Die ältesten Patienten im Johanniter-Krankenhaus. Radiologische Untersuchungen an Brandbestattungen der Jastorfkultur vom Urnengräberfeld ›Am Sandberg‹ in Stendal
September 2017
Das Johanniter-Krankenhaus Stendal GmbH errichtet auf dem Krankenhausgeländeeinen großen Erweiterungsbau, der erste Spatenstich dazu fand am 14. Juni 2017 statt. Die Baumaßnahme ist seit langem geplant und führte dieses Jahr nach Abriss der Altbebauung zu zwei archäologischen Untersuchungen im Baufeld, im südlichen Teil des Krankenhausgeländes. Bereits 2013 wurde der nördliche Teil der Baufläche untersucht (Abbildung 1). Eine Kontaktaufnahme zur Radiologischen Abteilung des Krankenhauses führte zu einer engen und fruchtbaren Zusammenarbeit von Archäologie und Medizin, die eine umfangreiche radiologische Untersuchung von Bodenproben und im Block geborgener Urnenbestattungen ermöglichte.
Das Krankenhaus auf der Fundstelle »Am Sandberg«
Das Johanniter-Krankenhaus Stendal befindet sich seit 1880 auf dem Gelände an der Nordwallstraße nördlich der Altstadt. Bereits 1890 waren die ersten Erweiterungen notwendig, um den ursprünglichen Altbau herum entstand im Laufe der Zeit ein umfangreiches Gebäudeensemble. Das Krankenhaus liegt auf einem großen Brandgräberfeld »Am Sandberg«, das seit 1713 bekannt und 1728 zuerst beschrieben wurde (Rüdemann 1728). Der eigentliche Sandberg, nachdem der Fundplatz benannt wurde, liegt etwas nördlich des Krankenhausgeländes. An dieser Stelle wurde wahrscheinlich seit dem Mittelalter Sand gewonnen. Vom Gräberfeld sind Belegungen ab der späten Bronzezeit mit einem Schwerpunkt in der Kaiserzeit bekannt, auch slawische Körperbestattungen wurden gefunden. Große Teile des Gräberfeldes sind durch die Bebauung bereits zerstört, aber durch die im diesem Zuge durchgeführten archäologischen Untersuchungen bekannt. Das Gräberfeld ist seit mehr als 300 Jahren Gegenstand archäologischer Forschung. Nach 1990 wurden fünf reguläre archäologische Untersuchungen bei Baumaßnahmen des Johanniter-Krankenhauses auf dem Gelände durch das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt veranlasst (Lessig 1994, Balfanz 2002, Ludwig 2002, Neubert 2009, Lindemann 2017). Dabei wurden 113 Bestattungen – sowohl Brand- als auch Körperbestattungen –aufgedeckt.
Gräber der Ausgrabungen der Jahre 2013 und 2017
Die Flächen der zuletzt durchgeführten archäologischen Untersuchungen im Vorfeld des aktuellen Erweiterungsbaus grenzen direkt aneinander. 2013 wurden insgesamt elf Urnen- und Brandgräber aufgedeckt, die sich unter dem 1933 errichteten Gebäude erhalten hatten. Vier der Urnenbestattungen waren stark beschädigt, drei Urnenbestattungen wurden umgelagert angetroffen. Unter dem Grünstreifen vor dem Gebäude wurden zwei Brandgräber ohne keramische Urne sowie zwei sehr gut erhaltene Urnen gefunden. Durch teils massive Störungen im Baufeld sind wahrscheinlich mehrere Bestattungen unbeobachtet zerstört worden (Lindemann 2017). In der letzten Untersuchung 2017 wurden weitere 13 Brandbestattungen aufgedeckt, die sich teils überraschend gut unter dem zuvor abgerissenen Altbau von 1880 erhalten haben. Neben zwei durch Bauaktivitäten stark fragmentierte Urnenbestattungen wurden fünf Brandbestattungen ohne keramische Urne freigelegt, eine davon mit einer Deckschale als Beigabe. Sechs Urnenbestattungen waren zum Teil vollständig erhalten, von nur wenigen Zentimetern Boden unter dem Altbau geschützt – sie wurden im Block geborgen. An fünf der Urnen war eine Deckschale vorhanden. Nach der Keramik und den Beigaben gehören die Gräber aus diesem Bereich des Gräberfeldes in die ältere Jastorf-Kultur der vorrömischen Eisenzeit.
