Ein Fischer saß im Kahne – der Einbaum aus dem Arendsee und weitere Einbäume aus Sachsen-Anhalts Norden
Mai 2010
Unterwasserfunde waren in Sachsen-Anhalt in der Vergangenheit die absolute Ausnahme. Die Seen und Flüsse des Landes traten archäologisch kaum in Erscheinung. Das änderte sich jedoch mit der Entdeckung eines Einbaums im Arendsee im Norden Sachsen-Anhalts (Abbildung 1)durch einen Sporttaucher des Tauchclubs Arendsee e. V. (TCA) Ende des Jahres 2003. Weitere Unterwasserfunde der Sporttaucher, insbesondere von Hans-Henning Schindler, Hartmut Schindler und Rüdiger Pohlmann, erwiesen sich in der Folgezeit als sehr bedeutsam und begründeten seit April 2004 eine kontinuierliche Zusammenarbeit zwischen den Sporttauchern und dem Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt.
Am 1. Weihnachtstag des Jahres 2003 entdeckte Rüdiger Pohlmann aus Zießau, Mitglied des Tauchclubs Arendsee e.V., während eines Tauchgangs im Nordwesten des Arendsees einen Einbaum (Abbildung 2). In etwa drei Meter Tiefe waren vom Seesediment befreite Holzteile sichtbar. Das nahezu vollständig erhaltene Boot ruhte circa 80 Meter vom Nordwestufer entfernt auf dem Seegrund und war mit Feldsteinen beschwert. Seitlich lag ein Kugelbodengefäß des 14. Jahrhunderts (Abbildung 3). Eine Jahrring- und Holzartanalyse des Deutschen Archäologischen Instituts in Berlin ergab Eschenholz mit einem Fälldatum von um/nach 1389.
Forschungstaucher des Landesamtes für Kultur- und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern unter Taucheinsatzleitung von Dr. Harald Lübke bereiteten in Amtshilfe für das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt die wissenschaftliche Dokumentation des Einbaums wie auch seine Bergung vor und realisierten dies im Oktober 2004. Die technische Basis (Bergeplattform, Arbeitsboote, Pumpen, Krantechnik) sicherte das Technische Hilfswerk Salzwedel in beispielhafter Weise ab.
Dokumentation und Bergung erfolgten von der Bergeplattform des Technischen Hilfswerks Salzwedel aus. Da keine weiteren Funde im Umfeld des Bootes beobachtet wurden, war bei diesem Wasserfahrzeug von einem Einzelfund auszugehen. Nicht mehr in Seekreide eingebettete Bootsteile, so im Bereich zweier Schotts, zeigten erste Zersetzungserscheinungen. Auch das zum Ufer gerichtete, etwas höher liegende Heck war stärker angegriffen.
Der Einmessung, Zeichnung, Foto- und Videodokumentation in Fundlage folgte das vollständige Freispülen des Fundesmittels Wasserstrahlpumpen, die von einem Arbeitsboot aus betrieben wurden (Abbildung 4). Dabei zeigte sich, dass der Einbaum unmittelbar auf dem Seesediment lag, das heißt sich in ursprünglicher Ablageposition befand, und einige Risse aufwies. Anschließend wurde das Boot mit einem Hebegestell umbaut, für den Transport gesichert (Abbildung 5) und unter Wasser in eine speziell angefertigte Berge- und Konservierungswanne gehoben (Abbildung 6). Unter die Bergeplattform des Technischen Hilfswerks gehievt, gelangte die Stahlwanne zum Ufer (Abbildung 7), wo der Kran sie auf einen Schwerlasttransporter umsetzte. Derzeit befindet sich das Boot in der Holzkonservierung in Schwerin.
Der Bootskörper hat eine Länge von 4,18 Meter. Die größte Breite ist am Bug, dem Stammende, mit 0,52 Meter zu messen. Das Heck (Zopfende) ist noch 0,4 Meter breit und der Schiffskörper in der Mitte 0,33 Meter hoch. Beide Enden sind flach auslaufend und löffelartig gerundet. Der vordere Heckbereich hat zwei senkrechte Querschotts von fünf Zentimeter Randstärke, die eine Art Kasten bilden (Innenmaße 40 Zentimeter mal 43 Zenitmeter) und damit den hinteren Schiffsbereich abtrennen (Abbildung 8). Die Bootswand ist durchschnittlich drei bis fünf Zentimeter stark und der Querschnitt des Einbaums halbkreisförmig. An vielen Teilen des Schiffskörpers sind Bearbeitungsspuren eines flachen Hohldechsels zu erkennen (Abbildung 9). Da die meisten dieser Wasserfahrzeuge aus Eiche bestehen, sind aus Esche gefertigte Stücke, wie in diesem Fall, eher die Ausnahme. Das Arendseer Boot wird wohl als Fischereifahrzeug gedient haben, da der durch zwei Querschotts abgetrennte vordere Bereich der Heckpartie eine Art Fischkasten bildet. Der besonders flache, gerundete Bug war hervorragend zum Anlanden an flachen Ufern wie im Norden des Arendsees geeignet. So wurde der Einbaum wohl vom Zießauer Ufer aus als Fischerboot für die Netz- und Reusenfischerei genutzt.
