Schlosskirche, Lutherstadt Wittenberg
Mai 2021
Die 1496 bis 1507 durch Konrad Pflüger erbaute ehemalige Kirche des kurfürstlich-sächsischen Residenzschlosses in Wittenberg diente außer ihrer liturgischen Funktion der Weisung des Wittenberger Heiltums und als Aula der 1502 gegründeten Universität. Mit dem überlieferten Thesenanschlag an der Kirchentür am 31. Oktober 1517 löste Martin Luther die Reformation aus. Schon seit der 1. Hälfte des 16. Jahrhunderts gilt die Kirche deshalb als authentischer Schauplatz der Reformationsgeschichte und als eine der wichtigsten Reformationsgedenkstätten. Nach Beschädigungen im Siebenjährigen Krieg 1760, bei der auch große Teile der Ausstattung einschließlich der originalen Thesentür verbrannten, und während der Befreiungskriege 1813/14 wurde die Schlosskirche von 1885 bis 1892 nach Entwürfen des Berliner Architekten Friedrich Adler, eines Schülers und früheren Mitarbeiters August Stülers, zur Ruhmeshalle der Reformation umgestaltet. Damit war sie eines der Hauptwerke des gründerzeitlichen Historismus und der zentrale Ort des staatsoffiziellen Reformationsgedenkens im wilhelminischen Kaiserreich. Seit 1996 ist die Schlosskirche Teil des UNESCO-Welterbes.
Die 1891/92 nach Entwürfen von Moritz Ehrlich und Willy Döring im Königlichen Glasmalerei-Institut Berlin (Charlottenburg) geschaffenen, intensiv farbigen Fenster nach mittelalterlichem Vorbild beeinflussen in entscheidendem Maß das Raumbild im Inneren der Kirche. Darüber hinaus haben sie wesentlichen Anteil an der Ikonographie des Gedenk- und Sakralraums. Gemalte Wappen erinnern an das Bekenntnis von 198 Städten des damaligen Heiligen Römischen Reichs zur Reformation. Die Verglasung der Wittenberger Schlosskirche gehört zu den wertvollsten Glasmalereiarbeiten des späten 19. Jahrhunderts in Deutschland.
Teile der Fenster wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört beziehungsweise beschädigt, andere nach 1950 ausgebaut und durch Klarglasscheiben ersetzt. Die drei original erhaltenen Chorfenster mit Motiven aus der Großen und Kleinen Holzschnittpassion Albrecht Dürers wurden schon nach 1960 restauriert. Dazu gehört auch die Darstellung des Pfingstwunders, die »Ausgießung des Heiligen Geistes«, im östlichen Polygonfenster, der der Holzschnitt aus der Kleinen Passion (um 1510) zugrunde liegt (Abbildung 1).
Seit 1991 wurden zwei weitere Fenster vor dem Chor auf der Grundlage des dokumentierten historischen Bestands wiederhergestellt. Im Rahmen der Generalsanierung der Schlosskirche 2011 bis 2016, die das Ziel verfolgte, den Bestand der künstlerisch sehr qualitätvollen und geschichtlich bedeutenden Adlerschen Umgestaltung von 1892 denkmalgerecht zu restaurieren, wurden – nachdem 2014 Reste der Originalscheiben aufgefunden worden waren – die fehlenden Teile der historischen Verglasung 2015 in der Glasmalereiwerkstatt Schneemelcher in Quedlinburg rekonstruiert (Abbildung 2).
Text: Mario Titze
Redaktion: Sabine Meinel, Uwe Steinecke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta