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So viel Pech… Neolithisches Birkenpech aus der Dölauer Heide bei Halle (Saale)

Januar 2014

Nicht nur die Ausgrabungen, sondern auch die inzwischen sehr umfangreichen archäologischen Sammlungen wie jene des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in Halle, halten erstaunliche Entdeckungen bereit. Dies So geschah auch während der Vorbereitungen zur Sonderausstellung »3300 BC. Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt«, die vom 14. November 2013 bis 18. Mai 2014 einen ungewohnten Blick in die Welt der Jungsteinzeit erlaubte (Abbildung 1).

Die Fundgeschichte

Im Zentrum dieser Ausstellung wurde auch das berühmte große Steinkammergrab aus Grabhügel 6 in der Döhlauer Heide bei Halle (Abbildung 2 und 3) wieder aufgestellt. Es hat wegen der außergewöhnlichen, reichen Verzierung seiner Wände seit seiner Entdeckung 1952 international Aufsehen hervorgerufen. Das nun erfolgte Öffnen der Kisten und Kartons mit den Funden war zunächst eine Reise in die Zeitgeschichte. Eine Reihe von Objekten, denen damals – im Angesicht der verzierten Steinplatten – weniger Bedeutung beigemessen wurde, war in den 1950er Jahren verpackt und seither nicht mehr hervorgeholt worden. Eingewickelt in Zeitungen, die die Verleihung des »Stalin-Preises« an Johannes R. Becher, den kommunistischen »Staatsdichter« und Verfasser der Nationalhymne der DDR proklamierten, fanden sich Ton- und Lehmbrocken sowie Knochenbruchstücke aus dem Inneren des Grabes. Ein weiterer Karton enthielt die unscheinbaren graubraunen Reste aus dem beigabenlosen Nebengrab 4 des Grabhügels (Abbildung 4). Laut Inventarliste sollte es verkohltes »Baumharz« sein.

Das Pech

»Verkohltes Baumharz« ist ein schwammiger Begriff, womit jedoch alles Mögliche gemeint sein kann.
Schon der Begriff des »Harzes« ist problematisch, da viele einheimische Bäume Harz  absondern, das sich zur vielfältigen Verwendung eignet, etwa als Klebemittel, Lackrohstoff, aber auch als Räuchermittel. In Mitteleuropa gehören praktisch alle Harz liefernden Bäume zur Ordnung der Koniferen, enger gefasst zur Familie der Kieferngewächsen (Pinaceae), Nadelbäumen also, deren bekanntesten einheimischen Angehörigen Kiefer, Tanne, Fichte  wohl jedes Kind aufsagen kann.

Über die Chemie des Weihnachtsbaums

Der wohl populärste Vertreter ist der jahreszeitlich kultisch verehrte Weihnachtsbaum (Picea ssp.  natalis domini), jenes nadelige Ungetüm, das nicht nur durch das bekannte Nadelverhalten zu begeistern vermag, sondern auch durch die »Harzflecke«, die der abgesägte Stumpf beim Hineinzerren des Gewächses unweigerlich auf Fußboden und Händen hinterlässt. Mit Wasser abwaschen gelingt nicht, und im Laufe der Reinigungsversuche werden die Flecken intensiver, weil unweigerlich aller Staub auf den Harzflecken wie an Leimruten hängenbleibt. Dies verdeutlicht schon die wesentlichen Eigenschaften der (einheimischen) Koniferenharze: sie sind klebrig und wasserunlöslich. Lösen lassen sich allerdings mit organischen Lösungsmitteln, etwa Ethanol oder Aceton (Tipp am Rande gegen Harzflecken: Brennspiritus). Die klebrige Eigenschaft der Fichten- und Kiefernharze würden sie zu einem vorzüglichen prähistorischen Klebemittel machen, etwa zum Schäften von Pfeilspitzen und Geräten. Allerdings fanden sich bei Untersuchungen erhaltener prähistorischer Klebe- und Kittmassen fast nie diese Harze. Den Grund dafür kann man am »Weihnachtsbaum« erschnüffeln. Der wohltuende »harzige« Geruch stammt von diversen ätherischen (flüchtigen) Ölen, dem »Terpentinöl«, einem Gemisch verschiedener Terpene (α- und β-Pinen), das sozusagen als natürliches Lösungsmittel im Baum die feste Harzkomponente fließfähig macht. Die feste Komponente, die beim Verdunsten des Lösungsmittels übrigbleibt, das sind die festen »Harz«-klumpen, die man manchmal am Baum findet, nennt sich Kolophonium.