Radiologie und Archäologie – interdisziplinär zu neuen Erkenntnissen
Die durch die Ausgrabungen dokumentierten und geborgenen Überreste von Brandbestattungen sind stark fragmentierte Überreste von gesellschaftlich normierten Kulthandlungen und Ritualen im Zuge der Bestattungen von Verstorbenen. Die Bewertbarkeit von Brandgräbern hängt von der sorgfältigen Untersuchung im Gelände und einer stringenten Ansprache der Befunde ab (Becker u.a. 2005, 72 f.). Der archäologische Befund eines Brandgrabes ist das Ergebnis von im Detail unbekannten Prozessen und Handlungen (Becker u.a. 2005, 65). Die Verbrennung eines Leichnams ist in ihrem Verlauf ein »chaotischer«, ein außerordentlich komplexer und uneinheitlich ablaufender Prozess, der extrem von äußeren Bedingungen beeinflusst wird. Diesem Prozess unterliegen der Leichnam und alle mit auf den Scheiterhaufen gegebene Beigaben der Ausstattung des Toten. Durch das Verbrennen geschieht eine unsystematische Auslese von Bekleidung und Trachtbestandteilen des Toten auf dem Scheiterhaufen (Becker u.a. 2005, 164). Auch die aus Metall – Eisen, Bronze, Silber und auch Gold – bestehenden Ausstattungsobjekte werden durch die Verbrennung in Teilen zerstört und werden nur als zufälliger Ausschnitt überliefert. Bei einer Urnenbestattung wurden die Überreste nach der Verbrennung in einem Gefäß deponiert, was ebenfalls eine entweder zufällige oder beabsichtigte Auslese der Überreste des Leichenbrandes und der durch die Filterwirkung des Feuers gegangenen Beigaben zur Folge hat (Becker u.a. 2005, 73 f.). Bei der Aufbahrung opulent ausgestatteter Verstorbener kann nach vollständiger Verbrennung der Anschein eines geringeren, sozusagen kargen, Tracht- und Beigabenumfangs erweckt werden. Während bei einer suboptimalen Verbrennung schlicht aufgebahrter Personen im Vergleich die Überreste viel reichhaltiger erscheinen können. Erfasste Beigabenzahlen und der Status der Bestatteten bezeugen demnach nur eine Mindestausstattung des jeweiligen Toten (Leineweber 2007, 42 f.). Was hiernach und nach Jahrhunderten und Jahrtausenden im Boden übrig bleibt, bildet die Grundlage der archäologischen Analysen und Interpretationen. Im Feuer vergangene Metallbeigaben können mittels Röntgendiagnostik aufgespürt werden. Makroskopische Schmelzreste und Schmelzkügelchen von verschmolzenem Inventar teilen aus Bunt- und Edelmetall, die teils einen Durchmesser von weniger als einen Millimeter besitzen, sind mit bloßem Auge nicht erkennbar. Diese Schmelzreste können im und am Leichenbrand nachgewiesen werden. Selbst bei Altfunden, die aus gesiebtem und gewaschenem Leichenbrand bestehen, fanden sich nach Überprüfungen hin und wieder vereinzelt Schmelzreste im Röntgenbild, durch deren Berücksichtigung sich der Anteil von Brandgräbern mit metallenen Beigaben gegenüber den beigabenlosen nur aufgrund der angewendeten Methodik deutlich erhöht hat (Kühl 1987, 108).
Zur Überprüfung der Diagnostik wurde eine 2000 im Block geborgene kaiserzeitliche Urne aus Wedderstedt, Landkreis Harz, untersucht. Das Ergebnis zeigte (Becker u.a. 2003, 139), dass neben den wenigen makroskopisch feststellbaren Beigaben eine Vielzahl an Schmelzkügelchen sichtbar wurde. Sie waren in der Urne zwischen dem Leichenbrand verteilt und erinnerten im Röntgenbild an einen Sternenhimmel (Abb. 2). Mit bloßem Auge waren die Metallkügelchen aufgrund ihrer geringen Größe nicht auszumachen, auch nicht unter Zuhilfenahme der Röntgenbilder. Bei der üblichen Dokumentation des Urneninhaltes ‒ vorsichtiges Entnehmen des Inhaltes und Dokumentation der Lage der einzelnen erkennbaren Beigaben ‒ sind diese Schmelzreste aufgrund ihrer geringen Größe und des regelmäßigen Überzugs mit meist erdfarbähnlichen Oxiden beziehungsweise anhaftender Erde nicht zu erkennen. Nach dem Ausnehmen der Urne wurden die Fraktionen fein geschlämmt, dabei fanden sich die Fraktionen zwischen 0,05–0,045 Millimetern wieder, nur Ausnahmen wiesen mehr als 4 Millimetern Größe auf. Beim Waschen des Leichenbrands vor einer anthropologischen Bestimmung würden diese Schmelzreste verloren gehen (Becker u.a. 2003, 139 f.). Die Vorgehensweise an der Urne von Wedderstedt zeigte, dass neben den makroskopisch erkennbaren Inventarteilen aus Eisen auch andere Gegenstände aus Bronze und Silber mit auf dem Scheiterhaufen gelegen haben müssen, die sich jedoch nur als Spuren unterschiedlicher geschmolzener Metalle nachweisen lassen (Becker u.a. 2003, 146).
