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Das ›Schwedenlied‹

September 2008

Auf dem rund 300 Hektar großen Schlachtfeld bei Lützen finden seit 2006 Prospektionen statt (Abbildung 1). Hier trafen am 6. November 1632 (nach dem julianischen Kalender) der Schwedenkönig Gustav II. Adolf und Wallenstein mit ihren Heeren aufeinander. Der Überlieferung nach fanden hier über 6000 Menschen den Tod, darunter auch der Schwedenkönig und der Kaiserliche General Pappenheim.

Neben den rund 650 Bleikugeln (Abbildung 2), die bisher bei den Feldbegehungen kartiert wurden, konnten auch zahlreiche Bleiobjekte unbekannter Funktion auf dem Schlachtfeld eingesammelt werden.

Wegen seines niedrigen Schmelzpunktes und seiner weichen Konsistenz war Blei im 17. Jahrhundert ein beliebter Rohstoff, der zum Beispiel zum Einfassen von Butzenscheiben verwendet wurde. Während des Dreißigjährigen Krieges wurden schlagartig große Bleimengen für die Herstellung der Munition für Handfeuerwaffen der zahlreichen Heere benötigt.
Im Frühjahr 2008 lieferte nun die Entdeckung eines süddeutschen Volksliedes, dem sogenannten »Schwedenlied« (Langer 1982), den entscheidenden Hinweis zur Einordnung einiger der Bleiobjekte vom Schlachtfeld (Abbildung 3).

Der Liedtext lautet wie folgt:

Die Schweden sind gekommen,
haben alles mitgenommen,
Haben’s Fenster eingeschlagen,
Haben’s Blei davongetragen,
Haben Kugeln draus gegossen,
Und die Bauern erschossen.

Das Lied entstand während der Kampfhandlungen zwischen dem schwedischen und dem kaiserlichen Heer, die in den Jahren um 1630 vor allem im süddeutschen Raum große Verwüstungen anrichteten.
»Die Schweden hatten vier Jahre das fränkische Vaterland ausgesogen und ausgeplündert, so dass ganze Ortschaften am Bettelstabe herumgingen. Nach der Vertreibung der Schweden aus Franken im Jahre 1635 musste auf längere Zeit von der Steuer- und Abgabenentrichtung Umgang genommen werden. Wenn ein Steuerbüttel sich erblicken ließ, wurde ihm sogleich von den Leuten das Schwedenlied entgegengesungen.« (Schöppner 1852f)

Die im Folgenden vorgestellten Bleifunde vom Lützener Schlachtfeld spiegeln in beeindruckender Weise den Inhalt des oben zitierten altdeutschen Liedes wieder.
Es handelt sich dabei um mehrere Fragmente von bleiernen Fensterglaseinfassungen (Abb. 4), einen sogenannten »Gusskönig« (der im Schmelztiegel verbleibende Gussrest, Abb. 5), und um zahlreiche Stücke Bleischmelze, die auf dem Areal des Schlachtfeldes verstreut lagen (Abb. 6 und 7).

»Im normalen Alltag außerhalb von Kampfhandlungen wurde die Muskete so gut wie nie abgefeuert, außer bei Wachdienst, um die Funktion zu gewährleisten. Blei war eben wertvoll und rar.«…»man brach es ja teilweise aus Fenstern und Dächern«. (Engerisser 2007)

Aufgrund der großen Zahl an Bleiobjekten, die auf dem Schlachtfeld gefunden wurden, kann man davon ausgehen, dass sowohl viele Soldaten als auch die auf die Munitionsherstellung spezialisierten Marketender die für die Herstellung von Bleikugeln notwendigen Rohmaterialien mitführten. Womöglich wurden noch kurz vor den Kampfhandlungen des 6. November 1632 Bleikugeln für das bevorstehende Aufeinandertreffen der Heere Wallensteins und Gustav II. Adolfs gegossen.

Die Produktionsschritte bei der Herstellung von Bleimunition

Die verschiedenen Verarbeitungsstadien vom Fensterbleifragment bis hin zur fertigen Musketenkugel können ebenfalls anhand des Lützener Fundmaterials nachvollzogen werden.

»In der Regel wurde der normale Standardinfanterist des Dreißigjährigen Krieges aus den bei der Armee mitgeführten Munitionsvorräten ausreichend mit Pulver und Kugeln versorgt. In den zeitgenössischen Korrespondenzen werden häufig große Lieferungen von Musketenkugeln und anderen Geschossen erwähnt … Anzunehmen ist aber, dass rottenweise eine Kugelzange für Notfälle mitgeführt wurde und auch der jeweilige Zeug- oder Rüstmeister einer Kompanie über entsprechende Mehrfachformen für den Guss von Bleikugeln verschiedener Kaliber verfügte.« (Engerisser 2007)