Bei Fichten besteht das Material auch aus einem Terpen, der sogenannten Abietinsäure. Dies ist ein splitteriges, zuweilen glasartiges  Material mit nur noch geringer Klebewirkung. Deshalb eignet sich solches »Baumharz« eben doch nicht recht zum Kleben, schon gar nicht wurde es in prähistorischer Zeit als Schäftungsmaterial verwendet: nach dem »Trocknen« wäre die Klebestelle bei geringster Belastung garantiert zerbrochen.

Schifffahrt und Pech: der Klabautermann

Nun sprach der damalige Verfasser der Inventarliste von »verkohltem« Baumharz. Wenn der Tannenbaum in Flammen aufgeht, so könnte man das schon als ziemliches Pech bezeichnen. »Pech« im ursprünglichen Wortsinne erhält man dabei jedoch nicht.
»Verschwelt« man jedoch beispielsweise Kiefern- oder Fichtenharz unter weitgehendem Luftabschluss, beispielsweise in einer Teerschwelgrube, so erhält man »Pech«, eine zähe, schwarze Masse, die auch längere Zeit klebrig bleibt. Die neuen Eigenschaften des Materials hängen damit zusammen, dass die Terpenmoleküle sich untereinander zu größeren Molekülen verketten und vernetzen −  das macht dann die klebrigen Eigenschaften des Materials aus. In der Tat lässt sich solches »Kienpech« in archäologischen Befunden nachweisen, allerdings vorzugsweise ab dem frühen und hohen Mittelalter. Man dichtete Daubenschälchen damit ab, so wie man Weinfässer auspichte, und in der Seefahrt war der Klabautermann nichts anderes als der »Kalfatermann«, der während der Fahrt mit seinem heißen Pechtöpfchen im Rumpf des Schiffes umhergeisterte, um Lecks abzudichten.
Handelt es sich bei unserem Material also um solches Kienpech, also einem verschweltes Baumharz? Nein, knapp daneben! Es ist Birkenpech.
Das zeigte sich nach der Untersuchung einer kleinen Probe mittels der Infrarotspektroskopie (Abbildung 5), die sozusagen als das »Mittel der Wahl«" zur schnellen Identifizierung von Pechen, Harzen aus archäologischen Befunden dient. Ein kaum ein Milligramm großes Fitzelchen haben wir am Landeskriminalamt in Magdeburg zwischen zwei Diamantblöckchen gepresst;  beziehungsweise Herr Dr. Detlev Hirschfelder hat das getan, der uns in derartigen Fragestellungen immer sehr hilfsbereit zu Seite steht − ganz herzlichen Dank an ihn!
Durch den sich ergebenden, dünnen »Pechfilm« wird infrarotes Licht gesendet, was dann zu einem Spektrum aufgespalten wird, das man dann messen kann.

Es ist also Birkenpech. Archäologen haben in der Vergangenheit immer wieder Birkenpech für »Harz« gehalten, so prägte sich beispielsweise der Begriff des »Urnenharzes« in die Fachliteratur ein, für jene zumeist römisch-kaiserzeitlichen Grabbeigaben, die sich als nussgroße Klümpchen in oder auf dem Leichenbrand finden. Alle möglichen Theorien über Herkunft und Verwendung dieser »Harz-Klümpchen« wurden entwickelt, man hielt sie für das begehrte Räucherharz »Styrax« aus dem Mittelmeerraum, für Weihrauch.
Als die chemisch-analytischen Techniken fortschritten, stellte sich heraus: Das ist alles kein Harz, sondern Birkenpech (Wunderlich 1999).
Gewonnen wird Birkenpech durch Verschwelen von Birkenrinde. Birken enthalten kein »Harz«, aber in der weißen Rinde eine größere Menge von Terpenen (Betulin und viele andere, pentacyclische Triterpene). Ebenso wenig wie die Abietinsäure im Fichtenharz haben diese Substanzen für sich genommen Klebeeigenschaften, aber sie vernetzen sich ebenfalls beim Schwelprozess − zusammen mit anderen Rindenbestandteilen − zu einer klebrigen Masse. Die Herstellung ist dabei mühsam, doch das Produkt hat hervorragende Klebeeigenschaften. Seit der Altsteinzeit wurde es zum Kitten und Kleben gleichsam als »Heißkleber« verwendet, wegen seines weihrauchartigen Duftes auch als Räuchermittel.
Bei der Bodenlagerung verliert Birkenpech meistens seine elastischen Eigenschaften − es wird brüchig. Woran das liegt, ist wohl noch weitgehend unerforscht, möglicherweise liegen hier ähnliche Prozesse zugrunde wie beim Altern und Brüchigwerden von Kunststoffen.

