Taufe der Ottonen
Kulturminister Robra informiert sich über Untersuchungen in der Krypta der Stiftskirche St. Servatii zu Quedlinburg
11. März 2024
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»Es gibt vieles, was die UNESCO-Welterbestadt Quedlinburg einzigartig macht, nun kommt mit dem aufgedeckten Taufbeckenstandort aus dem 10. Jahrhundert ein weiteres Alleinstellungsmerkmal hinzu. Meine Anerkennung und mein Dank gelten all denen, die zu diesem außergewöhnlichen Erfolg beigetragen haben.« Das erklärte Staatsminister und Minister für Kultur Rainer Robra, der sich heute bei einem Besuch in der Krypta der Stiftskirche St. Servatii über den Fund des Taufbeckenstandorts informierte.
Mit ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte sind die Bauten auf dem Stiftsberg zu Quedlinburg weit über die Grenzen Sachsen-Anhalts hinaus von erheblicher Bedeutung, wie nicht zuletzt ihr Status als Weltkulturerbe der UNESCO belegt. Bei aktuellen archäologischen Untersuchungen in der Krypta der Stiftskirche konnte der Standort eines Taufbeckens identifiziert werden, bei dem es sich nicht nur um den ältesten Nachweis eines vierpassförmigen Taufbeckens nördlich der Alpen, sondern auch sehr wahrscheinlich um den Ort handelt, an dem verschiedene namhafte Mitglieder des Herrschergeschlechtes der Ottonen das Sakrament der Taufe empfingen.
Ein Taufbecken der Ottonenzeit
Im westlichen Bereich der Krypta der Quedlinburger Stiftskirche wurde bei archäologischen Untersuchungen in der Mittelachse des Raumes ein in den Sandstein geschlagener, etwa 0,5 Meter tiefer und 2,0 Meter breiter Vierpass aufgedeckt. Infolge gemeinsamer Untersuchungen von Archäologie, Bauforschung, Kunstgeschichte und Restaurierungswissenschaft mit Hilfe modernster Dokumentations- und Analysemethoden konnte dieser als Standort eines Taufbeckens identifiziert werden. Die Wände der Vertiefung, die im 10. Jahrhundert, aber vor dem Bau der Krypta angelegt wurde, waren aufwendig mit Stücken aus Hochbrandgips ausgekleidet, bei denen es sich um Fragmente eines vormaligen Fußbodens handelt. Diese Bettung nahm das Taufbecken auf, das sich selbst nicht erhalten hat, aber mutmaßlich aus hochwertigem Material bestand. Später, aber ebenfalls noch im 10. Jahrhundert wurde die Standfläche aus bislang noch unbekannten Gründen erhöht.
Von hoher kunst- und architekturgeschichtlicher Bedeutung ist die Tatsache, dass es sich bei diesem Befund um den ältesten Nachweis eines vierpassförmigen Taufbeckens nördlich der Alpen handelt. Daneben ist sein Standort auch entscheidend für die Rekonstruktion der Baugeschichte des Stiftsbergs. So muss es sich bei dem Raum, in dem das Taufbecken ursprünglich stand, um den Laienraum eines Sakralbaus gehandelt haben. Ausgeschlossen ist etwa, dass zu dieser Zeit an Ort und Stelle ein Palatium (repräsentativer Wohnbau) bestand. Das Taufbecken gehörte also zu einer Kirche und stammt überdies aus den ältesten Jahrzehnten der mittelalterlichen Geschichte des Stiftsbergs in der Ottonenzeit, über die bisher nur wenig bekannt ist.
