Rares-Bares
Digitalisierung und Bereitstellung mitteldeutscher Fundmünzen als Fundament für die Rekonstruktion von Währung- und Wirtschaftsräumen vom Mittelalter bis zur Neuzeit
Am 1. Oktober 2020 startete am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, in Kooperation mit dem Landesmünzkabinett im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) und dem Fraunhofer-Institut für Fabrikbetrieb und -automatisierung (IFF) in Magdeburg, das Projekt ›Rares-Bares – Digitalisierung und Bereitstellung mitteldeutscher Fundmünzen als Fundament für die Rekonstruktion von Währung- und Wirtschaftsräumen vom Mittelalter bis zur Neuzeit‹.
Gefördert wird das Digitalisierungsprojekt im Rahmen der Förderlinie eHeritage vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit einer Laufzeit von 3 Jahren.
Projektziel
Ziel des Projektes ›Rares-Bares‹ ist die Schaffung einer umfassenden Datengrundlage, auf deren Basis erstmals eine präzise Charakterisierung von mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Währungslandschaften in Mitteldeutschland erfolgen kann. Dazu sollen all jene Fundmünzen und Münzfundkomplexe erfasst werden, die in die Zeit vom Mittelalter bis zur Neuzeit datieren, auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts gefunden wurden und sich heute im Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt und im Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale) befinden.
Münzen aus Bodenfunden sind authentische Ausschnitte aus dem historischen Geldumlauf und besitzen einen hohen archäologischen und historischen Wert. Sie ermöglichen die Erforschung von Struktur, Volumen sowie Bewegung von Münzgeld und legen damit wesentliche Züge der historischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen frei.
Die Erfassung von Münzfundkomplexen schafft eine auswertbare Datengrundlage, die es ermöglicht, Währungslandschaften, also räumliche Nutzungsradien von Währungstypen und Währungszeiträume zu analysieren. Monetäre Räume können so in Hinblick auf den Gebrauch von Geld im heimischen Umfeld, im Einflussgebiet der jeweiligen Münzherren und in räumlicher Nähe zu ihren Prägestätten untersucht werden. Zudem ergibt sich die Möglichkeit, Wechselbeziehungen zu benachbarten Gebieten genauer zu beleuchten – nicht zuletzt, da Austausch, ob nun in Form von Gütern, Ideen oder gemünztem Geld, nicht an Landesgrenzen zum Erliegen kommt.
Digitalisierungsstrategie
Bereits im Rahmen des Digitalisierungsprojekts ›Digital Heritage 2017/1018‹ konnte in Kooperation mit dem Fraunhofer-Institut IFF ein Gerät entwickelt werden, welches einzelne Münzen – basierend auf etwa 1.000 optischen Merkmalen, die einen Erkennungsschlüssel, quasi einen ›digitalen Fingerabdruck‹ der Münze bilden – eindeutig und unverwechselbar beschreiben und identifizieren kann. Im Rahmen der Förderung durch das BMBF konnte die Bildauflösung bei kleinen Münzen verbessert werden.
Das ›Optical System for Coin Analysis and Recognition‹ – kurz O. S. C. A. R. – besteht aus einer hochauflösenden Kamera, die im Zenit einer Kuppel platziert wurde, in deren Innerem 36 Leuchtdioden (LED) angebracht sind. Um den Auflagebereich für die Münze sind Farbkeile, Referenzbohrungen als Maßstabsverkörperungen und zwei schwarze Keramikkugeln angebracht, die dazu dienen, über Reflexionen die Positionen der Leuchtdioden in Bezug auf die Kamera zu ermitteln. Für jede Lichtquelle werden mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Belichtungszeiten angefertigt, um die Lichtintensitätsunterschiede in einem größeren Dynamikbereich zu erfassen. Insgesamt entstehen für jede Münze etwa 450 Bilder. Zusätzlich wird die Münze bei spezieller Beleuchtung mit einer zweiten Kamera von unten aufgenommen, was eine genaue Erfassung der Kontur und das spätere automatische Freistellen ermöglicht.
