. Die Möglichkeiten sind vielgestaltig und können hier kaum umfassend dargestellt werden. Da der Mensch mit seinen Tätigkeiten unweigerlich Spuren in der Atmosphäre hinterlässt, können durch die Stratosphärenforschung zeit- und ortsaufgelöst menschliche Wirtschaftsweisen und Lebensverhältnisse erfasst werden.

Ein Beispiel soll dies deutlich machen. Im Rahmen mehrere Stratosphärenflüge mit dem Forschungsflugzeug »Archäoflot« gelang es dem Referat Stratoarchäologie des Landesamtes, zeitaufgelöst den Raum Halle/Magdeburg zu untersuchen.

Die chemische Analytik der durchflogenen Stratosphäreschichten gelingt dabei »on the fly« per bildgebender Infrarotspektroskopie. In den folgenden Bildern wurden jeweils die Verteilung von Methan (Sumpfgas), Schwefelwasserstoff, Chlorid und Kohlendioxid geplottet. Dargestellt sind hier jeweils die Zeitschichten um 1500 vor Christus und 1200 nach Christus (Abbildung 3).

Die jeweiligen Epochen zeigen deutlich erkennbare Unterschiede in der atmosphärischen Zusammensetzung.

In der frühen Spätbronzezeit zeichnen sich über  Halle und einigen umliegenden Ortschaften deutlich erhöhte Werte von (Natrium-)Chlorid ab. Diese sind mit großer Sicherheit auf die damals intensive Salzsiederei zurück zu führen. Im Raum Magdeburg war zu dieser Zeit offenbar wenig »los«. Lediglich leicht erhöhte Werte von Sumpfgas (Methan) legen nahe, dass diese Region offenbar von der Zivilisation der frühen Bronzezeit weitgehend gemieden wurde.

Anders gestaltet sich das Bild um 1200 nach Christus im hohen Mittelalter (Abbildung 4). Die Salzproduktion ist in Halle zwar deutlich angestiegen, nun aber zeichnet sich Magdeburg als dicht bevölkerte Metropole überdeutlich ab. Starke Gehalte von Schwefelwasserstoff deuten auf intensive gasförmige menschliche und tierische Ausscheidungen hin, der Kohlendioxidgehalt nimmt ebenfalls erheblich zu, was auf die intensive Tätigkeit Brennstoff verbrauchender Handwerksbetriebe (Schmieden, Glasbläser, Töpfereien) hindeutet.

Die ersten Ergebnisse der prähistorischen Stratosphärenforschung in Mitteldeutschland sind folglich ausgesprochen vielversprechend. Doch der Optimismus könnte jedoch auch Dämpfer erhalten. Zwar dringen konventionelle Zivil- und Militärflugzeuge derzeit noch ausgesprochen selten in die Stratosphäre vor, jedoch könnte sich das in Zukunft mit dem unaufhaltsam steigenden Luftverkehr bald ändern. Jeder Stratosphärenflug würde die wertvollen archäologischen Informationen unwiederbringlich zerstören. Der Verband der Landesarchäologen hat sich daher bereits in einem Schreiben an die Internationalen Raumfahrtbehörden gewandt, um über archäologische Schutzzonen in der Stratosphäre zu verhandeln.


Text: Konstantin Opel
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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