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Kaufhaus Ramelow, Breite Straße 20/21, Stendal

Januar 2019

Das wie mit breitem Reklamepinsel Ton in Ton gemalte Blockstreifenmuster erinnert an Bauhaus-Vorkurs-Arbeiten (Abbildung 1). Es ist ein beispielhafter Ausschnitt der opaken Fensterverglasung des repräsentativen Treppenaufgangs im Stendaler Kaufhaus Ramelow, das 1929/30 erbaut wurde. Der Neubau nach Entwurf des Berliner Architekten Fritz Ebhardt entstand zur Erweiterung einer Filiale der Firma Gustav Ramelow. Dessen erstes Kaufhaus in Stendal war 1906 auf dem Grundstück Breite Straße 21 gegründet worden. Nachdem das benachbarte »Hotel zum Schwan« abgebrannt war, erlangte das Kaufhaus um diese Parzelle erweitert die städtebaulich prominente Ecksituation an der nördlichen Raumkante des Winckelmannplatzes.

Das für die Gattung spät entstandene Warenhaus nimmt innerhalb Stendals sowie in der Altmark typologisch und stilistisch eine Sonderstellung ein. Der ummauerte Stahlskelettbau ist in Stendal ein frühes Beispiel dieser Bauweise und gleichzeitig ein expressionistischer Gegenentwurf zur platzbeherrschenden Backsteingotik. Die elegante Abrundung der Gebäudeecke des drei- bis viergeschossigen Warenhauses wirkt wie ein Echo auf den polygonalen Chorschluss der Hallenkirche St. Marien schräg gegenüber. Vor die bandartig befensterte Kaufhausfassade gestellte, gestaffelte Pfeilerbündel erinnern an das Anzeiger-Hochhaus (1927/28 erbaut) in Hannover, sind in Stendal aber nicht ziegelsichtig geblieben, sondern verputzt und scharriert. Im Inneren sind zwei Lichthöfe mit dem dazugehörigen Galeriesystem sowie der in Material und Verarbeitung hochwertige Treppenaufgang mit seitlichen Schaufenstervitrinen und Farblichtfenstern des damals führenden deutschen Herstellers von Glasmosaiken und Glasmalereien erhalten. In der Fensterfront auf dem mittleren Treppenabsatz ist in der untersten Scheibe der rechten Fensterbahn die Inschrift »Puhl-Wagner-Heinersdorff … Berlin 1930« in das Blockstreifenmuster integriert. Die 1889 in Berlin-Neukölln gegründete Firma Puhl & Wagner mit eigener Glashütte konnte sich nach Fusion mit dem der Reformbewegung Deutscher Werkbund nahestehenden Gottfried Heinersdorff künstlerisch erneuern. Dessen Glaskunstwerkstatt mit Kunsthandel war 1875 vom Vater Paul Gerhard Heinersdorff in Berlin gegründet worden. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg erlangte Gottfried Heinersdorff überregionale Anerkennung als innovativer Glaskünstler mit besten Verbindungen zur Avantgarde. So kam es nach dem Verlust der Glaswerkstatt des Bauhauses 1923 zu einer künstlerisch fruchtbaren Zusammenarbeit von Josef Albers mit den Berliner Vereinigten Werkstätten.

Die auf drei Geschossen übereinander angeordneten, fünfbahnigen Fensterfronten sind aus Holzrahmen mit Oberlicht- und Quersprossengliederung konstruiert, welche das Grundraster der streng geometrischen Komposition ergeben (Abbildung 2). Die Glasfelder sind mit elf Millimeter breiten Bleistegen horizontal in regelmäßige Streifen aufgeteilt, die abwechselnd aus beigem und geätzt weißem Überfangglas mit hochglanzpoliert eingeschliffenen Kehlstreifen und Emaillebemalung bestehen. In der Fensterfront des obersten Treppenabsatzes sind mit vertikalen sieben Millimeter Bleistegen regelmäßig links- und rechtsbündig die Quadrate für die in Emaille aufgestrichenen Querstreifen abgeteilt, während in den Fenstern des ersten und zweiten Treppenabsatzes die Blockstreifenquadrate abwechselnd links- und rechtsbündig mit Bleisteg gerahmt sind, sodass eine offenere Struktur mit nach rechts aufsteigender Richtung erzeugt wird. Diese dem Treppenaufgang entsprechende Bewegung wird mit den abwechselnd erd- und ziegelfarbigen Emailleflächen in den Quadraten verstärkt. Mit Farb- und Lichtlinien sowie opak feinabgestuften Flächen in Orange- und Braunstufen ergibt sich ein warmtonig indirekter Tageslichteffekt, der störende Ausblicke auf das Quartier und die Anlieferzone ausblendet. Als Vorbilder können die Albers-Fenster des Ullstein-Druckhauses in Berlin-Tempelhof sowie des Grassi-Museums in Leipzig (beide 1927) gelten. Im Gegensatz zu jenen blieben die Stendaler Fenster unversehrt erhalten (dank langjähriger Schutzabdeckung durch Werbetafeln bis zur Wiederentdeckung) und sind als authentisches Zeugnis der Entwicklung glaskünstlerischen Gestaltens im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts von überregional besonderem kulturell-künstlerischem Wert, zumal sie in Stendal den mittelalterlichen Glasfenstern in St. Nikolai und St. Jakobi zur Seite gestellt sind.

Text: Luise Schier
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta

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