Tönerne Rasseln aus der Sammlung des Landesmuseums für Vorgeschichte
Juli 2009
Beim Fund des Monats Juli handelt es sich nicht um einen aktuellen Fund der in einer der vielen Ausgrabungen Sachsen-Anhalts zutage kam. Vielmehr dreht sich alles um ein kleines Ensemble von tönernen Rasseln aus der Sammlung des Landesmuseums für Vorgeschichte Halle, deren Auffindung zum Teil weit mehr als ein Jahrhundert in der Vergangenheit liegt (Abbildung 1). Die Rasseln wurden nicht zusammen gefunden, sondern an verschiedenen Fundorten, die heute nach verschiedenen Gebietsreformen zum größten Teil in anderen Bundesländern liegen. In der Sammlung des Landesmuseums wurden sie zu Anschauungs- und Studienzwecken in einer Kiste zusammengetragen.
Rasseln zählen zu den sogenannten Idiophonen (»Selbstklinger«), genauer gesagt zu den Schüttelidiophonen, weil hier mit dem Gefäßkörper selbst die Töne erzeugt werden (Koch 2003). Schon der erste Blick offenbart eine große Formenvarianz und Gestaltungsvielfalt der Rasseln. So gibt es kugel- ei- und tropfenförmige Rasseln, Kugelrasseln mit abgesetztem »Fuß«, Dellen oder Knubben, eine kissenförmige, eine griffförmige oder solche in Gestalt kleiner verschlossener doppelkonischer oder flaschenartigen Gefäße. Am auffälligsten sind dabei Rasseln in Vogelform (ornitomorph). Unter allen Rasselfunden machen Sie den relativ hohen Anteil von etwa einem Viertel aus. Die meisten Rasseln sind mit Löchern versehen, die entweder zum Aufhängen an einem Faden dienten oder zu akustischen Zwecken als Schalllöcher um die Schallstärke zu erhöhen.
Einige der Rasseln tragen Verzierungen die sich weitgehend dem bekannten spätbronzezeitlichen Gefäßornamenten anschließen lassen. Dazu gehören umlaufend waagerechte, schräge oder senkrechte Rillenbündel, Punkteinstiche oder plastische Verzierungen wie Knubben und Dellen. Die vogelförmigen Rasseln tragen oft Rillenzier die offenbar das Gefieder oder Flügel andeutet.
Die Umstände ihrer Auffindung sind ganz unterschiedlich. Einige wurden bei regulären Grabungen geborgen, andere wurden zufällig von Laien gefunden und kamen später als Geschenk in die Sammlung. Alle hier vorgestellten Rasseln sind vermutlich zum Fundmaterial der spätbronzezeitlichen Lausitzer Kultur zuzuordnen und stammen soweit bekannt aus Grabbefunden (siehe unten). Rasseln sind außer während der Spätbronzezeit erst wieder in der Slawenzeit (9./10. Jahrhundert) weit verbreitet (Koch 1992; Koch 2003).
Unter den Rasseln ist zumindest ein besonderer Befundzusammenhang hervorzuheben. So stammt die vogelförmige Rassel aus Ichstedt, heute Kyffhäuserkreis in Thüringen (Abbildung 2) zweifelsfrei aus einer Bestattung der römischen Kaiserzeit. Während der Ausgrabungen im Jahr 1988 wurde innerhalb eines ausgedehnten Gräberfeldes auch Grab 36 dokumentiert, bestehend aus einem Häufchen Leichenbrand einem Terra sigillata-Teller (römisches Tafelgeschirr), dem Rest eines größeren Bronzegefäßes, Bronzeschmuck und zwei hellblauen Glasperlen sowie eben jener vogelförmigen Rassel. Das Stück ist in diesem Zusammenhang so ungewöhnlich und gleicht den spätbronzezeitlichen Exemplaren derart, dass hier von einer in der Kaiserzeit aufgelesenen Antiquität gesprochen werden muss die rund eintausend Jahre nach ihrer Herstellung nochmals als quasi sekundäre Grabbeigabe diente (Becker 1999, 37f.). Am Hals zeigt die Rassel Spuren einer Reparatur mit Ton um den abgebrochenen Kopf wieder zu befestigen. Die Strichbündelverzierungen auf dem Rücken des Vogels, mit denen möglicherweise das Gefieder angedeutet wurde, gehören zum typischen Dekor der späten Bronzezeit. Eine angefertigte Röntgenaufnahme offenbart den Inhalt der Rassel, bestehend aus vier Tonkügelchen (Abbildung 3).
