Rares und Bares – Siegelstempel und Münze aus der Altmark
Mai 2024
Bei Flurbegehungen in der Nähe des Dorfes Höwisch konnten mit Hilfe einer Metallsonde in der Altmark 2020 zwei ungewöhnliche Funde geborgen werden: ein Siegelstempel und eine Münze (Abbildungen 1 und 5a).
Der Siegelstempel
Das Siegeln von Urkunden war seit dem 10. Jahrhundert in Europa üblich und am Ende des Mittelalters bereits weit verbreitet. Es stempelte so der hohe und niedere Adel, geistliche Würdenträger, wohlhabende Bürger, aber auch Institutionen jeglicher Art. Den Siegelstempel konnte man an seinem gelochten Griff auffädeln und so am Gürtel oder anderswo befestigen.
Der Siegelstempel von Höwisch ähnelt in seiner Gestalt sehr dem aus Stendal ›Uppstall‹ bekannten. Dieser zeigt auch den üblichen Bildaufbau: Wappen, Helm mit Zier, darauf stehend ein Tier. In diesem Fall: ein Leuchter mit drei Armen, ein Helm mit wallender Zier, ein Schwan mit einem Ring im Schnabel. Der Stendaler Stempel wird anhand eines Vergleichs mit zwei Grabwappen im Kloster von Jerichow und in Krusemarck selbst als Wappen derer von Krusemarck gedeutet, einer altmärkischen Adelsfamilie aus der Gegend von Osterburg.
Unser Siegel zeigt neben Helm, Wappen und Tier noch Anfangsbuchstaben eines Namens – ein Glücksfall für die Forschenden (Abbildung 2). Doch eines nach dem anderen.
Die Schwerter
Im Wappenbild stehen drei auf ihren Spitzen zusammengestellte Schwerter. Sie sind als Zeichen der Zunft der Schwerdtfeger bekannt, zum Beispiel im Wappen der ›Kunst Messerschmiede‹ in Magdeburg 1563. Das gewundene, ausgebuchtete Band unter den Schwertern könnte ein Drache sein. Er führt uns zum Heiligen St. Georg, dem Schutzpatron von Ritterorden und Adligen. Sehr viele Schmuckanhänger des 16./17. Jahrhunderts zeigen Georg als Drachentöter. Auf dem Höwischer Siegelbild fehlt die Person, doch im Lindwurm stecken die Tatwaffen.
Der Helm
Der schematisch dargestellte Helm zeigt eine geschlossene Form, die seit Anfang des 16. Jahrhunderts üblich war. Er gilt als Zeichen des Adelsstandes. Die rechts und links herabfallende Helmzier ist reich geschnörkelt. Sie steht für ein ursprüngliches Tuch, das auch als Sonnenschutz über den Helm gelegt wurde.
Der Löwe
Aus dem Helm steigt ein Löwe mit gespaltenem Schwanz und herausgetreckter Zunge, der wohl drei Rosen in den Pfoten trägt. Der Löwe ist eines der am häufigsten verwendeten Wappentiere des Adels, so auch des Fürstenhauses Hessen. Er ist seit der Antike ein Symbol für Macht, Stärke und Mut. Der doppelte Schwanz, der seit dem 15. Jahrhundert häufiger auf Siegeln zu finden ist, geht vielleicht auf ein missverstandenes Abbild mit zusätzlichem Schnörkel (oder verknotetem Schweif?) zurück.
Die Initialen
Neben dem Löwen sind Buchstaben spiegelverkehrt eingelassen: links ein B, rechts ein H und ein I. im Stempelbild lesen wir also I. H. B. Diese Initialen lassen einen adligen Besitzer vermuten: Jacob Heinrich von Bellin. Die Familie Bellin sind in Brandenburg bereits im 13. Jahrhundert urkundlich erwähnt, das Geschlecht stirbt in der Mitte des 17. Jahrhunderts aus (Abbildung 3). Sie waren in Radensleben ansässig (heute ein Ortsteil der Stadt Neuruppin im Landkreis Ostprignitz-Ruppin). Hier sind im 15./16. Jahrhundert vier Rittergüter beurkundet, darunter das derer von Bellin (heute: Fehrbellin).