Die vielen bröseligen Stücke wurden in der Restaurierungswerkstatt zusammengesetzt. Dabei ergab sich die Schwierigkeit, dass man sie nicht einfach kleben konnte − sie waren so brüchig, dass sie direkt neben der Klebestelle wieder auseinanderbrachen. Es wurden deshalb formschlüssige Schalen angefertigt, in die man die Fragmente einlegen und für die Ausstellung präsentieren konnte (Abbildung 6): eine Arbeit, die mehrere Monate Geduld erforderte.
Das Ergebnis: mehrere gewundene »Würste«, die einerseits Holzabdrücke, andererseits Reste und Abdrücke von Erde und Sand zeigten. Welche Funktion hatten diese »Pechwürste«, und warum sind sie so dick? Immerhin handelt es sich um den größten, zusammenhängenden Fund von Birkenpech  Mitteldeutschlands.

Mehr Kleber als Holz?

Die Stücke stammen aus dem Grab 4 im Inneren des Grabhügels 6. Stratigrafisch war sicher, dass dieses Grab 4 lange vor der Errichtung der Steinkammer in dem damals noch viel kleineren Grabhügel angelegt worden sein muss. Das wird durch eine Radiocarbon-Datierung des Birkenpechs bestätigt. Sie ergab, dass das Grab aus der Zeit zwischen 3636 und 3384 vor Christus (MAMS 17818: 4752 +/-22 BP) stammt. Es gehört vermutlich der Baalberger Kultur an.
Grab 4 war aufgrund der wenigen erhaltenen Knochenreste ein Kindergrab (Abbildung 7). Verkohlte längliche Verfärbungen an den Seiten der Grabgrube wiesen auf eine eingebaute Holzkiste hin. Ihre Wände waren unregelmäßig mit kleineren und größeren Sandsteinen hinterfüttert. An der östlichen Stirnseite der kleinen Holzkiste lagen parallel neben den Resten eines verkohlten Brettes die merkwürdigen länglichen Stücke, die damals als Vergussreste aus Baumharz beschrieben worden sind.

Diese Birkenpechstreifen weisen mehrfach gegenüber liegend Abdrücke von Holzbrettern auf (Abbildung 8). Sie müssen die erheblichen, bis zu 2,5 Zentimeter breiten Fugen zwischen jeweils zwei hochkant aufeinander stehenden Brettern ausgefüllt haben. Die heutige Verbiegung dieser Streifen ist vielleicht auf das Ausbrennen der kleinen Grabkammer zurückzuführen. Was allerdings die Erbauer der Grabkiste dazu bewogen hat, die zunächst wohl eher unexakte Zimmererarbeit letztlich durch Verkleben der Fugen mit Birkenpech in diesem Ausmaß zu korrigieren, das bleibt eine unbeantwortete Frage. Denn diese Menge an Pech, nämlich circa ein Kilogramm im heutigen Zustand, ist einer der umfangreichsten derartigen Funde aus dem vorgeschichtlichen Europa überhaupt. In der Sonderausstellung konnten Sie diesen neuen alten Fund im Original betrachten.

Da wir über die Gründe nichts wissen, dürfen wir dennoch spekulieren und unseren Assoziationen einmal freien Lauf  lassen: Die Kombination von Holzbrettern, deren Fugen sorgfältig mit Pech abgedichtet werden, erinnert unweigerlich an das eingangs erwähnte Kalfatern im Schiffbau, also den Versuch, eine wie auch immer geartete Holzkiste hermetisch gegen eindringendes Wasser abzudichten.
Es handelt sich um ein Kindergrab. Unweigerlich mag man da an die alttestamentarische Überlieferung der Aussetzung und Auffindung des kleinen Mose denken − ausgesetzt im Wasser des Nilufers, in einem mit Pech abgedichteten Kästlein aus Rohr. (2. Mose, Kapitel 2) .

Hatte der Sarg möglicherweise eine mythologische Bedeutung − als Schiff für die letzte Überfahrt?


Text: Nicola Scheyhing, Maral Schumann, Torsten Schunke, Christian-Heinrich Wunderlich
Online-Redaktion: Dorothee Menke, Anja Lochner-Rechta

Literatur

H. Behrens/E. Schröter, Siedlungen und Gräber der Trichterbecherkultur und Schnurkeramik bei Halle (Saale) (Berlin 1980).

T. Schunke, Bilderflut im Dunkeln – Grabhügel 6 in der Dölauer Heide und die innen verzierte Steinkammer. In: H. Meller (Hrsg.), 3300 BC. Mysteriöse Steinzeittote und ihre Welt. (Halle [Saale] 2013) 143−150.

C.-H. Wunderlich, Pech für den Toten: die Untersuchung von »Urnenharzen« aus Ichstedt, Ldkr. Kyffhäuserkreis. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 82, 1999, 211−220.

Flyer ›Die Dölauer Heide‹

Mehr Informationen zu diesem außergewöhnlichen Denkmalensemble der Jungsteinzeit finden Sie in unserem Flyer zur Dölauer Heide [PDF, 5MB, nicht barrierefrei].

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