Hieb? Stich? Oder beides? Eine Typenbestimmung des Schwertes Rudolfs II.
September 2009
Lutherstadt Wittenberg, im Februar 2009: Bei Bauarbeiten im ehemaligen Franziskanerkloster am Arsenalplatz stoßen Arbeiter auf einen aufsehenerregenden und gänzlich unerwarteten Fund. Es handelt sich um drei Gräber in vollständig ungestörtem Zustand. Die Meldung an die zuständige Stelle erfolgt sofort, die Fundstelle kann durch den Leiter des Städtischen Museums, Herrn Andreas Wurda, gesichert werden. Vom Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt aus wird umgehend eine Blockbergung veranlasst und die Funde mitsamt der sie umgebenden Erde nach Halle verbracht. Dort beginnen Spezialisten direkt mit dem Freilegen und der Restaurierung (siehe Fund des Monats August 2009).
Noch am Fundort stellt sich eine Situation dar, die auch für versierte Archäologen nicht unbedingt alltäglich ist. In einem der Gräber finden sich, schon bei oberflächlicher Betrachtung gut zu erkennen, zwei Beigaben: ein scheibenförmiger, in zwei Teile zerbrochener Metallgegenstand sowie an der linken Seite des Toten ein komplett erhaltenes, im Sediment eingebackenes Schwert.
Die Metallscheibe stellt sich sehr bald als ein Siegel heraus, das Große Siegel des sächsischen Kurfürsten und Hofmarschalls des Deutschen Reiches, aller Wahrscheinlichkeit nach das Rudolfs II. von Askanien. Er starb 1370, nachdem er im Jahre 1359 seinem Vater, Rudolf I., im Amte nachgefolgt war.
Diese Datierung war insofern hilfreich, da sich auf diese Art und Weise der Zeitraum der Bestattung klar eingrenzen ließ - und damit eben auch die Periode, in der das Schwert angefertigt, gebraucht und letztendlich seinem Besitzer mit ins Grab gegeben wurde.
Schwertfunde aus dem Hochmittelalter gelten gemeinhin als ausgesprochen selten, gut erhaltene Funde sind eine noch größere Rarität. Lässt sich eine solche Waffe gar aufgrund abgesicherter Fundumstände mit einer historischen Person oder Persönlichkeit in Verbindung bringen, kann man ohne Übertreibung durchaus von einer kleinen Sensation sprechen.
Europaweit sind sehr wenige Funde bekannt, die all diese Kriterien zweifelsfrei erfüllen.
Dazu gehören:
das Schwert König Sanchos IV. von Kastilien aus der Kathedrale von Burgos, vor 1296;
das Schwert des Fernando de la Cerda aus dem Convent von Las Huelgos, ebenfalls Burgos, vor 1270;
das Schwert des Can Grande della Scala aus dessen Grab in Verona, vor 1326;
das Schwert Svante Nilsson Stures, Reichsregent von Schweden, aus dessen Grab in Uppsala, vor 1512;
das Schwert des Estorre Visconte aus seinem Grab in der Kathedrale von Monza, vor 1413 sowie
das Schwert des Friedrich von Tharandt, gefallen bei Sempach 1296.
Im konkreten Fall können wir also davon ausgehen, dass das Schwert Rudolfs II. etwa in der Mitte des 14. Jahrhunderts angefertigt wurde und um 1370 in das Grab gelangte. Seit dieser Zeit ruhte es dort.
Zu welchem Typ gehörte das Schwert nun, war es ein Zeremonial- oder Prunkschwert oder doch eher eine Gebrauchswaffe, der man mit ruhigem Gewissen sein Leben anvertrauen konnte? Hatte es aufwändige Verzierungen oder war es eine schlichte und zweckmäßige Ausführung? Diese und viele andere Fragen stellten sich, und die Suche nach den Antworten begann.
Bereits die erste Röntgenaufnahme des Objektes bringt Interessantes zutage: Es handelt sich um ein Schwert, welches rüstungstechnisch auf der Höhe seiner Zeit und damals weit verbreitet war. Die Vermutung liegt nahe, dass der Fürst es zu Lebzeiten auch getragen hat. Hatte es ihn vielleicht sogar in die verhängnisvolle Schlacht von Crecy 1346 begleitet? Darüber ließe sich nur spekulieren.
Eine Tatsache ist aber, dass die Form des Schwertes, auf die später noch näher eingegangen wird, in enger Beziehung zu einigen Neuerungen bei den Körperpanzerungen steht, die sich in der Mitte des 14. Jahrhunderts durchsetzten. In diesen Jahrzehnten vollzog sich waffen- und rüstungstechnisch ein entscheidender Wandel. Bis dahin bestand der Körperschutz des Ritters fast komplett aus Kettengeflecht, gelegentlich an Knie und Ellenbogen verstärkt. Das Ganze wurde über einer gepolsterten und abgesteppten Jacke, dem Aketon, getragen. Der Rumpf wurde mit einem Plattenrock geschützt, bei dem Eisenplatten innenseitig auf einem Trägermaterial aus Leder oder derbem Stoff aufgenietet waren. Den Kopf schützte ein Kübelhelm über dem Hauberk, der Kettenhaube, die wiederum auf einer Polsterhaube saß.