Das Analyseverfahren, welches für O. S. C. A. R. genutzt wird, basiert auf der photometrischen Stereoanalyse. Diese Art der Rekonstruktion von Oberflächen wird auch als 2,5D-Rekonstruktion bezeichnet und ermöglicht es, durch die Informationen in den aufgenommenen Bildern die geometrische Struktur des abgebildeten Objekts zu beschreiben. Die Grundidee basiert auf der Beobachtung, dass die Flächen eines Objekts immer dann am hellsten erscheinen, wenn sie einer Lichtquelle am meisten zugeneigt sind. Jedes Pixel im Bild definiert durch Rückprojektion dann ein Flächenelement auf dem Objekt. Für jeden Bildpunkt kann somit bestimmt werden, bei welcher Beleuchtung er am hellsten erscheint. Die Informationen zur Oberflächenorientierung und die Farbinformationen können dann zu einem synthetischen Grauwertbild kombiniert werden. Anhand der für jede Münze einzigartigen Verteilung dieser Grauwerte, die quasi einen digitalen Fingerabdruck bilden, kann eine Münze, die einmal gescannt wurde, auch immer wieder erkannt werden. Dazu werden von der Software in den Bildern korrespondierende Merkmalspunkte gesucht, ähnlich wie beim Erstellen von Panoramabildern.
Die mit O. S. C. A. R. erzeugten Bilder erlauben es bei der Betrachtung in einem speziellen Viewer die Position der Lichtquelle virtuell zu verändern und über die Münzoberfläche zu bewegen. Ähnlich dem Drehen der Münze gegen das Sonnenlicht oder der Streiflichtmethode kann die Oberflächenstruktur so genauer betrachtet werden, womit sich, besonders für die häufig korrodierten Fundmünzen, die Möglichkeit einer genaueren Typenbestimmung ergibt.
Beispiel: Münze des Bischofs Ulrich von Halberstadt, Graf von Reinstein
Die abgebildete Münze hat Bischof Ulrich von Halberstadt zwischen den Jahren 1149 bis 1160 prägen lassen. Es handelt sich um einen Brakteaten beziehungsweise Hohlpfennig, also eine einseitig aus dünnem Silberblech geprägte Münze aus der Blütezeit der Halberstädter Brakteatenkunst mit hohem technischem und künstlerischem Anspruch. Abgebildet ist der nach rechts gewandte halbkniende heilige Stephanus mit ausgebreiteten Händen. Vor ihm ist die Hand Gottes im Segensgestus zu sehen. Die Münze ist eine von sieben Stücken aus dem Fund von Etzleben.
Ein Belichtungsmodell beider Seiten dieser Münze können Sie sich online anschauen [HTML, 10 MB, nicht barrierefrei]. Mit dem Mauszeiger legen Sie per Klick die Position der Lichtquelle fest und verändern damit die optische Wirkung der Oberfläche.
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Ergebnispräsentation
Zur Erfassung der numismatischen Daten – wie Münzstand, Münzherr, Nominal, Datierung und die Fundortangaben – nutzen wir die Erfassungssoftware von KENOM. Dies ist eine Datenbank, die speziell auf die Erfassung numismatischer Objektdaten ausgerichtet ist. Im Sinne der Vergleichbarkeit erfolgt die Erfassung unter Zuhilfenahme von Normvokabular und georeferenzierten Ortsangaben. Zudem werden international gebräuchlichen Metadatengrundlagen genutzt, die auch einen unkomplizierten Datenaustausch ermöglichen. So werden wir unsere Digitalisierungsergebnisse neben dem KENOM-Portal sukzessive auch im Portal der Deutschen Digitalen Bibliothek sowie über Europeana für die Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können.
Kontakte
Dr. Veit Dresely
Abteilungsleiter Übergreifende Fachdienste
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