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Ein Christuskind in der Magdeburger Stadtbefestigung

Dezember 2018

Bereits zweimal wurden kleine Jesusfiguren aus Ton als Fund des Monats auf der Internetseite des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt vorgestellt, im Februar 2004 und im Dezember 2007.
Nun kam bei der archäologischen Begleitung eines Bauvorhabens am westlichen Rand der Magdeburger Altstadt, an der Erzbergstraße, eine weitere kleine Knabenstatuette ans Tageslicht. Das aus hell brennendem Ton hergestellte Figürchen ist 5,6 Zentimeter hoch und 2,1 Zentimeter breit (Abbildung 1). Es zeigt einen nackten Jungen mit Nimbus, wobei der obere Abschluss des Heiligenscheins fehlt. Die Hände sind auf die Brust gelegt, in der linken Hand befindet sich ein rundlicher Gegenstand. Eine umlaufende schmale Wulst lässt erkennen, dass es in einer zweiteiligen Form als Pressmodelfigur hergestellt wurde (Abbildung 2). Derartige keine Tonfiguren wurden im 15. und 16. Jahrhundert in großen Stückzahlen von sogenannten ›Bilderbäckern‹ gefertigt (Vergleich Fund des Monats Dezember 2007). Die Modeln zur Herstellung der Statuetten gewann man meist durch Abnahme von vorhandenen Tonfiguren. So verwundert es nicht, dass bei archäologischen Untersuchungen im Luther-Geburtshaus in Eisleben eine Knabenfigur gefunden wurde, die dem Magdeburger Stück zum verwechseln ähnlich ist – bei dem Eislebener Fund fehlt allerdings der Kopf (siehe Fund des Monats Dezember 2007, Abbildung 4a). Die etwas unscharfen Konturen der Figuren dürften auf das wiederholte Abformen zurückzuführen sein. Der runde Gegenstand in der Hand des Knaben ist als Apfel beziehungsweise Weltkugel zu interpretieren und weist darauf hin, dass Jesus dargestellt ist. In dem nur fragmentarisch erhaltenen Heiligenschein der Magdeburger Statuette ist zudem schwach ein waagerechter Kreuzbalken zu erkennen. Ein Nimbus mit Kreuz war der Heiligen Dreifaltigkeit, bestehend aus Gott, dem Vater, Gott, dem Sohn (Jesus) und dem Heiligen Geist (Geist Gottes), vorbehalten und unterschied diese von Heiligen.

Bemerkenswert ist die Fundsituation der Magdeburger Jesusfigur. Sie wurde in der Fuge einer Mauer der Magdeburger Stadtbefestigung entdeckt, wo man sie offenbar bewusst deponiert hatte (Abbildung 3). Die Mauer konnte auf einer Länge von 95 Meter in einem Graben für einen Mischwasserkanal freigelegt und dokumentiert werden (Abbildung 4). Notwendig geworden war die Kanalumverlegung für den Bau eines ausgedehnten Wohn- und Geschäftskomplexes, des Luisencarré. Das Baugrundstück an der Erzberger Straße befindet sich unmittelbar westlich des schon im 17. Jahrhundert aufgegebenen Schrotdorfer Stadttores, im Bereich der ehemaligen »Bastion Magdeburg«. Ein Mauerzug der Bastion aus dem frühen 18. Jahrhundert wurde im Westen des Baufeldes etwa einen halben Meter unter der heutigen Geländeoberfläche erfasst. Überraschend kam dann in dem Kanalgraben in gut drei Metern Tiefe eine weitere Mauer zum Vorschein. Archivstudien ergaben, dass man diese Mauer sekundär als rückwärtige Kehlmauer in die Bastion Magdeburg einbezogen hatte. Erbaut worden war sie wahrscheinlich im zweiten Viertel des 16. Jahrhunderts. Mit dem Aufkommen von Feuerwaffen zu Ende des Mittelalters entsprachen die alten Stadtbefestigungen nicht mehr den verteidigungstechnischen Anforderungen. Wie auch anderenorts wurde in Magdeburg vor der mittelalterlichen Stadtmauer eine zweite, niedrigere und breitere Mauer erbaut, die Kanonen aufnehmen konnte. An exponierten beziehungsweise gefährdeten Stellen verstärkte man die Stadtbefestigung zudem durch Bollwerke und Geschütztürme, so auch am Schrotdorfer Tor (Abbildung 5). Vor den Mauern und Türmen wurde ein neuer, tieferer Graben angelegt. Die jetzt freigelegte Mauer sicherte die äußere Grabenböschung im Bereich vor dem Schrotdorfer Tor. Die kleine Tonfigur war an der äußeren Mauerfront unmittelbar über einem Fundamentvorsprung, der das alte Oberflächenniveau markiert, zwischen die Mauersteine gelegt worden.

Von der Christusfigur wird man sich Schutz und Segen für die neu errichtete Verteidigungsanlage versprochen haben. Die verstärkte Befestigung und göttlicher Beistand wurden dringend benötigt: Das seit 1524 protestantische Magdeburg war 1531 Gründungsmitglied des Schmalkaldischen Bundes. Nach der Niederlage der im Schmalkaldischen Bund zusammengeschlossenen protestantischen Städte und Fürsten gegen die Liga des katholischen Kaisers Karl V. im Jahr 1547 wurde über das an der die Reformation festhaltende und diese intensiv propagierende Magdeburg die Reichsacht verhängt. Im Folgenden widerstand die Stadt einer Belagerung von Oktober 1550 bis November 1551. Die Auseinandersetzung wurde daraufhin mit einem für die Stadt günstigen Vergleich beendet, der Magdeburg die Glaubensfreiheit zugestand.

Gedankt sei Bernhard Mai und Uwe Elzholz für Informationen zu den Befestigungsanlagen, Donat Wehner für Hinweise zur Interpretation der Tonfigur sowie dem Bauherrn, der Wohnungsgenossenschaft eG Magdeburg, für die gute Zusammenarbeit bei der archäologischen Dokumentation.

Den Lesern der Rubrik »Fund des Monats« wünschen wir ein gesegnetes Weihnachtsfest und ein frohes Neues Jahr!


Text: Götz Alper, Juliane Huthmann
Online-Redaktion: Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta

Literatur

M. Hermann, Neues von den Augsburger Bilderbäckern. In: Knasterkopf 17, 2004, 27-40.

B. Mai/Chr. Mai, Festung Magdeburg (Dößel 2006).

Chr. Matthes, Die archäologische Entdeckung des originalen Luther-Geburtshauses. In: R. Knape (Hrsg.), Martin Luther und Eisleben. Schriften der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt 8 (Leipzig 2007) 73-86.

L. Miehe, Magdeburg im Zeitalter der Reformation (1517-1551). In: M. Puhle/P. Petsch (Hrsg.), Magdeburg. Die Geschichte der Stadt 805-2005 (Dößel 2005) 313-342.

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