Für die Rasseln aus dem Waldstück »Schweinert« zwischen Kleinrössen und Uebigau-Wahrenbrück (Abbildung 4), heute im brandenburgischen Elbe-Elster-Kreis gelegen, sind dagegen keine Grabbefunde mehr bekannt. Die Ausgrabung des Flach- und Hügelgräberfeldes wurde bereits im Jahr 1828 durchgeführt und zählt damit zu einer der frühesten archäologischen Untersuchungen Mitteldeutschlands überhaupt (Wagner 1830). Die Bergung erfolgte jedoch meist durch bloßes, dokumentationsloses aufsammeln der Funde, sodass in den Akten des Landesmuseums oft nur Bemerkungen wie die Folgende zu lesen sind: »1828 von Dr. Wagner eingesandt. Kiste mit heidnischen Alterthümern in den Gräbern bei Kleinrössen an der Elster (d. schwarzen) gefunden« (Ortsakte Klein-Rössen). Es handelt sich um zwei verschlossene Miniaturgefäße mit Schallloch und Durchbohrung für eine Schnur, sowie um eine kugelförmige Rassel mit Standboden, die mit Zonenbuckeln, konzentrischen Halbkreisrillen und Fingertupfen verziert ist. Auch die kleine verzierte Vogelrassel aus Buckau (Landkreis Elbe-Elster) (Abbildung 5) wurde laut Wagner bereits 1829 in einem Grab bestehend aus mehreren teilweise in- und übereinander stehenden Gefäßen und mehreren Urnen gefunden. Die Rillenverzierung auf dem Rücken des Vogels kann wiederum als Gefieder oder Flügel interpretiert werden.
Die zierliche flaschenförmige Rassel mit langem schmalem Hals aus Arzberg, heute Landkreis Torgau, (Abbildung 6) gehört unter den hier vorgestellten zu einer der wenigen die bei der regulären Freilegung mehrer Urnengräber im September 1901 ausgegraben wurden. Unter den Funden aus den Gräbern werden ferner Tonamulette, Tonlöffel, Tonperlen, Tonscheiben und Bronzeringe genannt.
Ähnlich wurde eine doppelkonische Rassel mit Henkel während einer amtlichen Grabung 1940 in Annaburg (Landkreis Wittenberg) (Abbildung 7) durch den renommierten Archäologen Wilhelm Albert von Brunn aus stark zerstörten Gräbern eines Flachgräberfeldes geborgen. Sie besteht im Prinzip aus zwei Miniaturtassen die an der Gefäßmündung miteinander verbunden wurden und so an Ober- und Unterseite zwei eingedellte Standböden aufweist.
Ein ähnlicher Befund kann für die dritte und kleinste Rassel in Gestalt eines Vogels mit Standfuß (Abbildung 8) aus Rahnsdorf (Landkreis Wittenberg) angenommen werden. Zumindest berichtete der ortsansässige Pfarrer Heidemüller 1925 über Funde aus einem Flachgräberfeld, wie es im Archiv des Landesmuseums nachzulesen ist. Der Kopf ist abgebrochen, die Verzierung am Rücken aus Schrägstrichbündeln beschädigt. Das Stück ist nur maximal 3,2 Zentimeter hoch.
Die beiden gleichförmigen Rasseln in Form geschlossener Miniaturgefäße aus Beiersdorf (Landkreis Elbe-Elster) (Abbildung 9) stammen mit dem Vermerk »von Urnenplätzen« aus der prähistorischen Sammlung des verstorbenen Hauptlehrers Richter aus Bad Liebenwerda. In Anbetracht der Gleichartigkeit in Form und Verzierung kann hier auch spekuliert werden, dass beide Rasseln Grabbeigaben eines Grabes gewesen sein könnten.
Auch in Halle sind spätbronzezeitliche Funde aus dem Umfeld der Burg Giebichenstein bekannt. Unter diesen fällt eine im Advokatenweg gefundene vasenförmige, mit kleinen Punkteinstichen verzierte Tonrassel auf (Abbildung 10). Diese wurde bereits 1883 von der damaligen »Historischen Commission der Provinz Sachsen« (Gründergesellschaft des Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle) aus der Sammlung des Ober-Postsekretärs Warnecke überwiesen, wie es in den Ortsakten des Landesmuseums nachzulesen steht. Die rote Farbe entstand vielleicht durch Hitzeeinwirkung bei der Verbrennung des Toten, bei der die Rassel in der Nähe gelegen haben könnte.
