Fürstin von Haldensleben – das germanische Gräberfeld vom Südhafen
Oktober 2013
Bei der Grabung am Südhafen wurde mit 15 Bestattungen ein Teil einer Nekropole der frühen Römischen Kaiserzeit (circa 1. und 2. Jahrhundert nach Christus) freigelegt (Abbildung 1). Dabei handelte es sich um Brandgräber, genauer: um 13 Urnenbestattungen (Abbildung 2) und zwei Brandschüttungsgräber (Abbildung 3). Alle Gräber waren durch die langjährige landwirtschaftliche Nutzung zum Teil erheblich gestört worden; einzig die Urne aus Grab 8 (Abbildung 4) ist vollständig erhalten geblieben. Im ausgegrabenen Areal ließen sich zwei Gräbergruppen lokalisieren. Im Westen lagen die Brandschüttungsgräber 1 und 2 sowie die beiden Urnengräber 3 und 4. Die Hauptgruppe mit den neun Urnenbestattungen 5 bis 13 befand sich etwa 30 Meter östlich. Vereinzelt zwischen den beiden Gruppen lag die Urne Grab 14.
Ebenfalls in isolierter Lage, etwa 40 Meter südwestlich der Hauptgruppe, befand sich Bestattung 15. Die urnenlosen Gräber 1 und 2 sind sogenannte Knochennester mit Leichenbrand (Abbildung 5). Dieser war ohne Grabgefäß in den anstehenden Feinsandboden eingebracht worden. Reste von organischen Behältnissen wie Leinen- oder Ledersäckchen bzw. Gefäße aus Holz, die möglicherweise anstelle eines keramischen Gefäßes benutzt wurden, haben sich im örtlichen Trockenbodenmilieu nicht erhalten. Die beiden beigabenlosen Gräber befanden sich am Rand des Gräberfeldes und lagen von den Urnengräbern räumlich isoliert.
Die Urnen selbst wurden nahezu immer freistehend innerhalb des Feinsandes aufgefunden, also ohne erkennbare Bodenverfärbungen oder Einbauten um das Gefäß herum. Nur in einem Fall (Grab 7) wurde die Urne durch eine Steinpackung/ -lage geschützt (Abbildung 6).
Vollständig erhaltene Grabgefäße beziehungsweise größere, ergänzbare Gefäßfragmente sind aus sieben Bestattungen dokumentiert. Aus vier Urnen stammen Knochennadeln respektive Teile davon (Abbildung 7), wobei hier Grab 6 mit Fragmenten von sechs Exemplaren deutlich hervorzuheben ist, während aus den weiteren Gräbern nur drei (Grab 8) beziehungsweise eines vorliegen (Gräber 7 und 12). Durch die hohen Brandtemperaturen sind sämtliche Nadeln gebrochen. Sie sind alle als Trachtbestandteile anzusehen. Ihnen stehen die aus den Gräbern 6, 7 und 8 geborgenen Bärenkrallen gegenüber (Abbildung 8). Diese gehören aufgrund der fehlenden Durchlochungen nicht zur Tracht, sondern sind ein Hinweis darauf, dass die Toten auf Bärenfellen liegend verbrannt wurden. Anzeichen auf die Lage eines derartigen Verbrennungsplatzes konnten innerhalb der Untersuchungsfläche leider nicht erbracht werden. Eine Beschreibung der Urnen ist angesichts ihres Erhaltungszustandes nur eingeschränkt möglich. Es handelt sich, soweit erkennbar, stets um mindestens zweigliedrige Gefäße mit runden Umbrüchen.
Die Urnen der Gräber 5 bis 7 (Abbildungen 9 bis 11) lassen sich aufgrund des einziehenden Unterteils zu trichterförmigen Gefäßen, sogenannten Situlen, wie sie unter anderem aus dem Gräberfeld von Kleinzerbst (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) bekannt sind, ergänzen. Auch das vollständige Gefäß aus Grab 8 (Abbildung 4) gehört trotz seiner vergleichsweise schlanken Form in den Kanon dieses Gefäßtyps. Bei den Urnen aus den Gräbern 10 und 12 (Abbildungen 12 und 13) ist hingegen eine Bestimmung als Kumpf vorzunehmen. Darüber hinaus sind einige Gefäße verziert: So wurde an die Urne aus Bestattung 5 (Abbildung 14) eine zweizeilige Rollrädchenverzierung in Form eines Zick-Zack-Bandes angebracht. Ein ähnliches Dekor mit stehenden und liegenden Dreiecken trägt die Urne aus Grab 8 (Abbildung 15); hier wurde die Verzierung jedoch eingeritzt. Die liegenden Dreiecke und der Bereich unter der Schmuckleiste sind geraut, während die stehenden Dreiecke wie die Zone oberhalb der Verzierung geglättet wurden. Von der Bodenpartie abgesehen, ist auch das Gefäß aus Grab 10 (Abbildung 12), soweit es erhalten ist, außen vollständig geraut.
