Hochkarätiges aus Chörau – Fakten und Fragen zu einem Goldring
Mai 2013
Der Topos vom verlorenen und wieder gefundenen Goldring ist schon legendär. Etliche Märchen und Volksliedern künden von einem derartigen Kleinod, dessen Finder natürlich nur reinen Herzens, unbedarft, innig liebend oder ähnlich charakterlich geeignet sein durfte. Ob all dies auf den 22-jährigen Arbeiter Gustav Otto Nickel aus Mosigkau zutraf, können wir heute nicht mehr beantworten.
Doch war er es, dem 1931 auf seinem Kartoffelacker ein solcher Fund glückte, und zwar bei Chörau, etwa fünf Kilometer westlich bei Dessau gelegen. Ihm fiel der hier präsentierte goldene Fingerring in die Hände, der sich nach Auskunft des Finders bei der Feldbestellung in der Egge verfangen hatte. Weiteres hat er nicht beobachtet.
Der Ring wirkt etwas plump, aber wegen seiner Massigkeit zugleich auch eindrucksvoll (Abbildung 1). Seine Maße sprechen für sich: 21 Millimeter mal 23 Millimeter Außendurchmesser; 17 Millimeter Innendurchmesser; Schauplatte maximal 13 Millimeter Breite; Reifbreite vier Millimeter; circa ein Millimeter Stärke. Und dann sein Gewicht: 22 Gramm pures Gold!
Das Kleinod ist massiv als geschlossener Kreis gegossen; Lötspuren sind nicht erkennbar. Zur Schauseite schwillt der Ring flächig an. Dort befindet sich auch die gekerbte und gepunzte Verzierung: ein doppelkonturiges X-Motiv, beidseitig flankiert von einer Raute, die von einer kreuzförmigen Punktreihe geviertelt ist. Die zentralen Zwickel der X-Figur sind mit zwei identischen Zeichengruppen gefüllt, bestehend aus einem Y-Motiv und je einem Kreis mit zentriertem Punkt über den »Armen« (Abbildung 2).
Die symbolartigen Motive erwecken den Anschein eines abstrakten Sinns, ohne dass eine konkrete Bedeutung offenkundig wird. Die auffällige Zeichenanordnung wirkt zudem wie ein Logogramm, das bislang aber rätselhaft bleibt. Auf jeden Fall ist diese Ornamentik keinesfalls dem christlichen Bildprogramm zu verorten, sondern entspricht eher einer magischen Symbolsprache, was wiederum die Möglichkeiten der kulturellen Zuweisung dieses Zufallsfundes einengt.
Nickel verkaufte den Ring zu unbekanntem Preis spätestens im Januar 1933. Denn in einem Brief vom 26. Januar 1933 übersandte der in Frankfurt am Main ansässige Juwelier Carl Theobald den Ring dem Landesmuseum für Vorgeschichte mit der Bitte um ein Gutachten. Offenbar sollte die Anfrage auch Kaufinteresse wecken, denn das »sehr interessante Stück, das für jede Sammlung reizvoll wäre« wird als »aus hochwertigem Gold, mindestens 22 carätig« angepriesen. Angeblich hat Theobald den Ring nicht direkt von Nickel erworben, denn in einem weiteren Schreiben lässt er wissen, dass er Finder und Fundstelle nicht benennen könne und selbst noch auf entsprechende Informationen vom »Vorbesitzer« warte. Da Theobald aber schon Fundjahr und Fundgebiet angeben konnte, drängt sich der Verdacht auf, dass er sich nur nicht vor dem Verkauf in die Karten blicken lassen wollte und er den Ring doch aus erster Hand erhielt. Unterdessen korrespondierte die Museumsleitung, die den Ankauf erwog, europaweit bei der Suche nach Vergleichsstücken zu diesem singulären Fundstück. Trotz negativer Meldungen, so vom Ungarischen Nationalmuseum Budapest und dem Staatlichen Historischen Museum Stockholm, wurde man sich rasch handelseinig und so wechselte der Ring laut Vermerk im Eingangskatalog am 6. April 1933 für 550 Reichsmark seinen Besitzer. Am Ende der Weltwirtschaftskrise entsprach dieser Kaufpreis etwa dem Jahreslohn eines Arbeiters.
Die kulturelle Zuordnung des Prunkringes fällt nach wie vor schwer. In Mitteldeutschland steht er isoliert. Nachforschungen am Fundort erbrachten nichts Verwertbares. Zunächst hielt man ihn für eine germanische Arbeit der Zeit um 400 nach Christus (Schulz 1938). Später sah man durchaus begründbar Ähnlichkeiten in der Verzierungstechnik mit Wikingerschmuck des 9. und 10. Jahrhunderts (Behrens 1962). Die skandinavischen Ringe neigen jedoch zu offenen Enden. Nähere Entsprechungen finden der geschlossene Ringkörper mit anschwellender Zierfläche und die wuchtige Form im slawischen Fundmilieu vor allem des 10. und 11. Jahrhunderts. Das bislang beste Vergleichsstück in Gestaltung und Kerbdekor stammt – ebenfalls ein Einzelfund – aus Nordserbien und wird allerdings ohne nähere Begründung dem 13. Jahrhundert zugeschrieben (Abbildung 3).
