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Sumpfschildkröten im Kies - Die paläolithischen Funde aus dem Kieswerk Barleben-Adamsee

August 2024

Die zahlreichen Kiesgruben im mittleren Elbtal bei Magdeburg haben bereits viele herausragende archäologische Funde aus dem Zeitraum zwischen dem mittleren Pleistozän (Eiszeitalter) und der Neuzeit geliefert. Insbesondere für das Pleistozän bieten die tiefen Aufschlüsse immer wieder überraschende Einblicke und Erkenntnisse. Denn andernorts sind die entsprechenden Schichten oft so mächtig überdeckt, dass sie – abgesehen vom Braunkohletagebau – kaum angeschnitten werden. Im Bereich des Adamsees bei Barleben (Landkreis Börde) erfolgte die Aufschotterung über einen Zeitraum von mehreren zehntausend Jahren (Abbildung 1). Da der Kiesabbau mittels Eimerkettenbagger unter dem Grundwasserspiegel erfolgt, sind Beobachtungen zu den Fundschichten nicht möglich.

Somit ist eine Datierung nur über die Form von Geräten oder, insbesondere bei organischen Funden, über naturwissenschaftliche Verfahren (beispielsweise die Radiocarbonmethode) möglich. Die Funde werden in der Regel vom Rüttelsieb des Baggers geborgen. Hier machen sich immer wieder ehrenamtlich beauftragte Bodendenkmalpflegerinnen und Bodendenkmalpfleger besonders verdient. Im Falle der Kiesgrube Barleben-Adamsee sind die Funde der letzten Jahre insbesondere Herrn Uwe Beye zu verdanken.

Aus dem Adamsee liegen bislang nicht nur etwa 180 Feuersteinartefakte (darunter Faustkeile, weitere Geräte, Kerne und Abschläge) vor, auch ein ganz besonderer Fund stammt aus der Kiesgrube. Bereits 1998/99 wurde eine 41,8 Zentimeter lange, aus der Rippe eines Boviden (Ur oder Wisent) angefertigte Spitze entdeckt (Abbildung 2). Die zum Brustbein weisende Partie des Knochens ist in Form einer langen schlanken Spitze auf ungefähr zwölf Zentimeter Länge sehr sorgfältig zugerichtet worden. Die Radiocarbondatierung verortet den Todeszeitpunkt des Tieres mit 95-prozentiger Wahrscheinlichkeit zwischen 32.992 und 32.406 vor Christus, in die späte mittlere oder frühe jüngere Altsteinzeit. Das macht den Fund zu einem der ältesten geschliffenen Knochengeräte Mitteldeutschlands. 

In dieselbe Zeit gehören die Steingeräte. Unter ihnen findet sich beispielsweise das Fragment einer sogenannten Blattspitze (Abbildung 3), das etwa mit Funden aus der Ilsenhöhle bei Ranis in Thüringen verglichen werden kann. Dort wurden kürzlich von einem Forscherteam unter Beteiligung des Landesamts für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt frühe moderne Menschen als Hersteller dieser Geräte bereits vor 45.000 Jahren ausgemacht. Zuvor waren Blattspitzen häufig mit dem Neandertaler in Verbindung gebracht worden.

Unter den neueren Funden aus dem Adamsee stechen fünf Fragmente von Schildkrötenpanzern heraus, die der Europäischen Sumpfschildkröte (Emys orbicularis) zugeordnet werden können (Abbildung 4). Alle Fragmente wurden jeweils zwei Mal mit der Radiocarbonmethode datiert. Es ergibt sich ein Alter zwischen etwa 50.000 bis 42.000 Jahren vor heute. Die Schildkröten lebten somit während der Weichselkaltzeit, eine für Mitteleuropa unerwartete Datierung. Denn die in der Erde abgelegten Eier der Europäischen Sumpfschildkröte benötigen eine Temperatur von über 18 bis 20 Grad Celsius, damit die Jungtiere sich entwickeln können. Das sind Bedingungen, die sicher in den trockenen südosteuropäischen Steppen gegeben sind. Woher die Schildkrötenpanzerfragmente stammen, konnte bislang nicht geklärt werden. Es ist möglich, dass es sich um das ›Mitbringsel‹ eines frühen Menschen, zum Beispiel eines Neandertalers oder auch eines frühen anatomisch modernen Menschen auf dem Weg über die Balkanroute nach Mitteleuropa handelte. Die bereits erwähnten Feuersteingeräte belegen die Anwesenheit des Neandertalers im Bereich des heutigen Adamssees. 

Die Schildkrötenpanzer-Funde aus dem Adamssee sind beeindruckende Relikte, da sich die Schildkrötenverbreitung auf unserem Erdteil erst über das Holozän hinweg anhand von Zufallsfunden beim Torfabbau in Mooren und Grabungsfunden aufgrund der leicht erkennbaren Panzerfragmente deutlich verfolgen lässt. 

Die heutige Nord- und Westgrenze verläuft durch Zentralrussland, an der Nordgrenze Lettlands, entlang der Südküste der östlichen Ostsee, durch Polen von Nordwest nach Südost bis zu den Karpaten, schließlich am Nordrand der ungarischen Tiefebene und weiter westlich am Südrand der Alpen, durch das Kernland Frankreichs bis in den Norden der iberischen Halbinsel mit Ausnahme von Kantabrien und Asturien. Im holozänen Klimaoptimum zwischen 9000 und 5000 Jahren vor heute drangen die Schildkröten zeitweise sogar bis nach Südskandinavien vor; den postglazialen Vorstoß und den späteren Rückzug bis zur heutigen Verbreitungsgrenze kann man anhand datierter Funde aus den letzten Jahrtausenden offenbar ziemlich detailliert rekonstruieren (Abbildung 5).

Woher die Schildkrötenpanzer-Fragmente aus dem Adamsee genau stammen, kann vermutlich nur über die Untersuchung stabiler Isotope als Relikte der Nahrung beziehungsweise des vom Tier aufgenommenen Wassers für die Populationen in den verschiedenen Regionen und die genetische Analyse der Panzerreste erschlossen werden. 


Text: Uwe Beye, Ralf-Jürgen Prilloff, Thomas Weber
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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