In den Jahren nach 1330 wurde die Rüstung vollständiger - und entschieden modischer. Der Lentner ersetzte den Plattenrock. Das Konstruktionsprinzip blieb zwar gleich, aber die nun stärker gewölbten Metallplatten passten sich den Körperformen entschieden besser an. Es wurde sozusagen »auf Taille« gearbeitet, wie man das auch in der Zivilkleidung findet. Darüber hinaus verbesserte man den Schutz der Schultern, der Arme und Beine sowie der Hände.
Die Figur auf der Grabplatte des Fürsten, die in der Wittenberger Schlosskirche zu sehen ist, scheint eine solche Rüstung zu tragen.
Eine logische Folge dieser Entwicklung war unter anderem, dass sich auch das »Design« der Schwerter änderte. Bis dahin bewährte Schlag-Stoß-Schwerter mit relativ breiter, flexibler Klinge hatten keinen Nutzen mehr gegen eine verbesserte Panzerung. Die Klingenform passte sich an - schmaler, kräftiger, in der Spitze massiver und im Ganzen etwas steifer. Auch der Knauf als Gegengewicht zur Klinge bekam mehr Masse. Der Griff wurde nunmehr so lang, dass der Träger ihn mit beiden, panzerbehandschuhten Händen sicher fassen konnte.
Auf die Fechttechnik bezogen könnte das so aussehen, dass nach einem einleitenden Schlag, einer Finte oder einem Block versucht wurde, den Ort (die Schwertspitze) ins Ziel zu bringen. Die Entscheidung wurde also mehr und mehr im Stoß gesucht! Dieses konnte durch einen unterstützenden Schub am Knauf geschehen oder mittels der »Halbschwerttechnik«, wobei die linke Hand die eigene Klinge etwa in der Mitte fasst. Zielpunkte waren meist die Beugestellen wie etwa Halsbereich, Achselhöhle oder Ellbogenbeuge; Bereiche also, die weiterhin nur durch Kettengeflecht geschützt werden konnten. Das Schwert wurde quasi wie eine kurze Lanze gebraucht.
Es sind nur wenige Fechtbücher aus dieser Zeit überliefert. Das älteste erhaltene, entstanden in Süddeutschland um 1300, beschreibt erstaunlich detailliert den Umgang mit Schwert und Faustschild, spätere Werke befassen sich unter anderem mit der Handhabung des Gotischen Langen Schwertes, wie zum Beispiel Johannes Liechtenauer, Siegmund Ringeck oder Fiore de Liberi 1409.
Das Original
Das aufgefundene Schwert gehört zu einem Typ, der in der Literatur als Oakeshott XVII bezeichnet wird. Er gehört Mitte des 14. Jahrhundert zu den am weitesten verbreiteten, in sehr vielen Museen und Sammlungen existieren Stücke davon.
Die Gesamtlänge des Originals (Abbildung 1) beträgt, gemessen vom Vernietknäufchen bis zum Ortband 126 Zentimeter, wobei für die Länge der Waffe selbst fünf bis sechs Zentimeter abzuziehen sind. Die Waffe ist aller Wahrscheinlichkeit nach den Körpermaßen des Trägers angepasst - Seine Gnaden müssen bei einer Körpergröße von über 1,80 Meter eine imposante Erscheinung gewesen sein! Angaben, die den Stahl betreffen, lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur indirekt mit Hilfe von Röntgenaufnahmen machen, da diese Teile noch zu sehr von Sediment eingebacken sind, zum anderen die Sicherung der reichlich vorhandenen organischen Bestandteile absoluten Vorrang hat. Wir dürfen aber einen Mono- oder strähnigen Raffinierstahl erwarten. Die hohe Kunst des Schweißverbundstahles oder der sogenannten »wurmbunten« Klingen, die bis ins 10. Jahrhundertdie Regel darstellte, war einem einfacheren und zweckmäßigeren Verfahren gewichen. Auf die Belastbarkeit der Klingen hatte das keinen Einfluss. Sie wurden nach wie vor im Holzkohlenfeuer ausgereckt, die Kontur und die Hohlkehlen vorgeschmiedet, das gesamte Blatt mit Ausnahme eines kleinen Teils der Angel durchgehärtet und federhart angelassen. Es kam mehr auf die Widerstandsfähigkeit der gesamten Konstruktion an als auf eine extrem harte Schneidkante.
Analysen gab es bereits, um das Material von Griff und Scheide zu ermitteln. Der Fortgang der Restaurierung lässt auf jeden Fall noch viel Interessantes erhoffen
Die Rekonstruktion
Nein, so schnell waren wir nun auch wieder nicht! Vom Fundstück selbst existiert noch keine Nachbildung, wohl aber von diesem sehr verbreiteten Typ. Dieser soll im Folgenden vorgestellt werden.
