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Höllenlärm – Ein trötender Affe aus der Marienkirche in Gardelegen

Juni 2023

Affendarstellungen in Kirchen sind ein nicht seltenes Phänomen. Die Tiere vergnügen sich mit Brettspielen, musizieren, stellen Menschen nach oder sind in Ranken und Schlingen verfangen. Sie gelten als dämonische Wesen und im Verlauf des späten Mittelalters zunehmend als Spiegelbild und Karikatur des sündigen, lasterhaften Menschen.

Fund einer Affenfigur

In der gotischen Hallenkirche St. Marien in Gardelegen finden seit Juni 2022 Bauarbeiten zur Ausstattung des Sakralgebäudes mit einer Fußbodentemperierung statt.

Im Zuge dessen erfolgt auf einer Fläche von insgesamt 145 Quadratmeter ein Bodenabtrag bis in eine Tiefe von 40 Zentimeter. Die unter dem Fußboden befindliche Schüttung besteht aus einer kräftig mit Backsteinbruch, Mörtelbrocken, Feldsteinen, Holzfragmenten und Knochen durchmengten Schicht. Der Aushub wurde und wird momentan noch von ehrenamtlichen Mitarbeitern des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie gesiebt. Beteiligt sind Jürgen Bajerski, Reinhard Heller und Ralf Schulze sowie der Numismatiker Horst Koniezko. Unter den hunderten spätmittelalterlichen und neuzeitlichen Funden befinden sich unter anderem Stecknadeln, Knöpfe, Buchbeschläge, Münzen, Glasperlen, Gefäßkeramik und Fensterglas.

Ein herausragendes Stück konnte von Ralf Schulze im Mittelschiff der Kirche, dicht an einem Pfeiler, geborgen werden (Abbildung 1). Es handelt sich um eine etwa acht Zentimeter hohe Plastik aus Bleibronze in Gestalt eines schwanzlosen Affen (Abbildung 2). Der Primat sitzt auf einem Podest, die linke Hand liegt auf dem Knie, mit der rechten Hand hält er ein Horn, dessen sich verjüngendes Ende im Mundwinkel verschwindet.

Die obere Rückenpartie und das Hinterhaupt sind abgeflacht und in der Brust sitzt ein runder Bolzen, was auf eine Befestigung an einem unbekannten größeren Objekt verweist (Abbildung 3).

Datierung

Aus der Fundsituation lassen sich zunächst keine näheren Anhaltspunkte zur Datierung gewinnen, da es sich um einen Mischhorizont handelt. Rein stilistisch ist die Figur allerdings in die Spätgotik und damit in das 15. beziehungsweise die ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhunderts zu datieren – darauf verweisen etwa das facettierte Podest und der langgezogene Körper des Affen.

Anprangern von Lastern

Im 15. und 16. Jahrhundert wäre dem zeitgenössischen Empfinden entsprechend zu erwarten, dass wir es bei dem Affen mit einem Symbol des sündhaften Lebens der Menschen, die den Versuchungen des Teufels erlegen sind zu tun haben.

Sehr beliebt waren in diesem Kontext Verbildlichungen von Affen als Trinker und Affen als ungezügelte Musikanten.

Wer sich einen Affen holt, der schickt sich an sich zu betrinken und wer einen Affen sitzen hat, der ist angetrunken. Affen geben sich gerne dem exzessiven Rausch hin, sofern sie mittels vergorener Früchte oder der Darbietung in Gefangenschaft Zugriff auf Alkohol haben. Das menschliche Verhalten des übermäßigen Alkoholkonsums wurde durch das Spottbild von betrunkenen Affen als schlechte Eigenschaft parodiert (Abbildung 4). Der etwas dumpfe Gesichtsausdruck und das seitwärts, unbeholfen in den Mund geführte Horn könnte als ein Hinweis auf eine angedeutete Trunkenheit des vorliegenden Affen gedeutet werden (Vergleich Abbildung 2), zumal um 1500 Scherzgefäße in Form von Hörnern aufkamen, bei denen man nicht aus der Mündung, sondern dem Mundstück ›auf ex‹ trank (Abbildung 5).

Eine andere Lesart, die für Tiermusikanten in der Fachliteratur häufiger vertreten wird, wäre, dass der musizierende Affe die verführerische in das Verderben führende Kraft der Musik verkörpert (Abbildung 6).

Sound der Hölle

Auch wenn die Schwächen der Menschen im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gerne in Affendarstellungen karikiert wurden, ist im vorliegenden Fall eine davon abweichende Interpretation naheliegender, die nicht auf die Versuchungen durch das Böse, sondern das Ergebnis von gottlosem Verhalten abzielt: Der Horn blasende Affe erscheint als eine akustische Imagination der Hölle im Sinne von Martin Luthers ›Der Teufel als Affe Gottes‹. Die Nachahmung – das Nachäffen- des Himmlischen wird in genauer Umkehrung dargestellt: Den himmlischen Klängen stehen die dem Betrachter bildhaft veranschaulichten kakophonischen Klänge der Hölle gegenüber.

Die mittelalterliche Auffassung einer widerstreitenden himmlischen und einer teuflischen Musik zeigt sich auch an den Schnitzarbeiten des Chorgestühls im Magdeburger Dom, bei denen je drei musizierende Engel und Affen, einer davon unbeholfen auf einer Trommel herumschlagend, gegeneinander stehen. Das misstönende Instrument (Abbildung 7), das laute Kreischen, Zetern und Schreien, das den Affen zu eigen ist, gehört zum zeitgenössischen Konzept der schauerlichen Geräuschkulisse der Höllenqual. Dies würde auch erklären, warum der Affe, der an sich nicht in der Lage ist ein Blasinstrument zu spielen eher seitlich auf dem Mundstück kaut, als es sachgerecht zu bedienen. Was dem Horn entweicht ist der Sound der Hölle, der die teuflische Jagd auf die sündhaften menschlichen Seelen begleitet. So sind dann auch Dämonen und Teufel mit Blas- oder Signalinstrumenten relativ häufig Bestandteil von Szenen aus dem Jüngsten Gericht. Nicht zuletzt zeigt das in der Marienkirche zu Gardelegen angebrachte Epitaph von Elisabeth Hackelbusch aus dem Jahr 1586 ein affenartiges Wesen, dass die Sünder in den Höllenschlund zieht, während ein oberhalb thronender Teufel in ein goldschimmerndes Instrument bläst (Abbildung 8).


Text: Jürgen Bajerski, Reinhard Heller, Donat Wehner
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

Literatur

H. Böhme, Imagologie von Himmel und Hölle : zum Verhältnis von textueller und bildlicher Konstruktion imaginärer Räume. In: B. Naumann/E. Pankow (Hrsg.), Bilder-Denken. Bildlichkeit und Argumentation (Paderborn/München 2004) 19–45.

R. Dudley, The Drunken Monkey. Why We Drink and Abuse Alcohol (Berkeley 2014).

G. Jaritz, Affen und ihre Rolle in der mittelalterlichen Gesellschaft. Historische Sozialkunde 41.4, 2011, 18–21.

G. Hülsmann, Glas. Funde aus einem unterirdischen Kanalsystem. Falkenhof Museum – Bestandskatalog (Regensburg 2013).

G. Porstmann, Das Chorgestühl des Magdeburger Doms. Ikonographie – Stilgeschichte – Deutung (Berlin 1997).

B. R. Tammen, Musik und Bild im Chorraum mittelalterlicher Kirchen 1100–1500 (Berlin 2000).

N. Timpe, Affen als Symbol, Haustier und Spiegel des Menschen im Mittelalter (Berlin 2017).

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