Dieser Fingerring hat mit knapp 24 Gramm auch ein ähnliches Gewicht, besteht gleichwohl »nur« aus Silber (D. Milošević/M. Tatić-Djurić o. J.). Aus diesem Blickwinkel wäre es nachvollziehbar, den Chörauer Goldring ebenfalls in den slawischen Kulturkreis und tendenziell in das 10. bis 12. Jahrhundert einzuordnen. Immerhin lag die Fundstelle in der slawisch-frühdeutschen Kontaktzone unweit der Elbe. So betrachtet, würden sich Form und Ziertechnik mit verkümmerten byzantinische Einflüsse erklären lassen, die allerdings über südslawische Kontaktregionen hätten vermittelt werden müssen. Abgesehen von solcher Spekulation käme natürlich auch eine Interpretation als »Mitbringsel« aus dem Süden in Frage.
Eine weitgespannte Studie über die spätantike Goldschmiedekunst in Nordeuropa (Andersson 1993/1995) verhilft indes zu Argumenten, nun wieder den 1938 vom seinerzeitigen Museumsdirektor Walter Schulz geäußerte Erklärungsansatz aufzugreifen. Jene Überblicksarbeit entstand gut 50 Jahre nach der Ersteinschätzung und lenkt im vorliegenden Fall unser Augenmerk speziell auf den schweren Goldschmuck des 3. bis 4. Jahrhunderts aus Skandinavien und den südlichen Ostseegebieten. Die markanten Finger-, Arm- und Halsringe sind häufig ebenfalls punzverziert, wobei das Ornamentrepertoire (Abbildung 4) identische Ziermotive wie auf dem Ring von Chörau umfasst. Einen besonders überzeugenden Vergleich bietet ein Schlangenkopfring aus Vestringe auf der Insel Gotland, bei dem identische Y- und Kreispunkt-Motive miteinander kombiniert sind (Abbildung 5).
Die zuletzt aufgezeigte kulturgeschichtliche Verbindung ist plausibel, da der mitteldeutsche Raum in den vorgeschichtlichen Epochen in regem Austausch mit dem Norden Europas stand. Wahrscheinlich stammt der Ring direkt von dort und wurde nicht – von fremden Einflüssen inspiriert – hierzulande gefertigt. Denn gerade in der Zeit zwischen 200 und 400 nach Christus verfügte man in Skandinavien über erhebliche Goldmengen, vor allem in Form von Münzen aus dem Römischen Reich. Das geprägte Geld wurde sofort umgeschmolzen zu schwerem und nur rasch in Punztechnik verziertem Goldschmuck, mit dem man seinen Reichtum eindrucksvoll zur Schau stellen konnte.
Wer trug nun ursprünglich den wertvollen, zweifelsohne auf Präsentation ausgelegten Fingerring? Sicherlich eine sehr vermögende und damit auch hochrangige Person. Ob Frau oder Mann ist ungewiss; keinesfalls aber an derber Hand, dafür ist der Ringdurchmesser zu schmal. Andererseits ist er schwer und wuchtig – unpassend für grazile Finger. Auch die archäologische Quellenlage verhilft zu keinem Hinweis, denn in spätantiker Zeit trugen beide Geschlechter gerne wertvolle Ringe, wenn möglich auch mehrere gleichzeitig. Selbst Kinder erhielten bisweilen einen Goldring, zumindest als Grabbeigabe (Andersson 2008). Der stellenweise scharfkantige Rand zeigt, dass der hier vorgestellt Fingerschmuck nicht lange oder nur wenig in Gebrauch war.
Text: Arnold Muhl
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
K. Andersson, Romartida Guldsmide i Norden, Bd. 1, Katalog (Uppsala 1993).
K. Andersson, Romartida Guldsmide i Norden, Bd. 3. Övriga smycken, teknisk analys och verkstadsgrupper (Uppsala 1995).
K. Andersson, Gold des Nordens. Skandinavische Schätze von der Bronzezeit bis zu den Wikingern. Sonderheft Archäologie in Deutschland (Stuttgart 2008).
H. Behrens, Goldfunde im Landesmuseum (Halle 1962) 39.
D. Milošević/M. Tatić-Djurić, In: Mittelalterliche Kunst Serbiens. Nationalmuseum Beograd. Ausstellungskatalog Staatliche Museen zu Berlin – frühchristliche-byzantinische Sammlung (Berlin o. J.), 76 Nr. 181, Abb. 181.
W. Schulz, Gold aus Mitteldeutschlands Vorzeit. Mitteldeutsche Volkheit, 5. Jg., H. 8, 1938, Taf. VII.