Das gezeigte Schwert (Abbildung 2) wurde 2003 von Peter Johnson angefertigt nach einem Original um 1380. Es hat eine Gesamtlange von 113 Zentimeter und wiegt 1500 Gramm. Der Balancepunkt liegt 10,5 Zentimeter vor der Parierstange. Es handelt sich um eine voll funktionsfähige Replik, die einem zeitgenössischen Original in allen Details entspricht, bis hin zum Schwingungsverhalten der Klinge. Das Schwert ist als Reiterwaffe konzipiert, vorrangig zum einhändigen Gebrauch.
Die Klinge
Sie besteht aus einem federharten Monostahl mit einer Rockwellhärte von 52 bis 54 Rockwellhärte C. Das ist weniger als ein gutes Messer haben sollte, beugt aber einem Bruch bei Schockbelastung vor. Im griffnahen Drittel der Klinge finden wir eine flache Hohlkehle, die sanft in einen sechskantigen Querschnitt übergeht (Abbildung 3). Von sieben Millimeteran der Parierstange verjüngt sich die Stärke gleichmäßig bis auf 4,5 Millimeter etwa 15 Zentimeter vor der Spitze. Im gleichen Verhältnis verjüngt sich die Breite von 4,3 auf 2,3 Zentimeter bei einer Gesamt-Klingenlänge von 91 Zentimeter. Die Klinge selbst ist mäßig flexibel, was auf ihren Einsatz eher als Stoß- denn als Schlagwaffe hinweist.
Das Gehilze oder Gefäß
Als Gehilze bezeichnet man den Griffbereich eines Schwertes, bestehend aus Knauf, Griff und Parierelement (Abbildung 4).
Der Knauf
Er besteht aus geschmiedetem Eisen, weist eine axial gestauchte Radform auf und gehört zum Typ Oakeshott G. Das Ende der Griffangel führt durch den Knauf hindurch und wird über einem separaten Knäufchen fest vernietet.
Die Parierstange
Sie gehört zum Typ Oakeshott 2, ist leicht abwärts gekrümmt und relativ zierlich (Abbildung 5). Wie der Knauf besteht sie aus geschmiedetem, schlagzähem Eisen; fest genug, einen abgleitenden gegnerischen Hieb aufzufangen.
Der Griff
Dessen Form ist leicht gebaucht, wobei die größte Dicke zur Parierstange hin verschoben ist. Die Länge des Griffes erlaubt es, im Bedarfsfall mit der zweiten Hand zuzufassen, wobei der Knauf mit umgriffen wird.
Das Grundgerüst besteht aus zwei Holzschalen, die mit einem dünnen Flachs- oder Hanffaden dicht umwickelt und mit Leim eingestrichen werden. Darüber wird dann angefeuchtetes Leder gezogen und mit einem weiteren Faden überwickelt. Nach dem Trocknen des Leders entfernt man den Faden wieder. Dessen Abdrücke bleiben im Griffbezug stehen und verbessern die Griffigkeit (Abbildung 6).
Die Scheide
Verwahrt wurde jedes Schwert in einer aus zwei Holzblättern bestehenden Scheide, die manchmal mit Stoffstreifen umwickelt und fast immer mit Leder bezogen war. Gelegentlich und zumindest für das Frühmittelalter nachgewiesen ist eine Fütterung mit geschorenem Schaf- oder Lammfell. Das darin enthaltene Wollfett sollte dem Rosten des Stahles vorbeugen.
Zur Verstärkung der besonders beanspruchten Teile wurden ein eisernes Mundblech (Abbildung 5) und Ortband (Abbildung 7) angebracht, bei Bedarf auch metallene Manschetten, an denen Ringe oder Schnallen für das Tragesystem befestigt waren.
Mitunter waren die Scheiden von Zeremonial- oder Prunkschwertern recht verschwenderisch mit Metall besetzt, sodass der Eindruck entsteht, es handele sich um reine Metallscheiden. Diese findet man an keltischen Schwertern der Latène-Zeit, dann erst wieder circa 1800 Jahre später an Militärsäbeln, -degen und -pallaschen.
Die beschriebene Rekonstruktion stellt eine einfache, zweckmäßige Gebrauchswaffe dar. Ohne überflüssigen Zierrat besticht sie durch ihre schlichte Form und ihre harmonischen Proportionen. Ein Eindruck, der noch verstärkt wird, wenn man sie in die Hand nehmen und ihre perfekte Balance fühlen kann.
Das Schwert des Kurfürsten lässt Ähnliches erwarten - freuen wir uns auf neue Ergebnisse der Forschung!
Text: Andreas Krüger
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta
Literatur
J. L. Forgeng, The Medieval Art of Swordmanship. MS. I. 33 (Union City, California 2003).
P. Johnson, Svante Nilsson Stures Swärd - ett Försök till Rekonstruktion (Munkedal 1999).
U. Lehnart, Kleidung und Waffen der Spätgotik II–III (Wald-Michelbach 2005).
D. Lindholm/P. Svärd, Sigmund Ringecks Knightly Art of the Longsword (Boulder, Colorado 2002).
E. Oakeshott, The Archaeology of Weapons (Woodbridge 1960).
E. Oakeshott, Records of the Medieval Sword (Woodbridge 1991).