Der ›alte Thurm‹ der Neuenburg
Februar 2023
Hoch über dem Ostufer des Flusses Unstrut steht auf einem Bergsporn die weithin sichtbare Neuenburg (Abbildung 1). Die Burg wurde im ausgehenden 11. Jahrhundert errichtet und war einst die größte Burganlage der Thüringer Landgrafen, die sicherlich auch in ihrer Bedeutung mit anderen wichtigen Burgen wie der Wartburg bei Eisenach vergleichbar ist.
Während die Kernburg mit ihren Mauern, Wällen, Türmen und Toren, dem Palas und der prominenten Doppelkapelle mittlerweile relativ gut durch die Archäologie und Bauforschung erfasst sind, liegen für die riesige Vorburg, die mit ihren 11.500 Quadratmeter eine der umfangreichsten Vorburgen in Deutschland darstellt bislang nur sehr wenige gesicherte Erkenntnisse vor.
Die Kulturstiftung Sachsen-Anhalt plant als Eigentümerin der Liegenschaft der Vorburg im Rahmen eines bundes- und landesgeförderten Sonderinvestitionsprogramms eine neue bauliche und inhaltliche, denkmalgerechte und öffentlichkeitswirksame Ausrichtung zu geben. Dabei erfolgen die räumlichen und gestalterischen Veränderungen selbstverständlich unter Einbeziehung archäologischer Untersuchungen. Bereits im Vorfeld noch ausstehender umfangreicherer Ausgrabungen erfolgten deshalb bereits im Jahr 2022 Sondagegrabungen an ausgewählten Stellen durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (Abbildung 2).
Einer der Untersuchungsschnitte betraf einen Bereich, in dem zwischen den Jahren 1401 bis 1719 nachweislich der Hauptzugang zur Burg lag und der gegebenenfalls als »neuer« alter Eingang ertüchtigt werden soll. Die Durchsicht der vorhandenen Archivalien zeigte, dass sich im Süden der Eingangssituation einst ein Turm befunden haben muss. Er ist auf drei Lageplänen, einem aus dem Jahr 1886 (Abbildung 3) und zwei Plänen aus dem Jahr 1907 verzeichnet, schriftlich aber ansonsten nicht erwähnt. Bei einem der Pläne von 1907 wird das Gebilde als ›Alter Thurm Fundament‹ bezeichnet. Die daraus abzulesenden Außenmaße des Turmes betragen rund neun Meter mal neun Meter.
Und in der Tat kamen an der betreffenden Stelle bei der Ausgrabung bereits dicht unter der Geländeoberfläche die Überreste des besagten Bauwerks zu Tage. Die Untersuchung ergab ein annähernd rechteckiges Mauerwerk, das in Zweischalentechnik aus Kalk- und seltener Sandsteinen bei Verwendung eines sandigen Kalkmörtels errichtet worden ist (Abbildung 4)und sich bis in eine Gründungstiefe von circa 1,80 Meter auf einer Flusskiesellage erhalten hat. Die Mauerschalen sind in einem Mischverband aus Bruchsteinmauerwerk und hammerechtem Schichtenmauerwerk ausgeführt. Einige der größeren quaderförmigen Steine haben eine plane Oberfläche und sind gebeilt. Andere Steine tragen natürliche Schauseiten beziehungsweise grob flach gearbeitete Flächen (Abbildung 5)
Im Osten konnte die äußere Seitenlänge des Gebäudes mit etwa sieben Meter vollständig erfasst werden. Im Westen lag der Befund unter Beton und ließ sich ohne größeren Aufwand vorerst nicht untersuchen. Jedenfalls erscheint das Fundament etwas kleiner als der oben genannte Plan suggeriert. Die Mauerstärken belaufen sich auf etwa 1,3 bis zwei Meter. Der solchermaßen verbleibende Innenraum betrug etwa sechs Quadratmeter und war in mehreren Auffüllschichten vollständig mit Material aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verfüllt. Ferner konnte festgestellt werden, dass die Mauerinnenschale auf allen vier Seiten in mehreren Lagen tiefer herausgebrochen ist, als die Schalenverfüllung und die Maueraußenseiten (Abbildung 6). Es ist davon auszugehen, dass die qualitätvoll bearbeiteten Steine an anderer Stelle zweitverwendet wurden.
Die Ansprache des obertägig nicht mehr erhaltenen Bauwerks als Turm lässt sich anhand der Bezeichnung als ›Alter Thurm‹ im Plan von 1907 plausibel machen, wird aber auch durch die recht beachtlichen Mauerstärken abgesichert.
Größere Schwierigkeiten bereitet die Einschätzung der Datierung und Nutzung. Spärliche und zudem verlagerte Funde und der Baubefund erlauben beim derzeitigen Stand lediglich eine zeitliche Zuweisung in das 12. bis 15. Jahrhundert. Mutmaßlich handelt es sich um einen rechteckigen Wohnturm, wie er in Sachsen-Anhalt Anhalt zum Beispiel von den Burgen Eckartsburg, Falkenstein, Halle-Giebichenstein, Hausneindorf, Kelbra, Plötzkau, Querfurt, Rudelsburg, Schönburg, Sommerschenburg und Wernigerode bekannt ist. Die zu Wohnzwecken genutzten Bauten liegen regelmäßig an den Ringmauern, was gleichermaßen den fortifikatorischen Zweck, der im Begriff des Wohnturms enthalten ist veranschaulicht. Da nur sehr partiell außen und innen in den Gründungsbereich des Neuenburger Bauwerks vorgestoßen wurde, sind hier bei weiteren Ausgrabungen nähere Einblicke zu erwarten. Als sicher darf indes gelten, dass sich im Mittelalter auf der Neuenburg neben dem berühmten als ›Dicker Wilhelm‹ bezeichneten Rundturm einst weitere wuchtige Türme dem Himmel entgegenstreckten (Abbildung 7).
Text: Ines Vahlhaus, Matthias Becker, Donat Wehner
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Danksagung
Für Auskünfte, Diskussionen und Bildmaterial möchten wir insbesondere Herrn Reinhard Schmitt danken, der sich seit vielen Jahren als Denkmalpfleger und profunder Kenner der Bausubstanz maßgeblich um die Erforschung der Neuenburg verdient gemacht hat.
Literatur
S. Ansorg/J. Peukert (Bearb.), Burg und Herrschaft. Die Neuenburg und die Landgrafschaft Thüringen im hohen Mittelalter. Beiträge zur Ausstellung (Freyburg 2004).
R. Schmitt, Steinerne Wohnbauten und Wohntürme vom 10. bis 13. Jahrhundert in Sachsen-Anhalt. In: H. Müller (Hrsg.), Wohntürme. Kolloquium vom 28. September bis 30. September 2001 auf Burg Kriebstein/Sachsen (Langenweißbach 2002) 91–104.
R. Schmitt, Schloß Neuenburg bei Freyburg/Unstrut: Anmerkungen zur Baugeschichte der Vorburg. Burgen u. Schlösser in Sachsen-Anhalt 12, 2003, 150–177.
B. Schmuhl (Hrsg.), Schloss Neuenburg (Dössel 2012).