Germanen in der Elbaue
März 2013
Die geplante Verbreiterung des Elb-Havel-Kanals im Zuge des Neubaus einer zweiten Schleuse bei Zerben (Gemeinde Elbe-Parey, Landkreis Jerichower Land), bot die Gelegenheit einen ein Hektar großen Ausschnitt einer im Frühjahr 2012 entdeckten Siedlung der Jastorf-Kultur vollständig archäologisch zu untersuchen.
Die Fundstelle liegt am alten Lauf des Flüsschens Ihle. Die Ihle tritt, aus dem Fläming kommend, bei Burg in das Elbeurstromtal ein und folgt dem Verlauf des Urstromtals nach Norden. Im Bereich der Gemarkungen Zerben und Güsen ist der frühere Flusslauf kaum noch in der Landschaft zu erkennen.
Ein Blick auf das Urmesstischblatt von 1842 zeigt die Lage der Grabungsfläche auf einer Düne nahe des damals noch mäandrierenden Gewässers: Derartige Plätze waren ideale Siedlungsstandorte für den prähistorischen Kulturen. Wohl aus diesem Grund wurde die Stelle schon seit dem Neolithikum besiedelt, wie der Fund einer Schönfelder Schale (Schönfelder Kultur 2800 bis 2200 vor Christus) und einige weitere Fragmente neolithischer Gefäße von dieser Fundstelle belegen.
Am Ende der Bronzezeit wurde am Hang der Düne ein Urnenfriedhof angelegt. Die Urnen lagen dicht unter der heutigen Oberfläche. Neben Gräbern mit zahlreichen Beigefäßen befanden sich Gräber, in denen die Urne allein stand. Eine besonders intensive Nutzung erfuhr die Düne während der vorrömischen Eisenzeit. Etwa 1500 Befunde, die dieser Periode zuzuordnen sind, wurden während der viermonatigen Ausgrabung dokumentiert. Sie repräsentieren nur einen kleinen Ausschnitt der germanischen Siedlung am Rande des Ihletals, die sich sich sowohl hangaufwärts als auch -abwärts fortsetzte.
Das vorwiegend aus Keramik bestehende Fundspektrum zeigt, dass die Nutzungsdauer der Siedlung nahezu den gesamten Zeitraum der Jastorf-Kultur umfasst. Aus mehreren Siedlungsgruben wurden vollständige Alltags- und Vorratsgefäße geborgen (Abbildung 1a). Das Fundmaterial enthält aber auch hochwertige fein gearbeitete, verzierte und polierte Ware (Abbildung 1b). Unter den Verzierungen waren Strichmuster vorherrschend, häufig auch mit Punktdellen kombiniert (Abbildung 1c). Gefäße mit Trichterrändern und nahezu situlaartigen Profilen stehen am Ende der Nutzungsperiode. Zu den wenigen Metallfunden aus der Siedlung zählt ein eiserner Gürtelhaken (Abbildung 1d)
Nachdem bereits mehrere Hundert Siedlungsgruben freigelegt und dokumentiert worden waren, zeichnete sich im Grabungsschnitt 3 eine rechteckige Wandgrabenstruktur im anstehenden Sand ab (Abbildung 2). Der Grundriss wurde vollständig freigelegt. Obwohl der südwestliche Abschluss der Struktur bei früheren Erdarbeiten bereits zerstört worden war, konnte der für diese Region bisher einmalige Hausgrundriss noch auf einer Länge von 20 Meter dokumentiert werden.
Bei der näheren Untersuchung (Abbildung 3) zeigte sich, dass in den Wandgraben zur Stabilisierung vereinzelt Pfosten eingegraben waren. Etwa sechs Meter vom nordöstlichen Giebel wies der Wandgraben in den Längsseiten 0,8 bis 0,9 Meter breite Unterbrechungen auf. Hier befanden sich zwei, einander gegenüber liegende Hauseingänge.
Beim Fortschreiten der Grabung deckte der Bagger in Verlängerung von Haus 1 – nur fünf Meter von diesem entfernt – ein zweites Langhaus auf. Mit einer Breite von fünf bis 5,7 Meter war es etwa 0,8 Meter schmaler als Haus 1. Auch das Wandgräbchen von Haus 2 war mit einer durchschnittlichen Breite von 0,25 bis 0,3 Meter dünner als das des ersten Hauses. Die erhaltene Tiefe des Gräbchens von bis zu 0,4 Meter entsprach dagegen ungefähr der bei Haus 1 dokumentierten. Obwohl auch hier der südwestliche Abschluss nicht sicher erfasst werden konnte, wies Haus 2 eine Mindestlänge von 22 Meter auf. Zwei Reihen kräftiger Pfosten gliederten das Innere des Langhauses in drei Schiffe.
Auch das Areal um die Häuser zeigte eine relativ klare Gliederung: Zu jedem der Langhäuser gehörte eine runde Freifläche. In sicherem Abstand zum Haus, am Rande der Freifläche befanden sich je zwei Öfen. Sie bestanden aus einer in den Sand eingetieften Arbeitsgrube. Darüber befanden sich die Reste der eingestürzten Lehmkuppel (Abbildung 4). Die Anlagen waren rund und wiesen einen Durchmesser von etwa zwei Meter auf.
Gut erkennbar war ein zu Haus 1 gehörendes kleineres, zweischiffiges Speichergebäude in Pfostenbauweise (fünf mal vier Meter). Das Nebengebäude stand im rechten Winkel zum Langhaus. Aufgrund der hier erkennbaren Struktur kann von Gehöften gesprochen werden, in deren Zentrum das Langhaus stand.
Beide Langhäuser sind gleichzeitig oder mit geringem zeitlichem Abstand errichtet worden. Dafür spricht nicht nur der direkte räumliche Bezug aufeinander, sondern auch die Keramikfunde aus den Wandgräben und den Pfostengruben. Diese datieren in einen Zeitraum vom fünften bis zum dritten Jahrhundert vor Christus.
Merkmale, wie der dreischiffige Aufbau von Haus 2, die Anordnung der Eingänge (Haus 1) und die Gehöftstruktur stehen in der eisenzeitlichen norddeutschen Hausbau-Tradition.
Text: Andreas Mehner
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
G. Kossack,/K.-H. Behre, P. Schmid (Hrsg.), Ländliche Siedlungen. Archäologische und naturwissenschaftliche Untersuchungen an ländlichen und frühstädtischen Siedlungen im deutschen Küstengebiet vom 5. Jahrhundert v. Chr. bis zum 11. Jahrhundert n. Chr., Bd 1: (Weinheim 1984).
M. Meyer (Hrsg.), Haus – Gehöft – Weiler – Dorf. Siedlungen der Vorrömischen Eisenzeit im nördlichen Mitteleuropa. Internationale Tagung an der Freien Universität Berlin vom 20.–22. März 2009. Berliner Arch. Forsch. 8 (Rahden/Westf. 2010).