Zur Navigation (Enter) Zum Inhalt (Enter) Zum Footer (Enter)

Luren lauschen

Oktober 2003

Die Neuordnung des Landesamtes für Archäologie (kurz: LfA) brachte unter anderem einen räumlichen Umbau der (in der jetzigen Struktur seit 1951 bestehenden) Studiensammlung mit sich. Dabei stieß man auf die Nachbildung eines bronzezeitlichen Blasinstrumentes, einer Lure (Abbildung 1). Der olivenfarbene, patinierte, circa zwei Meter lange, S-förmig geschwungene Körper nimmt nun seit längerer Zeit auf einer der Vitrinen im großen Raum der Sammlung seinen Platz ein (Abbildung 3). Nicht ohne Stolz wird er den Besuchern präsentiert, schließlich gehören die Luren zu den faszinierendsten Funden der Bronzezeit. Bei dem Objekt handelt es sich um eine Nachbildung der Lure aus Garlstedt in Niedersachsen, die um 1830 nordwestlich von Bremen beim Straßenbau geborgen wurde. Das Originalinstrument gehört in die Reihe der mehr als 60 bisher bekannten Luren, die hauptsächlich im südskandinavischen und norddeutschen Ostseeküstenraum Verbreitung fanden. Die Garlstedter Lure stellt den gegenwärtig südlichsten Fund dar. In Sachsen-Anhalt wurde noch kein Instrument dieser Art gefunden.

Seit einiger Zeit sind die Luren wieder verstärkt Gegenstand des wissenschaftlichen Interesses, schwerpunktmäßig in der Experimentellen Archäologie. Als Fundgattung zeichnen sich die Instrumente durch eine außerordentliche Homogenität aus. Fast alle Luren wurden in Mooren oder Sümpfen gefunden. Dies deutet darauf hin, dass es sich um Opferfunde handelt, die im Kontext religiöser Vorstellungen der Bronzezeit zu sehen sind. Die leider recht spärliche Dokumentation des Fundes von Garlstedt führte zu der Vermutung, dass man es hier mit einer Beigabe in einem Grabhügel zu tun habe. In Bezug auf die Fundplätze der übrigen Luren wäre dieser Befund eine Ausnahme.
Zahlreiche Luren sind als spiegelbildlich gedrehte Paare aufgefunden worden. Auch die bronzezeitlichen Felsbilder an der schwedischen Westküste stellen Lurenbläser als Paare dar. Vor diesem Hintergrund stellte sich die Frage, ob auch für die Lure in der Studiensammlung ein spiegelbildliches Gegenstück existiert hat. Ein Zufall brachte die Antwort.

Im Winter 2002/2003 hielt Joachim Schween M.A. (Hameln) im Institut für Musikwissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle/Saale einen Vortrag zur Rezeptionsgeschichte der bronzezeitlichen Luren im 19. und 20. Jahrhundert. Nach einer musikalischen Vorführung einer Luren-Nachbildung aus dem Niedersächsischen Landesmuseum Hannover konnte die Instrumentensammlung des Händelhauses / Institut für Musikwissenschaften in Halle besichtigt und dabei die Nachbildung einer weiteren Lure ausfindig gemacht werden. Ihre Ähnlichkeit mit dem Instrument in der Studiensammlung des Landesamtes für Archäologie war verblüffend. Infolge der weiteren Recherche, wurde klar, dass beide Exponate Nachbildungen jener Lure aus Garlstedt sind, deren Fragmente heute im Landesmuseum in Hannover ausgestellt werden. Sie wurden offensichtlich ebenso wie zwei Nachbildungen des hannoverschen Landesmuseums im ersten Viertel des 20. Jahrhunderts auf Veranlassung von Hans Hahne durch den hannoverschen Gelbgießer Otto Hägemann im Wachsausschmelzverfahren gegossen (Abbildung 2). Hahne war bis zu seinem 1912 erfolgten Antritt der Direktorenstelle des Landesmuseums in Halle Direktorial-Assistent am damaligen Provinzialmuseum in Hannover.

Das Hallenser Lurenpaar erregte nach seiner Präsentation an einem würdigen Platz im Ausstellungsraum des Landesmuseums nicht nur in Kreisen der Archäologie Aufmerksamkeit (Abbildung 3).
Auch Musikwissenschaftler interessierten sich für die archaisch anmutenden Formen und Klänge dieser Instrumente. So ist durchaus erklärbar, dass es 1958 zu einer unbefristeten Ausleihe einer der beiden Luren-Nachbildungen an das Musikwissenschaftliche Institut der Universität Halle gekommen ist. Heute, vor dem Hintergrund der Neuordnung der Sammlung und der Planung der großen Landesausstellung im Jahre 2004, scheint die Rückführung der Lure an ihren ursprünglichen Standort sinnvoll: Seit März 2003 kann sich das Auge des Betrachters in den Räumen der Studiensammlung des Landesamtes für Archäologie erneut an den beiden Nachbildungen der Lure aus Garlstedt erfreuen. Die äußere Gestalt der Luren spiegelt ihre formalen und funktionalen Vorläufer – geblasene Rinderhörner – und deren Vergrößerung ins Monumentale wider. Auch ergonomische Überlegungen scheinen bei der Formgebung eine Rolle gespielt zu haben. Praktikabilität und Erscheinungsbild lassen nur eine bestimmte Art der Handhabung zu: die Haltung der Instrumente senkrecht nach oben mit der Schallöffnung nach vorn. Auch Abnutzungsspuren an bestimmten Rohrteilen sprechen für eine solche Spielhaltung. Wesentliche Elemente der Klangerzeugung sind bei der Lure das konisch geformte, aus mehreren Teilen zusammengesetzte Rohr und das bei den Originalen mit dem Rohr fest verbundene kesselförmige Mundstück. Eine kreisrunde Zierscheibe bildet in der Regel den Abschluss des Schallrohres. Sie ist über dem Kopf des Spielers weithin sichtbar. Ein Teil der Luren besitzt magische Klapperbleche, auch Trageketten sind nachgewiesen.

Der authentische Klang der Originalluren kann unter anderem anhand der exzellent erhaltenen und heute noch spielbaren Luren von Brudevaelte auf der dänischen Insel Seeland nachempfunden werden. Praktische Experimente haben gezeigt, dass signalartige und melodische Folgen von bis zu zwölf verschiedenen Naturtönen auf den Instrumenten ebenso spielbar sind wie tiefe dröhnende Dauertöne. Welche Melodien die Menschen der Bronzezeit tatsächlich zu hören bekamen, wird allerdings niemals zu klären sein.
Die Qualität des Lurengusses setzt eine hohe handwerkliche Kenntnis der Bronzegießer voraus und ist ohne das generationenübergreifende Sammeln von Erfahrungen nicht denkbar. Dies gilt auch für viele andere ausgezeichnet gearbeitete Bronzegegenstände der Zeit zwischen 1300 und 600 vor Christus. Offensichtlich erreichte die Gusstechnik jedoch bei den Luren ihre Vollendung. Moderne Gussversuche, die sich technologisch exakt an den Vorbildern der erhaltenen Luren orientierten, waren dagegen bisher nicht erfolgreich. Lediglich die beiden von Otto Hägemann vor mehr als 85 Jahren gegossenen Lurenpaare der Landesmuseen in Halle und Hannover kommen den Originalen herstellungstechnisch schon recht nahe, auch wenn der Künstler die Wandstärke der Rohre erhöhte und sich auch nicht an die originale Legierungszusammensetzung hielt. In ihrer Kunstfertigkeit sind diese Instrumente seitdem nicht übertroffen worden.

Bis zur Landesausstellung des Landesamtes für Archäologie in Halle, die im Oktober 2004 eröffnet wird, steht das alte und nun wieder zusammengeführte Hallenser Lurenpaar an ihrem bereits vor über einem Dreivierteljahrhundert zugewiesenen Platz in der Sammlung und kann dort bewundert werden.


Text: Roman Mischker, Joachim Schween
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

Zum Seitenanfang