Es sind verschiedene Wappen der Familienzweige überliefert, darunter ist eines, das große Ähnlichkeit mit unserem Siegel zeigt (Abbildung 4, unten). Leider blieb die Quelle noch unbekannt.
Das Schild des Wappens ist zweigeteilt, oben finden sich drei Schwerter, die auf ihren Spitzen zusammengestellt sind, unten ein Löwe.
Die Initialen und die Ähnlichkeit des Wappenbildes legen nahe, dass es sich bei der Petschaft um den Unterschriftsstempel Jakob Heinrich von Bellins handelt. Man hat im Hause Bellin offensichtlich nicht klein gedacht bei der Motivwahl für den Siegelstempel: Löwe, Schwert und Drachen...
Leider ist noch kein entsprechender Abdruck auf einer Urkunde identifiziert, die uns mehr über das Leben des Adligen berichten kann. Alle Details des Siegelstempels bestätigen seine zeitliche Einordnung in die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts.
Gar nicht weit, etwa 160 Meter entfernt vom Siegel wurde eine Münze gefunden, ein 4 Heller (Dreier), geprägt in Kassel 1589 unter dem Landgrafen von Hessen Kassel Wilhelm IV. dem Weisen (1567 bis 1592) (Abbildung 5a und b). Die Vorderseite, der Avers, zeigt den gekrönten hessischen Löwen im deutschen Schild, oben die landgräflichen Initiale WL ZH (???), seitlich die Jahreszahl 8]9. Die Rückseite, das Revers, ist mit dem Münzwert 4 Heller und dem hessischen Helm versehen.
Solche Geldstücke sind oft überliefert, auch noch in Funden aus der Mitte des 17. Jahrhunderts.
Diese Münze gehörte zum Kleingeld, mit dem man damals alltägliche Waren wie Lebensmittel oder Haushaushaltsgüter auf dem Markt bezahlte. Vielleicht stammt sie aus dem Geldbeutel desjenigen, der auch das Siegel mit sich führte und war womöglich wie dieses am Gürtel getragen worden.
Beide Funde stammen vom Rande eines Niederungsgebietes, einen regelrechten Altweg können wir in der Nähe nicht ausmachen. Ist der Siegelträger selbst hier überfallen worden und seiner Habseligkeiten direkt entledigt? Oder hat der Dieb hier, in guter Entfernung vom Ort des Geschehens, die Beute aussortiert? Das Siegel selbst war ja für andere nicht nutzbar, der Dreier nur zu übersehendes Kleingeld. Womöglich ein nicht mehr zu lösender Kriminalfall. Andrerseits könnte das Siegel, nur liederlich am Gürtel befestigt, aus dem Gewand Jacob Heinrich von Bellins gerutscht sein, als der, schläfrig nach reichem Mahl, in den Sonnenuntergang über die Wiesen der Altmark ritt. Wo es etwa 370 Jahre später gefunden wurde (Abbildung 6).
Danksagung
Wir bedanken uns sehr bei Jörg Brückner (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Wernigerode), Claus-Peter Hasse (Kulturhistorisches Museum Magdeburg), Hermann Kinne (Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Dessau), Anika Tauschensky (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt), Christian-Heinrich Wunderlich (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt).
Text: Regine Maraszek, Patrick Fuhrmann, Barbara Fritsch
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta, Iven Wustrau
Literatur
G. Alber,/W. Schwarz, Mit Brief und Siegel. Ein Siegestempel (Petschaft) aus Stendal. Fund des Monats November 2014. Link: archlsa.de/bodendenkmalpflege/fund-des-monats/2014/november-2014.html.
N. Klüßendorf, Kleine Münz- und Geldgeschichte von Hessen in Mittelalter und Neuzeit. Das Hessische Münzwesen 2 (Marburg 2012).
A. Muhl, Beeidigt durch das Schragenkreuz. Bemerkungen zu einem hochmittelalterlichen Siegelstempel. Jahresschr. Mitteldt. Vorgesch. 86, 2003, 295–314.
J. Siebmacher/O. T. von Hefner, J. Siebmacher’s grosses und allgemeines Wappenbuch in Verbindung mit Mehreren, herausgegeben und mit heraldischen und historisch-geneaologischen Erläuterungen. Bd. 85 (Nürnberg 1880) 9 m. Taf. IV.