Das trug Mann einst in Schadeleben
Dezember 2003
Unweit westlich von Schadeleben, einer Ortschaft im Landkreis Aschersleben-Staßfurt, konnte kürzlich ein bemerkenswertes Körpergrab freigelegt werden (Abbildungen 1 und 2). Anlass dazu gaben zunächst Erschließungsarbeiten für das ›Ferienhausgebiet Seeland‹ am Nordrand des zu flutenden Tagebaus Nachterstedt. Die Gegend war dem Landesamt für Archäologie bereits als Fundplatz bekannt, und so ergab sich die Durchführung einer archäologischen Ausgrabung im Verlauf einer späteren Zufahrtsstraße. Die Dokumentationsarbeiten waren schon weit fortgeschritten als beim ›Putzen‹ des Planums im Randbereich der Grabungsfläche unerwartet ein Oberarmknochen bemerkt wurde. Sehr schnell war klar, dass es sich hierbei nur um eine Körperbestattung handeln konnte. Jedoch lag der Großteil davon außerhalb der abgetieften Grabungsfläche, so dass zunächst die Grabungsfläche erweitert werden musste. Nachdem dies geschehen war, zeichnete sich die ehemalige Grabgrube recht deutlich vom anstehenden Erdreich ab. Sie besaß eine langovale Form und war in der Länge und Breite ziemlich genau den Körpermaßen der verstorbenen Person angepasst. Die Sohle der Grabgrube lag circa 1,10 Meter unter der heutigen Oberfläche.
Durch den relativ guten Erhaltungszustand der Knochen war ersichtlich, dass die Niederlegung in gestreckter Körperhaltung erfolgte und die Arme neben dem Körper zu liegen kamen (Abbildung 3). Zwar barg das Grab keine echten Beigaben – zumindest keine, die sich erhalten haben, es fanden sich jedoch Elemente der Tracht in Form von drei Bronzefibeln. Eine der Fibeln lag auf dem Brustbein, die beiden anderen lagen dicht beieinander links neben dem Hals (Abbildung 4).
Es bleibt nun zu erklären, warum dieses Körpergrab etwas Besonderes darstellt. Bedeutsam ist zunächst, dass die drei Fibeln ›in situ‹, also in originaler Lage, aufgefunden worden sind. Damit ist zum einen klar, dass die verstorbene Person eingekleidet beerdigt wurde. Zum anderen ist ein Rückschluss auf die Art der Kleidung möglich. Demnach wäre ein hemdartiges Oberteil denkbar, dessen Öffnung auf Höhe der Brust mit der dort befindlichen Fibel verschlossen wurde. Die beiden anderen Fibeln hielten auf der linken Schulter einen Umhang zusammen. Grundsätzlich fragt sich, ob die Bekleidung im Grab derjenigen im Leben entspricht. Es gibt aber Untersuchungen zu Gebrauchsspuren an anderen Fibeln, die das bestätigen.
Ein Kleidungsensemble mit drei Fibeln wird Dreifibeltracht genannt (Abbildung 5). Zwar gibt es dafür keine überregional gültige Regel, aber für gewöhnlich wird eine solche Dreifibeltracht mit der Kleidung von Frauen in Verbindung gebracht. Umso bedeutsamer ist die anthropologische Bestimmung des Individuums aus Schadeleben: Es war ein erwachsener Mann. Die Bestimmung führte dankenswerterweise Dr. Veit Dresely, Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt, durch.
Vermutlich werden uns erst weitere, noch zu entdeckende Körpergräber darüber aufklären, ob der Mann aus Schadeleben eine für seine Region ungewöhnliche Tracht trug. Anhand ihrer typischen Form lassen sich die Fibeln in die zweite Hälfte des 3. Jahrhundert nach Christus datieren (Abbildung 6). Dies ist eine Zeit, in der in Mitteldeutschland neben der über Jahrhunderte währenden Sitte der Brandbestattung zunehmend Körperbestattungen in Mode kamen. Wie in Schadeleben sind derartige Körperbestattungen Nord-Süd ausgerichtet, wobei der Kopf meistens im Norden zu liegen kommt.
Die mitteldeutschen Körpergräber der späten Römischen Kaiserzeit erwecken vor allem wegen der reich ausgestatteten so genannten Fürstengräber (zum Beispiel Gommern und Leuna) das Interesse der archäologischen Forschung. Der Mann aus Schadeleben kam sicher nicht aus diesen Kreisen. Dennoch hob er sich durch die Art seiner Bestattung von der Masse der Brandbestattungen ab. Dies gilt umso mehr, als bei der amtlichen Grabung kein weiteres spätrömerzeitliches Körpergrab entdeckt wurde, aber auch keine Brandgräber. Der Mann aus Schadeleben wurde separiert beerdigt. Die nächsten Brandgräberfelder sind aus den Gemarkungen von Schadeleben, Nachterstedt, Hausneindorf und (Alt-)Köngisaue bekannt. Die Eigenart der separaten Beerdigung trifft wohl auch für ein Körpergrab aus Nachterstedt (Fundstelle 2) zu. Nur circa fünf Kilometer südlich von Schadeleben entdeckt, ist es das bisher nächste bekannte Körpergrab. Leider wurde es bei seiner Bergung im Jahre 1915 nur unzureichend dokumentiert, so dass lediglich die herausragenden Funde, darunter ein silberner Halsring, Zeugnis vom spätkaiserzeitlichen Totenkult ablegen. Trotz der Nähe der beiden wohl zeitgleichen Begräbnisse zueinander bleiben solche Körpergräber insgesamt vergleichsweise selten.
Interessant ist schließlich auch die landschaftliche Lage des Körpergrabes aus Schadeleben: Es lag unmittelbar am Nordufer des ehemaligen Aschersleber Sees, eine seit dem Tertiär durch Salzabwanderung und Salzauslaugung im Untergrund entstandene Senke. Der See bestand noch bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts, wurde dann aber trockengelegt, was zur Entdeckung von Braunkohle führte.
Text: Fabian Gall, Dieter Nothnagel
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta