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Bedeutende Entdeckung bei archäologischen Ausgrabungen im Botanischen Garten

Verschollener Standort der Kirche des Klosters Neuwerk identifiziert

28. Mai 2020

Die folgende Presseinformation ist auch als PDF zum Herunterladen erhältlich.

Hintergrund

Unter der Projektleitung des Landesbetriebs Bau- und Liegenschaftsmanagement (LB BLSA) sollen im Botanischen Garten der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg (MLU) zwei Neubauten für das Institut für Geobotanik der MLU errichtet werden. Gemäß den Regelungen des Denkmalschutzgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt führte das Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA) seit 2019 an beiden Standorten archäologische Untersuchungen durch. Insgesamt wurden 583 Befunde freigelegt, knapp 30.000 Funde geborgen.

Von Juli bis November des letzten Jahres konnten im Bereich des geplanten Funktionsgebäudes auf einer Fläche von 475 Quadratmeter circa. 21 Bestattungen freigelegt werden. Sie gehörten zum Friedhof der Laurentiuskirche, der ursprünglich größer war als heute.

Deutlich fundreicher und auch von höherer wissenschaftlicher Relevanz erwies sich die circa 400 Quadratmeter große Grabungsfläche am Bauplatz des Herbariums. Hier nahm das LDA die Untersuchungen im März dieses Jahres wieder auf. Die Besiedlungsspuren reichen in diesem Bereich bis in die Späte Bronzezeit / Frühe Eisenzeit (circa 9./8. Jahrhundert vor Christus) zurück. Einzelne Pfosten- und Siedlungsgruben sowie die dazugehörigen Keramikfunde lassen auf eine dörfliche Ansiedlung von Salzwirkern schließen, deren Häuser Nordwest-Südost ausgerichtet waren. Für nachfolgende Perioden bis zum Mittelalter fehlen archäologische Zeugnisse. Frühmittelalterliche Keramikfunde deuten auf eine Wiederbesiedlung des Areals ab dem 10./11. Jahrhundert hin, bis schließlich 1116 das Kloster Neuwerk gegründet wurde.

Die wiederentdeckte Klosterkirche Neuwerk

In der Nordwest-Ecke des Grabungsschnittes erwartete die Archäologen eine Sensation. Unter Abbruchschichten des 16. Jhs. tauchten einzelne Steine eines Fundamentes auf, dessen Ausbruchsgrube sich weiterverfolgen und schließlich die südliche Seitenapsis und die Hauptapsis eines großen Kirchenbaus erkennen ließ. Sie können zweifelsfrei als die letzten verbliebenen Spuren der Kirche des Klosters Neuwerk identifiziert werden, deren Lage bislang näher an der Saale vermutet worden war.

Die landes- und kirchengeschichtliche Bedeutung des im Jahr 1116 in topographisch exklusiver Lage zwischen Halle und Giebichenstein gegründeten Augustinerstifts kann nicht hoch genug gewürdigt werden. Vermutlich waren es Augustinerchorherren aus dem damals zur Diözese Passau gehörigen Kloster Reichersberg, die sich auf dem Bergsporn oberhalb der Saale niederließen. Zur Kirchenweihe 1124 wurden dem Kloster die Reliquien des Heiligen Alexander übertragen. Es muss spätestens zu diesem Zeitpunkt baulich wie liturgisch etabliert gewesen sein. Bereits 1121 war das Augustiner-Chorherrenstift zum Neuen Werk mit privilegierten Markt- und Zollrechten ausgestattet und besaß umfangreichen Besitz an Land, Mühlen (Steinmühle) und Pfarrrechten. Die mit dem Bau des Klosters erfolgte Ansiedlung von Tagelöhnern und Handwerkern wurde zur nova villa erhoben und bekam nach 1194 (erst 1241 erwähnt) die in der Nähe zur Klosterkirche gelegene Pfarrkirche St. Laurentius. Der Ort an der strategisch singulären
Heer- und Handelsstraße, die über Burg Giebichenstein nach Magdeburg führte, entwickelte sich zur vorstädtischen Siedlung und späteren Amtsstadt Neumarkt, die jahrhundertelang wirtschaftlich stark mit Halle konkurrierte.

Der legendär reiche Besitz des Klosters, das 1184 als Moritzstift sogar ins hallesche
Stadtgebiet expandierte, ist aufgrund der historischen Quellenlage gut bekannt. Dagegen
ist seine Stellung als einflussreiches Archidiakonat im Erzstift Magdeburg und Ort
monastischer Gelehrsamkeit nur stiefmütterlich tradiert. Mit der spektakulären
Aufhebung des Klosters in der Reformationszeit gerieten wichtige Ereignisse der
Klostergeschichte in Vergessenheit, wie etwa die Heiligsprechung des 1144 verstorbenen
Probstes Lambert von Neuwerk, an dessen Grab es 1153 eine Wunderheilung gab.

