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Neptunbrunnen, Schloss Lichtenburg, Annaburg, Ortsteil Prettin

Januar 2024

Schloss Lichtenburg entstand zwischen 1577 und 1582 am Ort des früheren Antoniterhauses Lichtenberg bei Prettin. Die Antoniter hatten seit dem 14. Jahrhundert den Obst- und Gemüse- sowie den Weinanbau in der Region zwischen Elbe und Schwarzer Elster kultiviert. Seit 1540 gehörte der umfangreiche Landbesitz des säkularisierten Klostergutes zum kurfürstlichen Besitz. Kurfürst August von Sachsen baute das Vorwerk ab 1565 zum landwirtschaftlichen Mustergut aus. Das Schloss diente als fürstliches Gutshaus im Sinne einer villa suburbana.

Schloss und Vorwerk bilden eine annähernd symmetrisch aufeinander bezogene Gesamtanlage. Diese Einheit von Schloss und Gutshof ist Bestandteil einer für die sächsische Schlossbaukunst bahnbrechend neuen Konzeption. Sie reflektiert italienische Vorbilder und steht in engem Bezug zu den augusteischen Wirtschaftsreformen, die neben der Intensivierung des Bergbaus und der Förderung des Handels auch die Effektivierung der Landwirtschaft umfassten.

1611 bezog die junge Kurfürstin Hedwig, Witwe Kurfürst Christians II. von Sachsen, Tochter König Friedrichs II. von Dänemark, die Lichtenburg, um hier wahrhaft königlich zu residieren. Sie ließ mehrere Räume und auch die Kirche durch Johann Fasold neu ausmalen und stiftete der Schlosskirche einen von Giovanni Maria Nosseni entworfenen, von Sebastian Walther 1612/13 ausgeführten steinernen Altar, heute eines der Hauptwerke der sächsischen Renaissanceskulptur. In ihrem Auftrag wurden die Gartenanlagen erneuert und darin ein Lusthaus errichtet, 1615 das hofseitige Portal des Torhauses dekoriert und 1631 ein italienisierender Ziehbrunnen im Schlosshof aufgestellt. Dieser Neptunbrunnen, von einem bislang unbekannten Bildhauer geschaffen, hat sich als Kopie von 1967/68 erhalten (Abbildung 1). Den Aufsatz ziert die bewegte freiplastische Gruppe eines als Aktfigur dargestellten Neptuns, der auf einer von einem Delfin getragenen Muschel sitzt und von drei Hippokampen (Fabelwesen mit Pferdeleib und Fischschwanz, Seepferde) über die Wellen des Meeres gezogen wird (Abbildung 2).

Weit im Binnenland errichtet, stellt dieser Neptunbrunnen keinen Verweis auf die Seefahrt oder das Element Wasser dar, sondern er ist als Allegorie auf die gerechte Herrschaft bzw. das »gute Regiment« zu verstehen. Nach der Beschreibung des antiken Dichters Vergil (Aeneis I) besänftigte Neptun allein mit seinen Worten »Quos ego« die entfesselten Windgötter und beruhigte die stürmischen Wogen des Meeres. Die Humanisten der Renaissance deuteten Vergils Neptun als »ratio superior«, als Muster des idealen Herrschers, der durch Eloquenz die Gemüter der Aufgebrachten befriedet.

Die Komposition der Gruppe geht auf das Vorbild eines Deckengemäldes von Raffael in der Villa Madama in Rom zurück, das durch einen Kupferstich Marcantonio Raimondis verbreitet war.

Der Brunnen zeigt, wie alle von Kurfürstin-Witwe Hedwig initiierten Werke, unübersehbar ihr Monogramm. Dieses Zeichen verweist stets auf die Person der Stifterin und deren individuelle Donation. Es unterscheidet sich damit von den sächsisch-dänischen Allianzwappen des Kurfürsten August und seiner Gemahlin Anna an den Schlossbauten, die diese als Objekte der Staatsrepräsentation definieren. Die Form von Hedwigs Monogramm wirkt wie die Nachahmung des Monogramms ihres Bruders, König Christians IV. von Dänemark. Dieser offensichtliche Bezug ist zweifellos als Demonstration dynastischer Verbindung und des persönlichen Standesbewusstseins der königlichen Prinzessin, der Brunnen als Verweis auf ihren Herrschaftsanspruch in ihrem Wittum zu interpretieren. Die Nutzung des Schlosses Lichtenburg zwischen 1812 und 1928 als Zuchthaus sowie zwischen 1933 und 1945 als Konzentrationslager sprach diesem künstlerisch verbildlichten Ideal der gerechten Herrschaft mehr als Hohn.


Text:
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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