Dieskau - Ein zentraler Ort der frühen Bronzezeit
Juli 2021
Mit zahlreichen bronzezeitlichen Fundstellen, vor allem mehreren außerordentlich reichen Hortfunden der frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur (2200 bis 1550 vor Christus) bilden die Ortschaften Dieskau und Gröbers-Bennewitzin der heutigen Gemeinde Kabelsketal, Saalekreis, sowie die direkt umliegenden Orte eine auch im europaweiten Vergleich herausragende Fundlandschaft. Daher sind diese Namen seit langem auch in der internationalen archäologischen Forschung bekannt. Die Funde wurden überwiegend zwischen der Mitte des 19. Jahrhunderts und der Mitte des 20. Jahrhunderts im Rahmen landwirtschaftlicher Nutzung oder Nutzbarmachung des Geländes oder des Braunkohleabbaus entdeckt. Schriftliche Überlieferungen nennen außerdem zahlreiche Grabhügel südlich und südöstlich von Dieskau, die im 19. Jahrhundert abgetragen wurden. All diese Fundstellen konzentrieren sich auf eine Fläche von wenigen Quadratkilometern (Abbildung 1). Im Zuge der Forschungen zur weltberühmten Himmelsscheibe von Nebra (Burgenlandkreis) und ihres kulturellen Umfeldes wurden auch die bedeutsamen Hortfunde der sogenannten Mikroregion Dieskau erneut untersucht und neu interpretiert.
Die frühbronzezeitlichen Hortfunde enthalten Beile, Stabdolche und gerippte Äxte sowie zum Teil Ringschmuck, jeweils deponiert in einem Keramikgefäß. Die beiden umfangreichsten Funde sind Dieskau III (Abbildung 2) mit rund 45 Kilogramm Metallgewicht (293 Randleistenbeile, eine Stabdolchklinge, zwei gerippte Äxte, vier Arm- und Beinringe, sechs Armspiralen; 1975 bis 1775 vor Christus) und Gröbers-Bennewitz I mit 297 Randleistenbeilen und einem Gewicht von mehr als 90 Kilogramm (1775 bis 1625 vor Christus).
Nennenswert ist zudem der Hort von Dieskau II bestehend aus 14 Stabdolchen beziehungsweise ihren Klingen, zwei gerippten Äxten, einem von den Britischen Inseln importierten Randleistenbeil, zehn Ösenhalsringen, 17 Arm- und Beinringen, zwei Armspiralen und 23 Spiralröllchen sowie 106 Bernsteinperlen, die wohl Bestandteile eines Kolliers waren (siehe auch Fund des Monats August 2016) (Abbildung 3). Die Hortfunde mit ihren Waffen, die vielfach Gebrauchsspuren tragen, wurden jüngst als Zeugnisse frühbronzezeitlicher Armeen gedeutet. Aus dieser ohnehin sehr reichen Fundlandschaft ragt der 1874 angeblich im »Sauren Loch« geborgene Goldfund Dieskau I besonders hervor, der ehemals offenbar aus 13 Objekten bestand, von denen aber nur fünf Stücke – ein goldenes Beil und vier goldene Ringe verschiedener Form – erhalten geblieben sind (1775 bis 1625 vor Christus) (Abbildung 4).
Es besteht allerdings der Verdacht, dass dieser Goldfund in Wahrheit aus dem südöstlich von Dieskau gelegenen Großgrabhügel Bornhöck stammen könnte, wo er im Zuge der Abtragung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gefunden und geraubt wurde. Der Bornhöck ist mit einem frühbronzezeitlichen Durchmesser von etwa 65 Meter und einer Höhe von etwa 13 Meter der bislang größte bekannte Grabhügel Mitteleuropas (Abbildung 5). Die Ausgrabungen an den erhaltenen untersten Lagen ergaben, dass der Bornhöck in der Mitte eine Steinpackung und eine bereits im Hochmittelalter beraubte zeltartige hölzerne Grabkammer aufwies – genau wie die seit mehr als 100 Jahren bekannten Fürstengräber von Leubingen (Landkreis Sömmerda) und Helmsdorf (Landkreis Mansfeld-Südharz).
Aus den Resten der Aufschüttung stammen Siedlungsfunde der ausgehenden Frühbronzezeit, was dafür spricht, dass für die Aufschüttung des Hügels fruchtbarer Boden von einem ehemaligen Siedlungsplatz abgetragen wurde. Die Datierung des Bornhöcks weist in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vor Christus oder um 1800 vor Christus.
Aus den Resten der Basis der Steinpackung des Bornhöcks wurden Fragmente von 22 Mahlsteinen geborgen. Aus schriftlichen Aufzeichnungen aus dem 19. Jahrhundert ist bekannt, dass sich in den höheren Lagen der Steinpackung weitere Mahlsteine befanden. Hochgerechnet auf die gesamte Steinpackung, ist mit ehemals circa 550 bis 600 Stücken zu rechnen. Es handelt sich um außergewöhnlich große Mahlsteine, die sich daher in der Handhabung wahrscheinlich von den in vorgeschichtlichen, auch in frühbronzezeitlichen Haushalten üblichen Geräten unterschieden. Es wird angenommen, dass jeweils zwei Männer – angesichts der sehr schweren körperlichen Arbeit eventuell Abhängige oder Sklaven – einen solchen Mahlstein bedienten und auf diese Weise in der Mikroregion Dieskau Mehl für eine große Anzahl an Menschen produziert werden konnte. Auf jeden Fall verdeutlicht die Beigabe zahlreicher funktionsfähiger Mahlsteine die wirtschaftliche und wohl auch politische Macht des im Bornhöck Bestatteten (Abbildung 6).
Die beschriebenen Hortfunde aus Beilen, Stabdolchen und gerippten Äxten könnten vielleicht Zeugnisse bewaffneter Truppen darstellen, die im Dienst der in den reich ausgestatteten Grabhügeln beigesetzten Aunjetitzer Fürsten standen. Womöglich deutet die Konzentration der reichsten Hortfunde, der Goldfund von Dieskau I und der Bornhöck als größter Grabhügel darauf hin, dass sich in der Mikroregion Dieskau ein Machtzentrum befand. Der Nachweis von Mehlproduktion im großen Maßstab untermauert jedenfalls, dass wir in dieser Mikroregion wohl die wirtschaftlichen Tätigkeiten einer größeren, gefestigten und gut organisierten Gemeinschaft vor uns sehen. Die Quellenlage unterscheidet sich somit deutlich von vielen anderen bronzezeitlichen Kontexten, in denen uns offenbar mehr oder weniger unabhängige bäuerliche Gemeinschaften oder Haushalte mit leicht herausgehobenen Eliten entgegentreten. Zusammenfassend spricht vieles dafür, dass in der mit reichen Böden und nahegelegenen Salzvorkommen gesegneten Mikroregion Dieskau im Verlauf der frühen Bronzezeit eine wirtschaftliche und politische Machtkonzentration gelang, die ihren Reichtum nicht zuletzt auch der verkehrsgeografisch günstigen Lage am Kreuzungspunkt wichtiger Handelsrouten verdankte.
Das Ende der frühbronzezeitlichen Bedeutung der Mikroregion Dieskau bleibt jedoch noch unklar, ebenso wie das Ende der mitteldeutschen Aunjetitzer Kultur insgesamt. Mindestens rund 50 bis 100 Jahre später als die jüngsten nachweisbaren frühbronzezeitlichen Hinterlassenschaften in der Mikroregion Dieskau datiert der 1903/04 entdeckte kleine Hort von Gröbers-Bennewitz II (1575 bis 1450 vor Christus) (Abbildung 7). Er enthält eine frühe Bronzesichel und bronzene Blechhülsen sowie Tutuli (Hütchen), die als Reste einer Flügelhaube gedeutet werden können. Einer weiblichen Kopfbedeckung, die aus der Mittelbronzezeit des Lüneburger Raums vielfach bekannt ist. Generell stammt die Haubentracht offenbar aus dem südöstlichen Europa, sodass der frühe Fund aus Gröbers-Bennewitz einen Zwischenschritt auf dem Weg der Haubentracht nach Norden markiert. Da Hinweise auf eine mittelbronzezeitliche Besiedlung in der Mikroregion gänzlich fehlen, könnte der Fund auf eine in den frühbronzezeitlichen Traditionen verwurzelte, jedoch im Rückgang befindliche Gemeinschaft hinweisen. Die Bestandteile des Hortfundes zeigen aber, dass sie nach wie vor in überregionale Kontakte eingebunden war.
Die beeindruckenden Funde aus Dieskau können in der Dauerausstellung des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle (Saale) bestaunt werden.
Text: Jan-Heinrich Bunnefeld
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
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