Wer hat die schönste Armschutzplatte im ganzen Land? - Ein Krieger der Glockenbecherkultur aus Halberstadt-›Sonntagsfeld‹
Oktober 2021
Im Herbst und Winter 2018/2019 wurde in der nordwestlichen Ecke des Neubaugebiets »Sonntagsfeld« in Halberstadt (Landkreis Harz) eine Fläche von 510 Quadratmeter archäologisch untersucht. Zunächst wurde nur die Fläche für die Baugrube eines Einfamilienhauses ausgegraben, aber nach der Entdeckung eines spätneolithischen bis frühbronzezeitlichen Gräberfeldes konnte dank der Kooperationsbereitschaft der Stadt Halberstadt, des Architekten und der Bauherren die gesamte Fläche inklusive des zukünftigen Gartens untersucht werden.
Das Gräberfeld maß etwa 25 Meter mal 16 Meter und umfasste somit circa 400 Quadratmeter. Auf einer natürlichen Geländekuppe östlich des Goldbachs, nahe eines älteren neolithischen Doppelgrabens, fanden sich acht Bestattungen der Glockenbecherkultur (2500 bis 2050 vor Christus) und 16 Gräber der Aunjetitzer Kultur (2200 bis 1550 vor Christus). Über einer dieser Bestattungen lagen zahlreiche weitere menschliche Skelettteile und Einzelknochen.
Im Januar 2019, kurz vor dem Ende der Grabungsarbeiten, wurde ein mit großen Feld- und Kalksteinen eingefasstes Grab (Befund 415) entdeckt, das nur in geringer Tiefe lag (Abbildung 1). Daher war es möglicherweise ehemals von einem Grabhügel bedeckt. Zuerst fanden sich im Norden des Grabes ein zerdrückter Schädel, der teilweise von einer großen Steinplatte überdeckt war, und Beinknochen. Südöstlich des Schädels wurde eine reich verzierte sogenannte Armschutzplatte aus rotem Stein entdeckt (Abbildung 2). Bei der weiteren Freilegung wurden weitere Skelettteile und im Bereich des Unterarmes ein kupferner Dolch gefunden (Abbildung 3). An der Ferse, in der Südwestecke der Grabgrube, stand ein unverzierter Glockenbecher (Abbildung 4). Die Armschutzplatte und der Kupferdolch wurden aus dem Grab entnommen und in die Werkstatt des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt gebracht. Anschließend wurde der Grabbefund mit dem Skelett im Block geborgen und ebenfalls nach Halle (Saale) transportiert. In Vorbereitung auf die Landesausstellung »Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte« im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle wurde die Blockbergung dann restauratorisch bearbeitet und für die Präsentation vorbereitet. Ausnahmsweise wurden aufgrund ihrer Bedeutung zwei Beigaben, die Armschutzplatte und der Kupferdolch, nachgebildet und die Originale nicht wieder in den Block eingesetzt.
Es handelt sich um die Bestattung eines erwachsenen Mannes der Glockenbecherkultur, der – wie in dieser Kultur üblich – in linker Hockerlage mit dem Kopf im Norden und dem Blick nach Osten, zur aufgehenden Sonne, bestattet worden war. Anhand des Glockenbechers kann das Grab in die späte Glockenbecherkultur (23. Jahrhundert vor Christus) datiert werden.
Nur einen Meter von der Südostecke des Grabes entfernt, wurde auf dem gleichen Niveau wie die Hockerbestattung ein Pferdeschädel gefunden. Obwohl in den höheren, dunkler gefärbten Schichten dieser Grube vermutlich eisenzeitliche Scherben zutage kamen, könnte ein Zusammenhang des Pferdeschädels mit dem Männergrab bestehen. Vielleicht handelt es sich sogar um das Reittier des Mannes?
Die größte Besonderheit des Grabes ist aber die circa zehn Zentimeter lange gewölbte Armschutzplatte aus rotem Stein mit vier Bohrungen. Sie stellt mit einer plastischen Leiste und Ritzlinien an den Schmalseiten und an Teilen der Längsseiten sowie jeweils einer Reihe von Rauten an den Schmalseiten das am reichsten verzierte Exemplar aus dem mitteldeutschen Raum und darüber hinaus dar. Damit ist sie ein herausragendes Beispiel für diese Funde, die spezifisch für die Glockenbecherkultur sind und deren Funktion nicht eindeutig geklärt ist. Oft werden sie als Schutz des Unterarms vor der zurückschnellenden Bogensehne gedeutet, aber da sie häufig an der Außenseite des Unterarms liegen und entsprechende Gebrauchsspuren weitgehend fehlen, spricht eher gegen diese Interpretation. Im vorliegenden Fall trägt die Lage vor dem Oberkörper des Toten nicht wesentlich zur Funktionsbestimmung bei. Die Armschutzplatten waren jedoch offenbar für manche Männer wichtige persönliche Gegenstände von hoher Symbolkraft.
In Mitteldeutschland eher selten ist auch die Bewaffnung des Kriegers mit einem neun Zentimeter langen Kupferdolch mit einer kurzen Griffzunge, an der ursprünglich ein Griff aus organischem Material befestigt war. Häufiger sind Männer der Glockenbecherkultur mit einer oder mehreren Pfeilspitzen aus Feuerstein ausgestattet, die wohl jeweils die letzten Überreste eines Bogens und der zugehörigen Pfeile, eventuell in einem Köcher aufbewahrt, darstellen.