Spezielle Waffengattungen wie zum Beispiel die Waffen von General Isolanis Kroaten, welche Radschlossmusketen eines meist sehr kleinen Kalibers mit sich führten, verschossen Munition von »Erbsengröße« (Engerisser 2007) und konnten wohl nicht aus den Munitionsvorräten des Regimentes versorgt werden. Diese Soldaten hatten für Munitionsengpässe ihre eigenen Kugelzangen dabei.
Die Gussformhälfte des Kalibers 13 Millimeter, die auf dem Schlachtfeld gefunden wurde, könnte zum Beispiel einem mit Radschlosspistolen ausgerüsteten Kürassier gehört haben (Abb. 8 und 9).
Alle frisch gegossenen Bleikugeln hatten noch einen Gussstutzen (Abb. 10). Diese Gussstutzen der Bleigeschosse wurden meist von den Kugeln entfernt. Vereinzelt wurden diese von den Kugelrohlingen abgezwackten Gussstutzen auch auf dem Schlachtfeld von Lützen gefunden.
In Lützener Fundspektrum wiesen viele der Geschosse, die von Gussstutzen befreit waren, Zangenspuren auf (Abb. 11). Auch die beim Gießen entstandenen Gussgrate wurden nicht immer von den Bleikugeln abgefeilt (Abb.12).

Von den Lützener Bleigeschossen zeigen 73 Bleikugeln unterschiedlicher Kaliber ein umlaufendes Band (Abb. 13). Der Erklärungsansatz, dass das Band entsteht, wenn Bleikugeln, deren Kaliber etwas größer als das Kaliber der verwendeten Waffe ist, mit Hilfe des Ladestockes mit Gewalt in einen zu engen Lauf gepresst wurden, macht angesichts der großen Verletzungsgefahr, die durch sogenannte „Rohrkrepierer“ entsteht, wenig Sinn. Plausibler wäre, dass es sich hierbei um auf den Schlachtfeldern eingesammelte oder beim feindlichen Tross erbeutete Kugeln handelt, die auf das Kaliber der eigenen Waffe zugefeilt wurden. Auf den Schlachtfeldern eingesammelte Kugeln sind, wenn sie auf ein Hindernis aufgetroffen sind, oft stark verformt. Auch hier müssten sie vor der Wiederverwendung auf das jeweils gewünschte Kaliber zurechtgefeilt werden.
Eine der Kugeln wies einen Gewebeabdruck auf. Dieser kann sich auf dreierlei Weise in die Bleikugel eingeprägt haben (Abb. 14). Das Gewebemuster könnte durch einen um die Kugel gewickeltem Stofflappen, der gelegentlich zur Abdichtung des Laufes diente, damit das darunter eingefüllte Pulver seine Schubkraft maximal entfalten konnte, mit dem Ladestock in die Kugel geprägt worden sein. Oder der mit in den Lauf gestopfte Lappen wurde beim Auftreffen auf ein festes Hindernis in die Kugel eingestanzt. Es könnte sich aber auch um den Stoffabdruck eines Kleidungsstückes eines mit der Bleikugel getroffenen Soldaten handeln.

Um abschließend auf das oben zitierte Lied zurück zu kommen: die Schweden waren - zumindest in Lützen -  nicht diejenigen, vor denen sich die vornehmlich protestantische Bevölkerung fürchtete. Hier war es der kaiserliche Feldherr Wallenstein, der am Morgen des 6. Novembers 1632 das Dorf Lützen anzünden ließ. Es galt zu verhindern, dass die Schweden den Ort besetzen, wodurch die rechte Flanke von Wallensteins Heer bedroht gewesen wäre (Abb. 15). Das Schloss Lützen (C) war das einzige Gebäude, das den Brand vom November 1632 überstand.

Im Museum Schloss Lützen konnten seit 2007, dem 375. Todestag Gustav II. Adolfs, einige der auf dem Schlachtfeld geborgenen Fundstücke besichtigt werden (Abb. 16 und 17).


Text: André Schürger, Eva-Carmen Szabó
Online-Redaktion: Norma Literski, Anja Lochner-Rechta

Literatur

R. Brzezinski, Lützen 1632, Climax of the Thirty Years War, Oxford 2007.

P. Engerisser, Kalibertabellen und –abmessungen für Feuerwaffen von 1600 bis 1650. in: Peter Engerisser: Ausrüstung und Bewaffnung der Armeen des Dreißigjährigen Krieges.  http://www.engerisser.de/Bewaffnung/Kaliber.html (15.03.2022); sowie Korrespondenz mit Herrn Engerisser

H. Langer, Hortus Bellicus – Der Dreißigjährige Krieg, Leipzig 1982, 109

A. Schöppner, Sagenbuch der Bayer. Lande 1-3, München 1852-1853, 250-251

A. Schürger, Bleikugeln vom Schlachtfeld Lützen 1632 – Überlegungen zu Bewaffnung und Schlachtverlauf. In: M. Reichel/I. Schuberth (Hrsg.), Ausstellungskatalog Gustav Adolf, König von Schweden, Die Kraft der Erinnerung 1632 – 2007 (Dößel 2007).

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