Wenngleich konkrete historische Angaben zur Fischerei im Arendsee nicht bekannt sind, lassen einige Urkunden, die den See als Klosterbesitz ausweisen, Zusammenhänge erschließen. So zählten unter anderem die gesamten Dörfer rund um den See zum Besitz des 1183 gegründeten Benediktinerinnen-Klosters: Arendsee (1208), Genzien (1365), Gestien (1253), Kaulitz (1184 und 1340), Kläden (1271), Leppin (1322), Schrampe (1184), Zehren (vor 1235), Ziemendorf (1375 ?), Zießau (1184) und Zühlen (1331). Eindeutiger stellen sich die Fischereirechte in der Bestätigungsurkunde für das Kloster aus dem Jahre 1208 dar: »Praeterea quicquid inter stagnum, quod dicitur antiquum Arnesse, et fluvium, qui dicitur Byndin, et provinciam lynegowe habuerunt, vel habere possunt, in silvis, in pascuis, in piscacionibus, in venacionibus.« (»Außerdem alles, was sie zwischen dem stehenden Gewässer, das der alte Arendsee genannt wird, dem Fluss Binde und der Landschaft Lemgow an Wald-, Weide-, Fischerei- und Jagdnutzung besessen haben oder besitzen können.«).
Ob der Einbaum in fangfreier Zeit planmäßig auf Grund gesetzt beziehungsweise gelagert wurde oder zufällig um 1400 verloren ging, bleibt ebenso ungeklärt wie die Zugehörigkeit des gleich alten Henkelkruges zur Ausstattung des Fischers.
Das Arendseer Boot ist in der Region kein Einzelstück. Aus der Elbe bei Arneburg(Landkreis Stendal) kam 1970 ein Bootfragment, das nicht mehr existiert. Im Museum Wolmirstedt lagern Überreste von zwei Einbäumen aus der Kiesgrube Treuel bei Bertingen, (Landkreis Stendal), die in den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts eingeliefert wurden. Bei Bömenzien (Landkreis Stendal) erfasste ein Greifer 1936 im Zehrengraben einen Einbaum, der ins Kreismuseum Osterburg gelangte. Das Boot aus Kuhlhausen (Landkreis Stendal)wurde 1934 in einem Altarm der Havel entdeckt und befindet sich im Museum Genthin. Aus Neukirchen (Landkreis Stendal) stammt der neueste Fund, den das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt 2007 am Schwarzen Wehl, einem Elbealtarm, barg. Im Landesfundarchiv gibt die Ortsakte Nitzow (Landkreis Stendal) den Hinweis auf einen aus der Havel stammenden Einbaum, der sich früher im Museum Havelberg befand. Im Jahr 2005 wurde nahe Schartau, (Landkreis Jerichower Land) ein am Ostufer der Elbe angeschwemmter Einbaum durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie sichergestellt. Aus dem Bett der Stremme (Havel-Zufluss) bei Schlagenthin (Landkreis Jerichower Land) kamen in den Jahren 1967 und 1973 zwei Einbäume, die im Museum Genthin zu besichtigen sind. Diese Reihe ließe sich mit Fundstellen im angrenzenden Brandenburg und Niedersachsen fortsetzen.
Dennoch sind - gemessen an mehreren Jahrtausenden praktizierter Binnenschifffahrt - nur wenige Einbäume entdeckt worden. Der älteste deutsche Bootfund wurde bereits 1785 im Teufelsmoor in Niedersachsen ausgegraben. Gleichwohl blieben nur einige der aufgefundenen Stücke erhalten. Die in Sachsen-Anhalt zugänglichen Boote ließ das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt in den Jahren 2007 bis 2009 datieren. Der zur Zeit älteste Einbaum der Region ist karolingisch (8. Jahrhundert - Schartau [Landkreis Jerichower Land]), alle weiteren wurden im Mittelalter und der Neuzeit mit Schwerpunkten im 12./13. sowie 15./16. Jahrhundert hergestellt; der jüngste stammt aus dem 18. Jahrhundert (Bertingen [Landkreis Stendal]).
Einbäume sind seit der Mittelsteinzeit bekannt und entstanden durch Bebeilen eines Baumstammes, mitunter auch unter Zuhilfenahme von Feuersetzen. Sie waren wichtige Verkehrsmittel des Hinterlandes über Seen und kleine, schmale Fließgewässer zu den großen Wasserstraßen. Paddel oder Staken dienten der Fortbewegung. Im Rahmen der Binnenschifffahrt und des damit verbundenen Transports von Menschen und Gütern kamen die flachen, schmalen und damit wendigen Boote nahezu in jeder Region zum Einsatz. Sie ermöglichten den Verkehr auf dem effektiven Wasserweg, da es bis in die Neuzeit hinein kein ausgebautes Straßennetz gab. Gleichermaßen zählen Einbäume zu den grundlegenden Arbeitsmitteln der Binnenfischerei. In Kombination mit anderen waren sie auch als Katamaran beziehungsweise Floßfähren als Schwimmkörper aus zwei und mehr Rümpfen in Gebrauch.
Das wirtschaftliche Potenzial der Einbäume zeigt sich an ihrer fortgesetzten Verwendung parallel zur Entwicklung der Plankenboote und –schiffe, in einigen Regionen sogar bis in das 19. Jahrhundert.
Text: Rosemarie Leineweber (Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt) und Harald Lübke (ehemals Landesamt für Kunst und Denkmalpflege Mecklenburg-Vorpommern)
Online-Redaktion. Tomoko Emmerling, Anja Lochner-Rechta
Literatur
R. Leineweber/ H. Lübke, Der Einbaum aus dem Arendsee. Nachrichtenbl. Arbeitskreis Unterwasserarchäologie13, 2006, 33-44.
R. Leineweber, Entdeckt in Magazinen, Akten und Gewässern. Einbäume in Sachsen-Anhalt.Nachrichtenbl. Arbeitskreis Unterwasserarchäologie 15, 2009, 83-92.