Die kleinen Grabgruppen der mitteldeutschen Glockenbecherkultur liegen in der Landschaft verstreut, wie wir aus großflächigen Ausgrabungen vor allem im Vorfeld des Braunkohletagebaus bei Profen, Burgenlandkreis, wissen. Die Bestatteten repräsentieren allerdings anscheinend nur einen gewissen Teil der Bevölkerung.
Einige Männer wurden, wie in Halberstadt-»Sonntagsfeld«, mit Waffen bestattet, was auch in anderen Glockenbechergruppen im sehr weiträumigen Verbreitungsgebiet dieser Kultur von der Iberischen Halbinsel bis Mitteleuropa der Fall ist (Abbildung 5).
Diese Männer wurden im Grab offenbar absichtlich als kriegerische »Helden« dargestellt und verweisen auf die hohe Bedeutung einer Kriegerideologie in der Glockenbecherkultur, ebenso wie es auch für die parallel existierende Schnurkeramikkultur angenommen wird.
Das wiederum bedeutet nicht, dass im 3. Jahrtausend vor Christus tatsächlich »Mord und Totschlag« herrschten. Vielmehr gibt es aus Niedersachsen Indizien für rituelle Zweikämpfe, die mit dem Bogen, aber offenbar auch mit Äxten ausgetragen wurden. Auf diese Weise wurden womöglich viele persönliche und gesellschaftliche Konflikte ohne größeres Blutvergießen geregelt. Ähnliches wird auch für die Schnurkeramikkultur angenommen, deren Zweikämpfe vermutlich mit der stumpfen Seite der Äxte ausgetragen wurden und für diverse Schädeltraumata verantwortlich sind.
Es fällt jedoch auf, dass die in der Glockenbecher- und Schnurkeramikkultur recht häufige Waffenbeigabe in der darauffolgenden frühbronzezeitlichen Aunjetitzer Kultur weitgehend unbekannt ist. Nur sehr wenige Männergräber, darunter die bekannten Fürstengräber, stattete man in dieser Zeit noch mit Waffen als Beigaben aus. Dies könnte ein Hinweis auf eine stärker zentralisierte und hierarchisierte Gesellschafts- und Herrschaftsstruktur sein, in der nur noch wenige Männer als »Helden« agieren konnten beziehungsweise durften (siehe FuMo Juli 2021).
Text: Jan-Heinrich Bunnefeld, Susanne Friederich, Heiko Heilmann, Olaf Kürbis, Olaf Schröder, Matthias Sopp
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta
Literatur
F. Bertemes, Krieg und Gewalt zur Zeit der Glockenbecherleute. In: H. Meller/M. Schefzik (Hrsg.), Krieg – eine archäologische Spurensuche. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) 6. November 2015 bis 22. Mai 2016 (Halle [Saale] 2015) 193–200.
J.-H. Bunnefeld/R. Maraszek/T. Mühlenbruch/M. Schefzik/N. Schwerdt/B. F. Steinmann, Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte. Begleithefte Sonderausstellung Landesmus. Vorgesch. Halle 8 (Halle [Saale] 2021).
S. Friederich/B. Duchniewski/M. Sopp, Bogenschutze oder Falkner? Glockenbecherzeitliche Armschutzplatten. In: H. Meller/K. Geppert (Hrsg.), Himmelsscheibe, Eiszeitriesen, Jenseitsreiter. 270 Funde aus 140 Jahren Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Halle [Saale] in Vorb.).
I. Heske/S. Grefen-Peters, Gewalt im Detail. Bestattungen der Glockenbecherkultur in Niedersachsen mit Hinweisen auf Dimensionen der gesellschaftlichen Auseinandersetzung. In: T. Link/H. Peter-Röcher (Hrsg.), Gewalt und Gesellschaft. Dimensionen der Gewalt in ur- und frühgeschichtlicher Zeit. Internationale Tagung vom 14.–16. März 2013 an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Universitätsforschungen zur Prähistorischen Archäologie 259 (Bonn 2014) 203–216.
A. Hille, Die Glockenbecherkultur in Mitteldeutschland. Veröff. Landesamt Denkmalpfl. u. Arch. Sachsen-Anhalt – Landesmus. Vorgesch. 66 (Halle [Saale] 2012).
H. Meller (Hrsg.), Bronzerausch. Spätneolithikum und Frühbronzezeit. Begleithefte Dauerausstellung Landesmus. Vorgesch. Halle 4 (Halle [Saale] 2011).
H. Meller/N. Nicklisch/J. Orschiedt/K. W. Alt, Rituelle Zweikämpfe schnurkeramischer Krieger? In: H. Meller/M. Schefzik (Hrsg.), Krieg – eine archäologische Spurensuche. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) 6. November 2015 bis 22. Mai 2016 (Halle [Saale] 2015) 185–189.
H. Meller/M. Schefzik (Hrsg.), Die Welt der Himmelsscheibe von Nebra – Neue Horizonte. Begleitband zur Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) vom 4. Juni 2021 bis 9. Januar 2022 (Halle [Saale] 2020).
C. Nicolas, Bracer ornaments! An investigation of Bell Beaker stone ‘wrist-guards’ from Central Europe. Journal of Neolithic Archaeology 22, 2020, 15–107.
R. Schwarz, Kultureller Bruch oder Kontinuität? – Mitteldeutschland im 23. Jh. v. Chr. In: H. Meller/H. W. Arz/R. Jung/R. Risch (Hrsg.), 2200 BC – Ein Klimasturz als Ursache für den Zerfall der Alten Welt? 7. Mitteldeutscher. Archäologentag vom 23. bis 26. Oktober 2014 in Halle (Saale). Tagungen Landesmus. Vorgesch. Halle 12 (Halle [Saale] 2015) 671–713.