Ergebnisse der archäologischen Radiologie
Aus der Nachbarschaft von Grabungsfläche und radiologischer Abteilung des Stendaler Johanniter-Krankenhauses ergab sich während der Geländearbeiten 2013 ein Kontakt, der in eine enge und gute Zusammenarbeit mündete. Die technischen Möglichkeiten der Radiologie können unter Formulierung konkreter Fragestellungen dem Erkenntnisgewinn der archäologischen Forschung deutlich erweitern. Mittels Röntgenbildern oder Computertomographie (CT)-Aufnahmen konnten über die im Block geborgenen Urnen vor ihrer Öffnung Informationen über den Inhalt gewonnen werden, die Befundsituation innerhalb der Urne ist somit vor einem Ausnehmen zerstörungsfrei dokumentiert. In den Bodenproben wurde nach durch die Verbrennung zerstörter Grabbeigaben aus Metall gefahndet. Bereits 2013 konnten 54 der entnommenen Bodenproben aus den Grabgruben geröntgt werden. Drei im Block geborgene Urnen wurden zusätzlich im krankenhauseigenen Computertomographen durchleuchtet. Die hierbei erzeugten digitalen Bilder wurden in einem mitgelieferten Bildprogramm analysiert, die ein vertikales und horizontales Durchfahren der Urnen ermöglichen. Mit der Ausgrabung 2017 wurde die enge Zusammenarbeit mit der radiologischen Abteilung wieder aktiviert. Insgesamt 31 weitere Boden- und Leichenbrandproben wurden nun geröntgt, dazu konnten sechs Blockbergungen von Urnen im Computertomographen durchleuchtet werden. Die ältesten Patienten des Stendaler Johanniter-Krankenhauses stammen somit aus der vorrömischen Eisenzeit.
Röntgen
Röntgenbilder dienen dem Aufspüren makroskopisch nicht erkennbarer Metallobjekte, wie beispielsweise Schmelzkügelchen von während der Verbrennung zerstörter Metallbeigaben (Leineweber 2007, 39 f.).Über die Röntgenbilder der Boden- und Leichenbrandproben der archäologischen Untersuchungen von 2013 und 2017 sollten eventuell durch die Verbrennung verschmolzene metallische Grabbeigaben aufgespürt werden. Die Proben der Grabbefunde setzen sich im Wesentlichen aus dem sandigen Bodenmaterial und dem Leichenbrand in unterschiedlichen Anteilen zusammen. Während des Röntgens wurden die Tüten mit den Proben einzeln durchleuchtet. In den Aufnahmen sind die Bestandteiledurch ihre unterschiedliche Helligkeit zu erkennen, worin sich die unterschiedliche physikalische Dichte des Ausgangsmaterials zeigt (Abbildung 3). In den Röntgenbildern der Bodenproben von 2013 zeigten sich vereinzelt helle Punkte, die sich aber in einer exemplarischen Analyse durch die Restaurierungswerkstatt des Landesmuseums für Vorgeschichte (Breuer 2013) als mineralische, natürliche Bodenbestandteile erwiesen. Kleine Metallkügelchen verschmolzener metallischer Grabbeigaben konnten nicht nachgewiesen und durch die umfangreiche Beprobung für diese Bestattungen somit annähernd ausgeschlossen werden. Unter den Brandbestattungen der Untersuchung von 2017 zeigten Proben zweier Gräber Metallbeigaben in den Röntgenbildern. Aus dem Brandschüttungsgrab Befund 2017/6 waren während der Ausgrabung bereits Fragmente einer Bronzenadel geborgen worden. Filigrane Drahtbruchstücke in den Röntgenbildern zeigen, dass eine weitere bronzene Beigabe vorhanden war, die ohne Röntgendiagnostik nicht hätte aufgespürt werden können. Die Bodenproben der Bestattung 2017/8 zeigte ebenfalls in zwei Proben filigrane Reste an Bronzedraht, die zusätzlich zu einer Schale als Beigabe in den Boden kamen. Somit konnten durch die Röntgendiagnostik zwei Gräbern weitere bronzene Grabbeigaben zugeordnet werden, während für insgesamt 13 Bestattungen metallische Beigaben annähernd ausgeschlossen werden konnten. Aus den Befunden 2013/22 und 2017/6 waren während der Grabung bereits Nadelfragmente geborgen worden (Abbildung 4). Nur für die erhaltungsbedingt unvollständig geborgenen Bestattungen bleibt eine Unsicherheit bestehen.
