Ein 6000 Jahre altes Symbol der Macht
Januar 2008
Ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Fund des Monats soll am Beginn des Jahres 2008 vorgestellt werden. Ungewöhnlich deshalb, weil es sich zum einen um ein extrem seltenes und wertvolles Fundobjekt handelt und seine Auffindung mehr als ein halbes Jahrhundert zurück liegt, zum anderen – was weniger erfreulich ist – weil der Fundort des Stückes unbekannt bleibt. Es handelt sich um ein so genanntes Jadeitbeil, das in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Eingang in die Sammlung des Museums Halberstadt fand (Abbildung 1).
Auch die Durchsicht der Fundakten des Museums erbrachten keine nennenswerten Erkenntnisse zu dessen Herkunft.
Einzelfunde ohne archäologischen Zusammenhang und unbekannten Fundorte besitzen in der Regel kaum noch wissenschaftliche Aussagekraft. Aufgrund des ungewöhnlichen Materials erscheint die eingehendere Betrachtung im Fall des Halberstädter Beils aber doch als lohnend. Das spannende Phänomen jungsteinzeitlicher Waffen aus kostbarem Jadeitit, ihre Verbreitung in halb Europa, die Frage nach der Herkunft des Rohmaterials, seine Bedeutung für Gesellschaft und Fernhandelswege im Neolithikum und ethnologische Parallelen sollen im Folgenden erläutert werden.
Auffällig in seiner Form mit spitzem Nacken, flacher Klinge und perfekt geschliffener Oberfläche kann das Halberstädter Exemplar gut zwei Dutzend vergleichbaren Jadeitbeile aus Sachsen-Anhalt und Thüringen gegenüber gestellt werden. Auch wenn die Möglichkeit besteht, dass zum Beispiel ein Forscher des frühen 20. Jahrhunderts das Stück von einer Reise oder als Geschenk mit hierher brachte, sind diese Vergleichsfunde ein Indiz dafür, dass auch das Halberstädter Beil im mitteldeutschen Raum gefunden wurde.
Als Jadeitit wird Gestein bezeichnet, welches zum überwiegenden Teil aus dem Mineral Jadeit besteht. Man kann daher von Jadeitbeilen sprechen, das Gestein ist aber als Jadeitit zu bezeichnen. Die bekanntere aber unwissenschaftliche Bezeichnung Jade ist dabei ein Überbegriff für die Minerale Nephrit und Jadeit. Die Unterscheidung von Jade in Nephrit und den weit selteneren und kostbareren Jadeit gelang erstmals dem französischen Mineralogen Damour im Jahr 1865 – und zwar auf der Basis der Untersuchung französischer Steinbeile. Jadeitit gehört zu den metamorphen Gesteinen, die durch sehr hohen Druck bei nur mäßig erhöhten Temperaturen aus anderen Gesteinen umgewandelt werden.
Derartige Bedingungen finden sich nur an Subduktionszonen, wo, hervorgerufen durch die Plattentektonik, ozeanische Kruste gegen den Rand einer Kontinentalplatte drückt und in das Erdinnere abtaucht. Erst geologische Prozesse bringen das entstandene Gestein im Laufe von Jahrmillionen an die Erdoberfläche. Die wichtigsten Fundstellen liegen in China und Tibet, Birma, Guatemala und Nordamerika. In Europa kommt Jadeitit nur in den norditalienischen Alpen vor.
Die Bezeichnung Jade erhielt das Mineral wahrscheinlich im 16. Jahrhundert während der Eroberung Mexikos durch die Spanier, abgeleitet von piedra de ijada (deutsch »Lenden- oder Nierenstein«) aufgrund der dem Stein zugesprochenen Heilwirkung bei Nierenleiden.
In unbearbeiteter Form erscheint Jadeit eher unscheinbar (Abbildung 2). Erst durch langwieriges Schleifen erhält das Objekt eine überaus glatte und zum Teil sogar durchscheinende Oberfläche.
Die Erkenntnis, dass man aus Europa eine größere Zahl von Beilen aus Jadeitit, jedoch zur damaligen Zeit kein einziges Vorkommen des Gesteins kannte, führte unmittelbar nach der Identifizierung des Minerals durch Damour zu einer heftigen Diskussion, in deren Verlauf unter anderem vorgeschlagen wurde, die europäischen Beile aus Jadeitit würden die Einwanderung eines Volkes aus Südostasien belegen, von wo man entsprechende Vorkommen kannte.
Der Hartnäckigkeit des französischen Archäologen Pierre Pétrequin und seiner Frau Anne-Marie sind die heutigen Kenntnisse über das natürliche Vorkommen von Jadeit in Europa zu verdanken. 16 Jahre lang wanderten die beiden seit 1992 durch die Täler der Westalpen und wurden schließlich fündig. In den Hochgebirgslagen des Monte Viso im Piemont und am Monte Beigua in Ligurien entdeckten sie schließlich sogar die Spuren systematischen Bergbaus auf Jadeitit durch den neolithischen Menschen (Abbildung 3).
Das Gestein findet sich am Monte Viso in Form von Jadeititblöcken, die durch Erosion aus dem anstehenden Serpentinit freigelegt wurden. Gletscher und Schmelzwasser transportierten zerkleinerte Bruchstücke bis hinab in die Täler. Dort fanden die Pétrequins Geröll aus Jadeitit und konnten so die Quelle des Rohmaterials ausfindig machen. Jadeitit ist eine der zähesten in der Natur vorkommende Substanzen (auf Grund des verfilzten Mineralgefüges) und hat die gleiche Härte wie Feuerstein.
Ein Zerkleinern der Jadeititblöcke am Monte Viso ist deshalb selbst mit modernen Stahlhämmern und Meißeln fast unmöglich. Die einzige Möglichkeit der Gewinnung von geeigneten Rohmaterialstücken für die Beilherstellung im Neolithikum war daher das Feuersetzen an den Blöcken. Auf diese Weise erzielte man nach circa 24 Stunden Erwärmung plattige Hitzesprengungen im Gestein.
Längere Expeditionen mussten durchgeführt werden, um jenseits der Baumgrenze auf 2000 bis 2400 Meter Höhe und in nur kurzzeitig schneefreiem Terrain am Monte Viso das Material bergmännisch abzubauen. Dass die damit verbundenen Gefahren und die beschwerliche Arbeit in Kauf genommen wurden, verdeutlicht die hohe Wertschätzung des Rohmaterials. Zurück in den heimischen Siedlungen erfolgte die Fertigstellung der Beile.
Von dort wurden die Fertigprodukte wahrscheinlich als Geschenke oder wertvolles Tauschgut von einer Bevölkerungsgruppe zur anderen weitergegeben und gelangten so in weite Teile Europas. Vor allem Nordfrankreich und die Bretagne, Großbritannien und Irland, Belgien, Mittel- und Norddeutschland und sogar Dänemark sind bekannte Fundregionen der hochgeschätzten Beile. Etwa 2000 Exemplare von mehr als 14 Zentimeter Länge sind bis heute europaweit entdeckt wurden. Leider fanden sich nur sehr wenige der Jadeitbeile im archäologischen Kontext. Zum einen deutet ihr Einzelfundcharakter darauf hin, dass die Beile meist als Einzelstück bzw. Einstückhort vergraben wurden. Zum anderen hatte es zur Folge, dass ihre Zeitstellung lange fraglich blieb. Mit der Radiocarbon-Datierung von Holzkohlen konnte der Abbau am Monte Viso in der Zeit zwischen 5200 und 4000 vor Christus nachgewiesen werden.
Kompliziert wird die Datierungsfrage aber durch die nachgewiesen lange Verwendung der Beile. Offenbar blieben sie lange Zeit in Umlauf und wurden von Generation zu Generation weitergegeben bis sie schließlich, wahrscheinlich als Opfergabe, in den Boden gelangten. Ihre Beliebtheit wird durch die Nachahmung mit anderen Werkstoffen wie Flint noch unterstrichen. Anhand von Imitationen aus Kupfer lässt sich in Dänemark belegen, dass alpine Beile dort noch um 3500 vor Christus und somit tausend Jahre nach ihrer Herstellung im Umlauf waren. Das für diese Imitationen verwendete Metall wurde aus den österreichischen Alpen in den Norden importiert. Die Jadeitbeile Mitteldeutschlands und auch das des Halberstädter Museums, dürften im Verlauf der ersten Hälfte oder Mitte des 4. Jahrtausends hierher gelangt sein.
Gelegentlich sind Jadeitbeile aber auch als Grabbeigabe nachgewiesen. Vor allem in der Bretagne sind Befunde aus großen Langhügeln bekannt. Hier genannt sei das 1863 ausgegrabene Steinkistengrab von Mané-er-Hroeck im Departement Morbihan, in dem einer Person insgesamt 101 Beile beigegeben waren, darunter elf alpine Jadeitbeile und 90 weitere Beilen aus lokal vorkommendem Fibrolith. Weiterhin ein großer Scheibenring aus Jadeitit und 49 Variszitperlen, einem Mineral aus dem nordwestlichen Teil Spaniens. Dieser außergewöhnliche Reichtum an ausgewiesenen Prunkobjekten spricht dafür, dass hier eine herausragende Persönlichkeit bestattet wurde.
Die Sitte, Jadeitbeile als Grabbeigaben zu verwenden, brach in der Bretagne bereits um 4300 vor Christus ab. Einige danach errichtete monumentale Steingräber, wie zum Beispiel die von Table-des-Marchand bei Locmariaquer oder die von Gavrinis sind aber für die Problematik der Jadeitbeile dennoch sehr interessant. Beim Bau dieser Gräber wurden ältere, ehemals frei stehende Stelen wiederverwendet. Diese Stelen sind außer mit komplizierten Spiral- und Schlangenmustern auch mit Darstellungen der charakteristischen Jadeitbeile verziert (Abbildungen 4 und 5). Einige der Beile wurden sogar in geschäftetem Zustand abgebildet. Möglicherweise wurden ihnen beziehungsweise ihren Darstellungen eine besondere Rolle beim Ahnenkult oder rituellen Handlungen zuteil.
Paradoxerweise sind die mühevoll hergestellten Beile nur eingeschränkt praktisch nutzbar. Spuren von Nachschärfung und Benutzung deuten aber darauf hin, dass sie trotzdem durchaus als Arbeitsgerät Verwendung fanden. Um eine Erklärung für dieses Phänomen zu finden, muss der Blick auf die andere Seite der Erdkugel gerichtet werden, denn Pierre Pétrequin ging noch weiter.
In ethnoarchäologischen Studien bei einem der letzten Naturvölker der Insel Neu-Guinea stieß er auf erstaunliche Parallelen zum neolithischen Umgang mit Jadeitit in Europa. In der Irian Jaha genannten Provinz in der Westhälfte Neu-Guineas stellt das Volk der Dani in langer Tradition große und polierte Klingen aus Glaukophanit her. Dieses Gestein hat nicht nur fast die gleiche Härte wie Jadeitit, sondern kommt auch in dem riesigen Gebiet von Irian Jaha nur auf einem einzigen Berg vor.
Auch hier sind die bis zu vier Kilogramm schweren Beile nur eingeschränkt als Werkzeug zu gebrauchen. Die jungen Männer bei den Dani messen sich mit ihren Beilen zum Beispiel im Bäume fällen, doch hat diese Arbeit eher symbolischen Charakter. Durch die Verwendung unnötig schwerer Arbeitsbeile werden Stärke und Geschicklichkeit unter Beweis gestellt. Um Prestige und Ansehen wird aber bereits während der aufwendigen Herstellung der Beile gekämpft. Und auch hier gilt: die Größe der Klinge kennzeichnet die soziale Stellung. Durch diese Konkurrenz untereinander wird der Wert der Arbeitsgeräte überhöht und mit sozialen Werten besetzt.