Zwar werden Sterbeorte und -daten von Mitgliedern der herrschenden Familien in den zeitgenössischen Schriftquellen häufiger genannt, Angaben zur Taufe sind jedoch faktisch nicht überliefert. Damit handelt es sich bei dem vorliegenden archäologischen Befund zudem um ein ausgesprochen seltenes bauliches Zeugnis des im Christentum wichtigen Sakraments der Taufe, das die Hoffnung auf Erlösung verspricht. Getauft wurde gemäß römisch-germanischem Pontifikale im 10. Jahrhundert, anders als heute üblich, einmal im Jahr, am Karsamstag, als Kollektivtaufe von Säuglingen beziehungsweise Kleinkindern durch Untertauchen. Die Täuflinge wurden kreuzförmig, im vorliegenden Fall in Richtung der Vierpässe, in das Wasser getaucht, mit zunächst nach Osten, dann nach Norden und abschließend nach Süden gerichtetem Haupt. Dabei wurde die Taufformel »Ich taufe dich im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes« gesprochen. Die Zeremonie wurde bei Kerzenschein und Weihrauch durchgeführt und durch liturgische Gesänge und Litaneien begleitet. Einige Tage darauf, am Samstag vor dem Weißen Sonntag (dem ersten Sonntag nach Ostern), wurde das Taufkleid schließlich wieder abgelegt und das Wasser aus dem Becken abgelassen.
Denkbar ist, dass Herzog Heinrich I. von Bayern (geboren circa 922, gestorben 955), der seinem Bruder, König Otto dem Großen, in einem Anschlag im Jahr 941 zu Ostern in Quedlinburg nach dem Leben trachtete, am aufgedeckten Standort getauft wurde. Ebenso könnten hier Mathilde (geboren 955, gestorben 999), die Tochter von Kaiser Otto dem Großen und Kaiserin Adelheid und erste Äbtissin des Stiftes Quedlinburg, sowie Adelheid I. (geboren 977; gestorben 1044 in Quedlinburg), die folgende Äbtissin und Tochter des Kaiserpaars Ottos II. und der Byzantinerin Theophanu, an dieser Stelle das erste und grundlegende Sakrament empfangen haben.
Die Stiftskirche St.Servatii und ihre Krypta: kulturhistorischer Hintergrund und Stellenwert
Die St. Servatius geweihte Stiftskirche und das Schloss auf dem Stiftsberg zählen, ebenso wie die Altstadt, über der sie sich erheben, seit 1994 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Geschuldet ist dies der historischen Bedeutung sowie dem hochrangigen architektonischen Erbe der Stadt: Bereits zu Regierungszeiten Heinrichs I. aus dem Geschlecht der sächsischen Liudolfinger war Quedlinburg einer der Hauptorte der Herrscherdynastie der Ottonen, die durch Heinrichs I. Sohn, den ersten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Otto den Großen begründet wurde. Während es sich bei der heutigen Stiftskirche um einen Neubau des 11./12. Jahrhunderts handelt, geht die Bausubstanz in der Krypta, dem Zentrum für Heinrichs Totengedächtnis, teilweise noch ins 10. Jahrhundert zurück. Vollkommen einzigartig ist die sogenannte Confessio, ein hufeisenförmiger und ursprünglich überwölbter, eingetiefter Raum aus der Zeit um 962/964 am Ostende der Krypta, der mutmaßlich der Aufbewahrung bedeutender Reliquien in unmittelbarer Nähe des in der Krypta bestatteten Königspaares Heinrich I. (gestorben 936) und Mathilde (gestorben 961) diente.
Das Bemühen um die Sicherung, Bewahrung, Erforschung und Dokumentation der baulichen Substanz, des weltberühmten Domschatzes sowie im Untergrund erhaltener archäologischer Strukturen auf dem Stiftsberg verbindet die Welterbestadt Quedlinburg, die Evangelische Kirchengemeinde Quedlinburg sowie das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) in einer langjährigen engen und konstruktiven Zusammenarbeit. Aufgrund der außerordentlichen kunst- und kulturhistorischen Bedeutung der Stiftskirche stellt der wertvolle Bau insbesondere einen bedeutenden Schwerpunkt in der Arbeit der Bau- und Kunstdenkmalpflege am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt dar. Die Abteilung begleitet die Sanierung und Weiterentwicklung der Bauten auf dem Stiftsberg mit der fachlichen Expertise verschiedener Spezialdisziplinen sowie mit eigenen Projekten zur Erfassung, Erforschung und Dokumentation dieses weltberühmten Kulturerbes.
Mit der Wiederentdeckung des Taufbeckenstandortes aus dem 10. Jahrhundert gelang es nun dank der gemeinsamen Forschung der Bereiche Bauforschung und Archäologie, ein Fenster in die Zeit der frühesten baulichen Gestaltung des Stiftsberges und der für sie wichtigsten historischen Persönlichkeiten zu öffnen.
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