Computertomographie
Durch die Bilddaten der im Computertomographen durchleuchteten Urnen sind die Lage des Leichenbrandes und der Beigaben in den Urnen vor einem Ausnehmen zerstörungsfrei dokumentiert. Drei im Block geborgene Urnenbestattungen der Grabung von 2013 wurden im Computertomographen durchleuchtet, dazu wurden weitere sechs im Block geborgene Urnenbestattungen der Ausgrabung 2017 ebenfalls durchleuchtet (Abbildung 5). Für die im Rahmen der Untersuchungen ausgenommenen Urnen der Grabung von 2013 war die Kenntnis ihres Inhaltes von Vorteil. Durch die Aufnahmen des Computertomographen wurden die in den Urnen enthaltenen Beigaben sichtbar. Von den insgesamt neun per Computertomographen untersuchten Urnen beider Ausgrabungen zeigten drei der Bestattungen keine Beigaben. Die Urnenbestattung Befund 2013/15 zeigte in den Bildern der Computertomographie ein in zwei Teile zerbrochenes Eisenobjekt, das nach dem Ausnehmen als ein für die Jastorf-Kultur typischer Gürtelhaken identifiziert werden konnte.
In allen per Computertomographen durchleuchteten Urnen der Grabung von 2017 wurden Metallobjekte festgestellt. Vier Urnen –Befund 2017/2, 2017/60, 2017/64 und 2017/68 –zeigten helle Anomalien in den Röntgenbildern, die als Bronzeobjekte interpretiert wurden. Ein Ausnehmen der Urnen ist noch nicht erfolgt, sodass diese Interpretationen noch nicht überprüft wurden. In zwei Urnen konnten die Objekte in den Computertomographie-Bildern als solche Bronzenadeln identifiziert werden, wie sie für die Jastorf-Kultur typisch sind (Keiling 2014, 115). Die Urne Befund 2017/4, aus der manuell ein Bronzefragment geborgen werden konnte, zeigt eine weitere Nadel und weist somit sogar zwei Metallbeigaben auf. Die Computertomographie-Bilder der Urne aus Befund 2017/13 zeigen mit zwei gut erhaltenen Bronzenadeln ebenfalls zwei Metallbeigaben. Für eine exakte, feinchronologische Einordnung sind die Bilder zu ungenau, aber das Vorhandensein der Beigaben ist zweifelsfrei dokumentiert. Die Einordnung der Bestattungen in die ältere Jastorf-Kultur der vorrömischen Eisenzeit ist dadurch weiter abgesichert. Die Urnen der Grabung von 2017 sind als Blockbergungen befinden sich inzwischen in der Sammlung des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie, eine Überprüfung der Ergebnisse der Röntgenbilder an den Objekten steht noch aus (Abbildungen 6 bis 12).
Ausblick
Durch die Röntgendiagnostik an den Proben und der Computertomographie an den im Block geborgenen Urnen konnte das Bild der vorhandenen metallenen Grabbeigaben des hier untersuchten Bereiches vom Gräberfeld »Am Sandberg« sehr detailliert erfasst werden. Von den insgesamt 24 angetroffenen Bestattungen waren zehn mit Metallbeigaben ausgestattet, zwei davon mit mehr als einer Beigabe. Nur zwei dieser Bestattungen wurden 2013 im nördlichen Teil der Grabungsfläche erfasst. In den Boden- und Leichenbrandproben konnte das Vorhandensein verschmolzener, weiterer Grabbeigaben annähernd ausgeschlossen werden. In der Verteilung der Bestattungen der Jastorf-Kultur der Ausgrabungen von 2013 und 2017 zeigt sich, dass die südlichen, im Jahr 2017, erfassten Bestattungen reicher ausgestattet wurden als die nördlich gelegenen im Bereich, der 2013 untersuchte wurde. Die Ergebnisse der Röntgendiagnostik am archäologischen Fundmaterial zeigen den Wert dieser interdisziplinären Zusammenarbeit. Das Bild der Beigabenverteilung des hier erfassten Ausschnitts des Gräberfeldes ist durch die radiologischen Untersuchungen wesentlich schärfer gefasst, als es mit rein archäologischen Mitteln gelungen wäre. Die Ergebnisse der radiologischen Untersuchungen der Brand- und Urnenbestattungen zeigen, dass dieses Instrument die Erkenntnismöglichkeiten in der archäologischen Forschung deutlich ausweitet. Hierfür danken wir dem Team der radiologischen Abteilung des Johanniter-Krankenhauses Stendal sehr herzlich.
Text: Matthias Lindemann
Internetredaktion: Georg Schafferer, Anja Lochner-Rechta
Literatur
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