Das schwedische Lager von Latdorf 1644
Oktober 2008
»Nächsten Monat, am 27. Juli, da jährt es sich. Damals kam dieser Torstenson eines Tages mit seinen Schweden hier [Anmerkung: Eulenberg] angerückt. Fußvolk, Kanonen und Reiterei, viele Tausend Soldaten und Offiziere. Die haben rund um die Burg und das Städtchen ihre Zelte aufgeschlagen und dann haben sie Laufgräben ausgehoben und Schanzen gebaut. Und natürlich haben sie ihre verdammten Kanonen aufgefahren und haben die Burg und das Städtchen beschossen.« O. Preußler, Das kleine Gespenst (Stuttgart 1966) 14.
Ähnliche Szenen wie in dem berühmten Kinderroman von Otfried Preußler spielten sich auch im Bernburger Land im Herbst des Jahres 1644 ab. Wenige Jahre vor dem Ende des Dreißigjährigen Krieges wurde nordöstlich von Bernburg und unweit der Saale ein schwedisches Feldlager angelegt. Es schloss das Dorf Latdorf vollständig ein. Zwei Stiche, die wenige Jahre später entstanden, belegen in Übereinstimmung mit den schriftlichen Quellen, dass Feldmarschall Torstenson ab dem 17. September ein circa drei mal drei Kilometer großes Feldlager befestigen ließ. Bis auf die Uferbegrenzung durch die Saale im Westen bestand es in allen anderen Himmelsrichtungen aus einem Umfassungsgraben mit einer Gesamtlänge von über sieben Kilometern Länge und insgesamt 14 Bastionen. Bei der Anlage der Befestigungsstrukturen berücksichtigte der Planungsstab in dem sonst recht flachen und ungegliederten Gelände strategisch geschickt die Erhebungen der vorgeschichtlichen Grabhügel der Steinzeitlandschaft Latdorf (Abbildung 1).
Die Schweden ließen sich an diesem Platz nicht ohne Grund nieder. Wenige Tage zuvor hatten die kaiserlichen Truppen unter General Gallas am 6. September nordwestlich von Bernburg und westlich der Saale ihre Zelte aufgeschlagen. In den darauf folgenden Wochen versuchten die Schweden den kaiserlichen Gegner durch kleinere militärische Attacken, durch einen Belagerungsring und durch Aushungern zu zermürben, ohne dass es jemals zu einer größeren Feldschlacht kam. Diese Taktik ging fast auf. Allerdings brach das kaiserliche Heer am 11. November 1644 mit Hilfe einer List aus und das schwedische Heer nahm ab dem 16. November dessen Verfolgung auf.
Vom dem schwedischen Lager um Latdorf sind heute keine obertägigen Zeugnisse erhalten; auch eine »Schwedenschanze« mit gut erkennbaren Wällen und Gräben ist nicht mehr zu erkennen. Allerdings wurden in den Jahren 2006/2007 auf der circa 60 Hektar großen Ausgrabungsfläche Kalkteich 22 nordöstlich von Latdorf unter anderem zwei frühmittelalterliche Siedlungen vollständig untersucht und dabei auch ein Ausschnitt der schwedischen Anlage erfasst. Bei den Ausgrabungen traten Reste des Umfassungsgrabens zusammen mit einer der vierzehn Bastionen zu Tage (Abbildung 2).
Damit konnte der Graben zusammen mit der Bastion zentimetergenau eingemessen werden. In der Verfüllung des Grabens fanden sich zahlreiche Pferdereste, einige Pferde lagen noch im anatomischen Verband. In dem kleinen Ausschnitt des ehemaligen Innenbereichs des Feldlagers, das heißt nordwestlich des Umfassungsgrabens, zeigten sich verschiedene Überreste, wie beispielsweise ein Fassbrunnen, ein stark fragmentierter Kupferkessel (Abbildung 3), eine Silbermünze (ein Prager Groschen; Abbildung 4), eine Musketenkugel und zahlreiche andere Funde und Befunde.
Hinzu kamen 15 Einzel- und zwei Dreifachbestattungen. Die Toten hatte man nicht auf einem einzelnen Platz, einem Friedhof, sondern völlig unregelmäßig über die Ausgrabungsfläche verteilt bestattet. Ihre Grabgruben zeigten keine einheitliche Ausrichtung, doch fielen recht sorgfältig angelegte Grablegen auf. Die Verstorbenen wurden nicht achtlos verscharrt, sondern, soweit erhalten, gestreckt oder in Seitenlage beigesetzt. Auch beließ man ihnen Alltagsgegenstände wie Messer (Abbildung 5) oder einen Kamm. Knöpfe (Abbildung 6) und Gürtelschnallen deuten außerdem darauf hin, dass sie noch ihre Kleidungsstücke trugen. Die anthropologische Bestimmung der Toten ergab eine deutliche Dominanz des männlichen Geschlechts, besonders der Altersgruppe zwischen 14 und 17 Jahren. Vielleicht verstarben sie aufgrund direkter Kriegshandlungen, andere Gründe könnten die Notsituation mit der großen Nahrungsmittelknappheit und ausgebrochene Seuchen (Pest) gewesen sein. Im Gesamtüberblick ist auffallend, dass die Toten trotz der komplizierten Gesamtsituation mit einer gewissen menschlichen Achtung und einer durchaus vorhandenen Pietät bestattet wurden.
Ofenreste im schwedischen Lager bei Latdorf
Im Rahmen des Neubaues der L 73 östlich von Latdorf, die auch als so genannte Südumgehung der Kalkteiche bezeichnet wird, konnten mehrere Befunde erfasst werden, die dem hier überlieferten und mittlerweile auch archäologisch nachgewiesenen schwedischen Militärlager aus dem 30-jährigen Krieg zuzuweisen sind.
Besonders auffallend war eine quadratische Grube (Kantenlänge circa drei Meter) mit Pfostensetzungen an den Ecken sowie in der Mitte jeder Seite. Die Verfüllung war stark durchsetzt mit verbranntem Lehm und Holzkohle. Im nordwestlichen Quadranten (Abbildung 7) lagen Ziegelsteine unterschiedlichen Formats ineinander verstürzt, dazwischen konnten mehrere Ofenkacheln beobachtet werden. Dabei handelt es sich um schwarz glasierte Ware, die im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts entstanden sein dürfte. Auf den reich ausgestalteten Kacheln sind sowohl Frauen als auch Männer dargestellt, sicherlich Herrschergestalten beziehungsweise Allegorien (Abbildungen 8 und 9).
Der gesamte Befundkomplex ist wohl als Ofenrest anzusprechen, vielleicht auch als Kachelofenrest. Im Nordwestquadranten könnte sich der Feuerungsraum befunden haben, darauf deuten die Ziegelsteine aber auch massive Verbrennungsspuren, die sich streifenartig im Löss abzeichneten.
Der gesamte Befundkomplex ist wohl als Ofenrest anzusprechen, vielleicht auch als Kachelofenrest. Im Nordwestquadranten könnte sich der Feuerungsraum befunden haben, darauf deuten die Ziegelsteine aber auch massive Verbrennungsspuren, die sich streifenartig im Löss abzeichneten.
Das Aufgehende des Ofens lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Vermutlich wurde er nach Aufgabe des Lagers durch die Bewohner der umliegenden Dörfer zerstört.
Folgendes Szenario scheint denkbar: Möglicherweise stand die Konstruktion in einem –archäologisch nicht nachweisbar - größeren Zelt oder einer anderen Behausung leichterer Bauart - und sorgte hier für angenehme Wärme. Die Belagerung Bernburgs fand im Herbst/Winter 1644 statt. Angesichts dieser Jahreszeit ist es vorstellbar, dass insbesondere die hohen Offiziersränge im schwedischen Heer unter Feldmarshall Torstenson nicht auf den Luxus wohliger Wärme verzichten wollten.
Um für derartige Fälle gerüstet zu sein, wurden bei den jahrelangen Plünderungszügen nicht nur Erntevorräte, Vieh und weitere Versorgungsgüter gestohlen. Allem Anschein nach demontierte man in Schlössern, reichen Bürgerhäusern und ähnlich repräsentativen Gebäuden Kachelöfen beziehungsweise entledigte diese ihrer Kacheln um sie dann im Feldlager wieder zu verwenden.
Nach dem Ende der Belagerung und der Aufgabe des Lagers wurden offensichtlich die meisten Kacheln wieder demontiert und mitgenommen, so dass die Grabung nur noch wenige Exemplare bergen konnten. Denkbar wäre auch, dass der Ofen nur partiell mit Kacheln verkleidet war.
Bei einem weiteren Ofenrest (Abbildung 10) rückt der militärische Aspekt in den Vordergrund. An der südwestlichen Ecke eines nahezu quadratischen Befundes (Kantenlänge circa zwei Meter) mit einer schwarzen, lehmigen Verfüllung konnte eine etwa eine Meter lange und circa 0,50 Meter breite Ausbuchtung festgestellt und dokumentiert werden. Der Rand- und Sohlbereich war in Form einer mehrerer Zentimeter starken Schicht stark verziegelt. Zwei nebeneinander gesetzte Ziegelsteine bildeten den untersten Abschluss der Konstruktion (Abbildung 11).
Innerhalb der Verfüllung konnten mehrere bleierne Fensterglaseinfassungen, teilweise mit noch darin befindlichen Glasresten aufgedeckt und geborgen werden (Abbildung 12).
Unwillkürlich drängt sich bei dieser Befundlage das schon im Fund des Monats September zitierte »Schwedenlied« auf, das den Sachverhalt auf den Punkt bringt:
Die Schweden sind gekommen,
haben alles mitgenommen,
Haben`s Fenster eingeschlagen,
Haben`s Blei davongetragen,
Haben Kugeln draus gegossen,
Und die Bauern erschossen.
Der Schmelzofen stand wahrscheinlich in einem kleinen verschlagähnlichen Gebäude. Zwei Pfosten am nördlichen und südlichen zentralen Randbereich des quadratischen Befundes deuten eine einfache Dachkonstruktion an, die die kleine Werkstatt vor Witterungseinflüssen schützte.
Die aktuelle Grabung in unmittelbarer Nähe des Kalkteiches 22 ergänzt somit eindrucksvoll das Bild des schwedischen Lagers, von dem im Rahmen der Großgrabung 2006 und 2007 Teile des Umfassungsgrabens mit Bastion, Pferdebestattungen und weitere Strukturen erfasst wurden.
Text: Jochen Fahr, Peter Pacak
Online-Redaktion: Norma Henkel, Anja Lochner-Rechta
Literatur
J. Blödorn, Ein Prager Groschen beim schwedischen Militär. In: S. Friederich u. a. (Hrsg.), Archäologie am Kalkteich 22 in Latdorf. Die Chemie stimmt! Arch. Sachsen-Anhalt Sonderband 9 (Halle [Saale] 2008) 93.
H.-J. Döhle, Pferde im Graben des schwedischen Feldlagers Latdorf. In: S. Friederich u. a. (Hrsg.), Archäologie am Kalkteich 22 in Latdorf. Die Chemie stimmt! Arch. Sachsen-Anhalt Sonderband 9 (Halle [Saale] 2008) 115-117.
J. Fahr, P. Pacak, Das schwedische Feldlager Latdorf. In: S. Friederich u. a (Hrsg.), Archäologie am Kalkteich 22 in Latdorf. Die Chemie stimmt! Arch. Sachsen-Anhalt Sonderband 9 (Halle [Saale] 2008) 105-114.
C. Müller, Schrecken des Krieges in Stadt und Land. Der Dreißigjährige Krieg in und um Latdorf. In: S. Friederich u. a. (Hrsg.), Archäologie am Kalkteich 22 in Latdorf. Die Chemie stimmt! Arch. Sachsen-Anhalt Sonderband 9 (Halle [Saale] 2008) 95-104.