Durch die Beschädigung an dem kugelförmigen Exemplar mit abgesetztem Standfuß aus Möhlau, Ortsteil Golpa (Landkreis Wittenberg) (Abbildung 11) zeigt sich das Innenleben der Rasseln: kleine Tonkügelchen verursachen das rasselnde Geräusch. Das Stück wurde in Urnengräbern in einer Kiesgrube zufällig gefunden und kam als »Geschenk des Herrn Bergwerksdirektor Dr. P. Schäfer« im August 1900 in die Sammlung des Landesmuseums.
Gleiches kann auch an der birnenförmigen Rassel aus Halle/Leibnitzstraße beobachtet werden (Abbildung 12), die bei einer Notbergung 1962 offenbar aus einer spätbronze- oder früheisenzeitlichen Siedlungsgrube geborgen wurde. Der Inhalt besteht hier nicht aus Tonkügelchen sondern aus kleinen Kieselsteinchen, die einen helleren Klang erzeugen.
Über die Auffindungssituationen der doppelkonischen Rassel aus Senst und des verzietren kissenförmigen Stückes aus Bülzig (beide Landkreis Wittenberg) (Abbildung 13) gibt es leider so gut wie keine Informationen. Gleiches gilt auch für die verzierte, mit Knubben versehenen Rassel und die kugelige mit eingedelltem Boden aus Lönnewitz sowie der griffförmigen Tonrassel aus dem benachbarten Grassau (Abbildung 14) (beide Landkreis Elbe-Elster).
Ebenfalls aus Lönnewitz aber ohne weitere Angaben soll die vierte vogelförmige Rassel stammen. Sie trägt einen hohen Standfuß und eine unregelmäßige Verzierung aus Strichreihen und Punktgruppen. Der Kopf ist alt gebrochen und an den Flanken sind durch kleine tönerne Fortsätze die Flügel sowie am Hinterteil der Steiß ausgeformt (Abbildung 15).
Das rundliche Stück mit zwei eingedellten Standfläche und seitlicher, quer durchlochter Schwellung zum Aufhängen aus Cosilenzien (Landkreis Elbe-Elster) (Abbildung16) kam als Geschenk noch im 19. Jahrhundert nach Halle.
Die Lausitzer Kultur ist während der späten Bronzezeit bis in die frühe Eisenzeit (circa 1300 bis 800 vor Christus) hauptsächlich in Sachsen (vor allem Niederlausitz), in Polen und im Norden Tschechiens verbreitet. Sie ist neben der Urnenfelderkultur und der Nordischen Bronzezeit einer der großen Kulturkreise des spätbronzezeitlichen Mitteleuropas. Benannt wurde sie durch den berühmten Berliner Arzt, Pathologen und Politiker Rudolf Virchow (1821 bis 1902), der nach der Untersuchung von Leichenbränden aus den charakteristischen Urnengräbern 1880 den Namen »Lausitzer Kultur« oder »Lausitzer Typ« prägte.
Typisch sind große, teils über mehrere Generationen angelegte Gräberfelder aus Urnenbestattungen. Der Leichenbrand ist oft auf mehrere Urnen verteilt die mit weiteren Gefäßen unterschiedlicher Form gruppiert zu einem Grabensemble aufgestellt wurden. Begleitend finden sich häufig zerscherbte Gefäße bzw. Gefäßfragmente die z.T. als regelrechte Pflasterung des Grabbodens dienen. Oft ist das Grabgefäßensemble von Steinen eingefasst, begrenzt und/oder bedeckt (Abbildung 17) (Kaiser/Puttkammer 2007).
Die Keramik bildet mit Abstand die Hauptkomponente der Grabbeigaben. Kaum eine andere Epoche der Vorgeschichte weist eine so große Variabilität der Gefäßformen aus unterschiedlich gestalteten Tassen, Schälchen, Henkelschälchen, Terrinen, Schalen, Krügen, Töpfen, Flaschen, Trinkhörnern oder Näpfen auf. Ganze Gefäßservices mit bis zu mehreren Dutzend Gefäßen sind in den Gräbern offenbar nach bestimmten ideellen, bzw. dem Bestattungsritus folgenden Vorgaben angeordnet. Wahrscheinlich wurde die Grabkeramik eigens für die Bestattungen angefertigt. Bei der Anlage des Grabes bzw. bei der Bestattung könnten durch die in bestimmter Reihenfolge verwendeten Teile des Gefäßservices sogenannte Libationsriten (Trankopfer) durchgeführt wurden sein. Dabei dürfte das rituelle Schöpfen, Schütten und Trinken von Flüssigkeiten im Rahmen des Torenrituals eine wesentliche Rolle gespielt haben.
Metallgegenstände finden sich dagegen nur selten in den Gräbern. Meist handelt es sich um kleinteiligen Bronzeschmuck, der durch die Verbrennung des Leichnams oft nur in zerschmolzener Form nachweisbar ist.