Ausgelöst durch ihren Ordensbruder Martin Luther geriet das Kloster der
Augustinerchorherren in den Strudel der Reformation. Ab 1520 begann Kardinal Albrecht
von Brandenburg mit dem Bau eines neuen Stifts, das bereits 1523 geweiht wurde.
Zentrum des neuen Stifts war die heutige Domkirche zu Halle, auf sie sollte der Besitz des
Klosters Neuwerk übergehen. Das Neue Stift übernahm die Verwaltungs- und
Gerichtsfunktionen von Neuwerk, das dadurch in Bedeutungslosigkeit versank, 1528
wurde das Kloster an den Kardinal übergeben. Zu der Zeit befanden sich dort neben
Probst und Prior noch 20 Augustinerchorherren. 1530 wurde Neuwerk aufgelöst, die letzte
Messe am 24. August 1531 gesungen, und danach zunächst die Kirchen- sowie
Klausurgebäude abgetragen. Sämtliches Vermögen ging auf das Neue Stift über. Das
Abbruchmaterial der Klosterbauten kam dem Bau der Neuen Residenz am Neuen Stift
zugute, wobei einige exklusive Bauteile im Innern aufwändig als Spolien präsentiert
wurden.

Dennoch blieben Teile des Klosterareals erhalten, vor allem die Wirtschaftsgebäude bzw.
dementsprechend veränderte Klausurbereiche. Sie wurden vornehmlich zur späteren
Brauerei des Amtes Giebichenstein umgenutzt. Die letzten bekannten Reste verschwanden
– mit Ausnahme des Braukellers – erst mit der städtebaulichen Verdichtung ab Ende des
19. Jhs. Sämtliche Pläne und Ansichten zeigen uns lediglich die Situation nach dem
Abbruch der Sakralgebäude 1531 und führten somit zu Fehlinterpretationen.

Zur Kirche selbst ist nur sehr wenig überliefert. Aufgrund einer Siegeldarstellung ist von
einer viertürmigen romanischen Kirche auszugehen, mit Portal und rundbogigen
Fenstern. In der „Dreyhauptschen Chronik“ aus der Mitte des 18. Jhs. ist von Kapellen
sowie mehreren (Stiftungs-)Altären die Rede. Die Kubatur und Dimension von Kirche,
Klausur und Wirtschaftsgebäude ist nicht bekannt, dürfte aber beeindruckend gewesen
sein.

Angesichts der historischen Bedeutung des Klosters Neuwerk, das bis zu seinem
Niedergang in der Reformationszeit das mächtigste Kloster im Süden des Erzbistums
Magdeburg war, kann die Wiederentdeckung des Kirchenstandortes als
bauarchäologische Sensation von mehr als stadtgeschichtlicher Relevanz gewertet
werden.

Der mittelalterliche Friedhof

Vor allem östlich der Hauptapsis der Klosterkirche wurden 117 Bestattungen von Männern, Frauen und Kindern freigelegt. Sie datieren ins Hoch- und Spätmittelalter. In einem Grab lagen in der Beckengegend mehrere Münzen, bei denen es sich um Brakteaten Herzog Bernhards von Sachsen-Wittenberg aus der Zeit zwischen 1183 und 1212 handelt. Hervorzuheben ist ferner eine Bestattung in unmittelbarer Nähe der Seitenapsis mit einem stark korrodierten Eisenobjekt in der Herzgegend. Ein Kindergrab enthielt zudem neben dem Kopf ein zusammengefaltetes Bleitäfelchen mit Inschrift. Gemäß mittelalterlichem Volksglauben besaß Blei magisch heilende Kräfte, christliche Beschwörungstexte sollten Unheil abwehren.

Kontakt

Dr. Alfred Reichenberger
Stellvertretender Landesarchäologe, Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
+49 345 5247-312
areichenberger@lda.stk.sachsen-anhalt.de

Bildrechte der Pressefotos

Die Bildrechte an den Aufnahmen werden ausschließlich und einmalig für eine Publikation im Zusammenhang mit dem Pressetermin erteilt. Jegliche Wiederverwendung oder Neuauflage ist vorab schriftlich zu beantragen. Eine anderweitige Verwendung ist nicht gestattet. Die Bildrechte liegen, soweit nicht anders angegeben, beim Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt. Das Copyright ist stets vollständig und korrekt anzugeben. Wir bitten um ein kostenloses Belegexemplar der Veröffentlichung.

Auf Wunsch schicken wir Ihnen die Bilder gern zu. Bitte wenden Sie sich, auch bei weiteren Fragen, telefonisch an +49 345 5247-384 oder per E-Mail unter oeffentlichkeitsarbeit@lda.stk.sachsen-anhalt.de.

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