Nach einer gewissen Zeit werden die Beile bei zeremoniellen Anlässen und besonderen Feierlichkeiten in Rituale des Ahnenkults integriert. Öffentlich werden sie zur Schau gestellt und einige spezielle Formen sogar bekleidet (Abbildung 6) und mit Namen versehen, wobei eher ihr Alter und weniger die Größe eine wichtige Rolle spielt.
Interessant sind in Neuguinea vor allem die Regeln und Techniken beim Abbau des nur auf einem Berg vorkommenden Gesteins. Der Steinbruch ist ein heiliger und geheim gehaltener Ort, der nur von ausgewählten Männern des Clans der Wano betreten und ausgebeutet wird. Darf ein Mann eine solche etwa zweiwöchige Exkursion begleiten, gilt seine Stellung in der Gemeinschaft als gefestigt. Mit Gesängen, Gebeten und fest geregelten Kulthandlungen soll der Berg gnädig gestimmt werden. Nur die Eingeweihten wissen, wie man die »Mutter der Beile« gnädig stimmt. Durch das Feuer setzen am Gestein werden größere Stücke abgesprengt. Nach der Rückkehr ins Dorf werden die gewonnenen Felsbrocken zum Beil umgearbeitet und poliert.
Es ist anzunehmen, dass den Jadeitbeilen des europäischen Neolithikums eine ähnlich hohe Bedeutung innerhalb von Riten und zeremoniellen Handlungen zukam, wie einigen besonderen Steinbeilen auf Neu-Guinea. Ihr Einzelfundcharakter, der wie schon erwähnt auf Opferungen hinweist, ihre Darstellung als Felsritzungen in monumentalen Grabanlagen sowie ihre nachgewiesen lange Verwendung und generationsweise Weitergabe verdeutlichen die außergewöhnliche Wertschätzung dieser Objekte. Vermutlich wurden sie ursprünglich als Arbeitsbeile hergestellt, wonach sich ihr Gebrauch durch die Konkurrenz junger Männer wie auch in Neu Guinea später nur auf ganz bestimmte Zwecke beschränkte, in denen sozialer Stellenwert, religiöse Vorstellungen, die Verehrung der Vorfahren und die Kenntnisse über die Natur Ausdruck fanden (Abbildungen 7 und 8).
Das Halberstädter Beil stellt ein Beispiel unter vielen dar. Wer es herstellte, wie es nach Mitteldeutschland gelangte, wer es benutzte und welche Geschichten man sich darüber erzählte, wird unklar bleiben. Doch auch Fundstücke über deren archäologischen Kontext fast nichts bekannt ist, können uns trotzdem noch viel über den vorgeschichtlichen Menschen erzählen.
Text: Norma Literski, Lutz Klassen (Moesgård Museum, Dänemark), Barbara Fritsch
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
P. Pétrequin, A. M. Pétrequin, M. Errera, S. Cassen, C. Croutsch, L. Klassen, M. Rossy, P. Garibaldi, E. Isetti, G. Rossi und D. Delcaro, Beigua, Monviso e Valais. All'origine delle grandi asce levigate di origine alpina in Europa occidentale durante il V millenio. Rivista di Scienze Preistoriche LV, 2005, 265-322.
P. Pétrequin, M. Errera, A.M. Pétrequin und P. Allard, The neolithic quarries of Mont Viso (Piedmont, Italy). Initial radiocarbon dates. European Journal of Archaeology 9 (1), 7-30.
A.-M. Pétrequin, P. Pétrequin, Objets de pouvoir en Nouvelle-Guinée. Approche ethnoarchéologique d`un système de signes sociaux. Réunion des Musées Nationaux (ed.), Paris 2006.
C.-T. le Roux, Gavrinis. Editions Jean-Paul Gisserot. Luçon 1995, Neuauflage 2003.