Während die meisten Bestattungen dem gängigen Repertoire der Römischen Kaiserzeit zuzurechnen sind, barg eines eine Sensation. Denn um ein deutlich herausragendes Inventar handelt es sich bei Grab 6 (Abbildung 16). Nachdem der Befund im Block geborgen worden war, entdeckte man auf der Höhe des Gefäßbodens, also unterhalb der Urne, eine kleine, goldfarbene Kugel. Daraufhin wurde das anstehende Sediment sowie der Aushub mittels eines Mehlsiebes untersucht. Zum Vorschein kamen dabei 14 kleine, goldene Spiralrollen (Abbildung 17), ein silberner S-förmig gebogener Verschlusshaken (Abbildung 18), ein verzierter, versilberter Fibelfuß mit getreppt durchbrochenem Nadelhalter (Abbildung 19), sechs Fibelfragmente aus Eisen (Abbildung 20) sowie diverse Schmelzkügelchen aus Silber und Gold, die zu einer Kette gehören (Abbildung 21).
Anzeichen, dass das Gold unter der Urne eingegraben wurde, fanden sich leider nicht. Das Profil lieferte keine Hinweise darauf. Das Edelmetall steht dennoch in einem engen Befundzusammenhang mit der Urne. Es ist zweifelsfrei mit dieser zugleich in den Boden eingegraben worden und wahrscheinlich beim Eingraben aus der Urne gefallen beziehungsweise durch das Überpflügen aus ihr herausgerissen worden. Bei der Urne (Abbildung 10) handelt es sich um ein zweigliedriges Gefäß aus schwarzgrauem Ton, der von außen sauber geglättet, beinahe poliert erscheint. Aus diesem Gefäß wurden neben dem Leichenbrand zwei Bärenkrallen (Abbildung 8), ein Eisenfibelfragment, ein L-förmig gebogenes Eisenobjekt sowie die Überreste von mindestens sechs Knochennadeln (Abbildung 22) entnommen. In der Urne selbst wurde kein einziges Goldobjekt gefunden. Die Funde weisen erhebliche Beeinträchtigungen durch Brandeinwirkung auf. Das Gräberfeld ist mit Sicherheit in die frühe Römische Kaiserzeit (1. und 2. Jahrhundert nach Christus) zu datieren.
Dafür spricht das Vorkommen rollrädchenverzierter Scherben mit punktförmig eingestochenen, frühen Mustern (Abbildung 9) und die charakteristische, als facettiert bezeichnete Randausprägung der Grabgefäße (Abbildung 4).
Ähnlich gearbeitete Gefäße findet man regelmäßig auf frühkaiserzeitlichen Gräberfeldern, zum Beispiel in Bornitz (Landkreis Burgenlandkreis), Großromstedt (Landkreis Weimarer Land) (Thüringen), Wiebendorf (Landkreis Ludwigslust-Parchim) (Mecklenburg-Vorpommern), Profen (Landkreis Burgenlandkreis), und Kleinzerbst (Landkreis. Anhalt- Bitterfeld). Der versilberte Fibelfuß aus Befund 6 (Abbildung 19) datiert sicher in die erste Hälfte des ersten nachchristlichen Jahrhunderts. Derartig gestaltete, getreppt durchbrochene Nadelhalter sind sowohl an Fibeln vom Spätlatèneschema (zum Beispiel in Schkopau (Landkreis Saalekreis) als auch bei Rollenkappenfibeln vorhanden. Auch der Schließhaken aus demselben Befund (Abbildung 18) ist in die frühe Römische Kaiserzeit zu stellen. Knochennadeln sind zwar vornehmlich aus spätkaiserzeitlichen Gräbern bekannt, sie treten aber ebenso in gesichert frühkaiserzeitlichen Fundzusammenhängen auf. Bärenkrallen wurden in frühkaiserzeitlichen Gräberfeldern wie zum Beispiel in Großromstedt (Landkreis Weimarer Land) (Thüringen), Schkopau (Landkreis Saalekreis) und Kleinzerbst (Landkreis Anhalt-Bitterfeld) gefunden. Sie sind jedoch selten, weshalb das dreimalige Vorkommen in Haldensleben als bemerkenswert häufig bezeichnet werden muss.
Einige rollrädchenverzierte Scherben (Abbildung 23) aus Siedlungsgruben waren während der Kampagne im Südhafendie einzigen Hinweise auf das Vorhandensein einer römisch-kaiserzeitlichen Siedlung – eine solche wurde erst im Verlauf einer späteren Ausgrabung am Beberdüker entdeckt .In dem hier vorgestellten Friedhof gibt es keine eindeutigen Hinweise auf eine Belegung nach dem ersten nachchristlichen Jahrhundert. Gräber, die derart reich ausgestattet sind wie Grab 6 (Abbildung 24), sind äußerst selten. Aufgrund der vielen wertvollen Fundstücke handelt es sich mit Sicherheit um das Grab einer wichtigen Persönlichkeit. Und auch wenn nur wenige der von Eggers (1949/1950) herausgestellten Kriterien erfüllt sind, ist es unzweifelhaft ein frühkaiserzeitliches Fürstengrab. Damit reiht es sich in die Riege der bereits bekannten sachsen-anhaltinischen Fürstengräber aus Profen (Landkreis Burgenlandkreis), Quetzdölsdorf (Landkreis Anhalt-Bitterfeld), Bornitz (Landkreis Burgenlandkreis) und Gommern (Landkreis Jerichower Land) ein. Das Diadem spricht dafür, dass es sich bei der bestatteten Person um eine Frau handelt. Es ist folglich das Grab einer Fürstin – Haldenslebens erster großer Dame.
Text: Christian Lau, Ulrike Petersen
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
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