In Sachsen-Anhalt beziehungsweise im Gebiet des Dreiländerecks Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg finden sich lediglich die westlichsten Ausläufer der Lausitzer Kultur. Vor allem entlang der Elbe im Raum Wittenberg sind Fundkonzentrationen im Lausitzer Zusammenhang nachgewiesen. Viele der hier vorgestellten Rasseln stammen aus diesem Gebiet, bzw. aus den heute zu Brandenburg zählenden Regionen im Elbe-Elster-Raum.
Eine Besonderheit innerhalb des keramischen Fundmaterials der Lausitzer Kultur bilden jene tönernen Rasseln, wie sie hier vorgestellt werden. Vor allem in den großen sächsischen Gräberfeldern wie Liebersee (Landkreis Nordsachsen) oder Niederkaina (Stadt Bautzen) wurde häufig beobachtet, dass vogelförmige oder andersgestaltige Rasseln mit Kinderbestattungen verbunden sind. Sofern Leichenbranduntersuchungen vorliegen, wurde in den Gräbern mit Rasseln der Leichenbrand eines Kindes häufig auf mehrere Miniaturgefäße bzw. verkleinerte Ausgaben von normalgroßen Urnen verteilt. Die Rasseln werden stehend oder liegend neben den Leichenbrandbehältern aufgefunden (Ender 1999).
Die archäologische Forschung geht trotz dessen davon aus, dass Rasseln und Vogelrasseln nicht als bloßes Kinderspielzeug abgetan werden sollten. Wahrscheinlich ist, dass sie als Symbolgut eine konkrete Rolle im Bestattungsritus spielten und innerhalb des Grabgefäßservices eine besondere Bedeutung einnahmen. Sie werden als »eine Art Heilszeichen« innerhalb des Grab- beziehungsweise Libationsritus gedeutet (Ender 2000). Ferner wird die Vogelform (Schwimm- oder Wasservogel) allgemein mit Wasser assoziiert, wobei die Ähnlichkeit des erzeugten Rasselgeräusches mit Regen auf der gleichen Ebene anzusetzen sei (Koch 1992, 108f.).
Der häufige Bezug zu Kindergräbern spricht nicht unbedingt gegen diese rituell-sakrale Deutung. Vielleicht ist von einer multifunktionalen Interpretation auszugehen, denn es fällt leicht sich die Rasseln über einer Kinderwiege aufgehängt vorzustellen, an denen das Kind spielte. Erst mit dem frühen Tod wird aus dem Spielzeug eine im Bestattungsritus elementare und symbolisierende Grabbeigabe.
Text: Norma Literski
Online-Redaktion: Norma Literski, Anja Lochner-Rechta
Literatur
M. Becker, Ichstedt. Untersuchungen zu einem Gräberfeld der späten Latènezeit bis späten römischen Kaiserzeit. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 82, 1999, 7–210.
W. Ender, Beobachtungen zum Bestattungswesen. In: J. Bemmann, W. Ender, Liebersee. Ein polykultureller Bestattungsplatz an der sächsischen Elbe 1. Veröff. Landesmus.Vorgesch. Dresden 28 (Stuttgart 1999) 87–101.
W. Ender, Liebersee. Ein polykultureller Bestattungsplatz an der sächsischen Elbe 2. Veröff. Landesmus. Vorgesch. Dresden 30 (Dresden 2000).
J. Kaiser, Th. Puttkammer, 2000 Jahre eine Ruhestätte der Ahnen - Der Schafberg von Niederkaina bei Bautzen. In: F. Koch (Hrsg.) Bronzezeit. Die Lausitz vor 3000 Jahren. Begleitband zur Ausstellung vom 18. Januar bis 2. September 2007, Museum der Westlausitz Kamenz (Kamenz 2007) 68–81.
K.-P. Koch, Musikarchäologische Quellen aus dem östlichen Deutschland. Zwischenbericht. Jahresschrift für mitteldeutsche Vorgeschichte 75, 1992, 101–136.
K.-P. Koch, Rasseln. In: J. Hoops (Hrsg.) Reallexikon der germanischen Altertumskunde 24 (Berlin, New York 2003) 147–153.
F. A. Wagner, Zweiter Bericht über die im Jahre 1828, fortgesetzten antiquarischen Nachgrabungen und Forschungen in den Gräbern und Opferherden unserer Urväter auf dem beiderseitigem Ufern unweit dem Ausfluß der Schwarzen Elster, im Schweinitzer und Liebenwerdaer Kreise des Herzogthums Sachsen. In: F. Kruse (Hrsg.) Deutsche Alterthümer (Halle 1830) 51–57.