Stadtpark Tangerhütte
Dezember 2020
1842 gründeten der Hannoversche Hüttenbeamte Friedrich Adolph Kayser und die Magdeburger Kaufleute Johann Jacob Wagenführ und Christian Albert Helmecke in Vaethen die »Tangerhütte«, um den in dieser Gegend anstehenden Raseneisenstein industriell auszubeuten. Ab 1851 war Wagenführ der alleinige Betreiber. Offensichtlich expandierte die Fabrik so stark, dass ihr Besitzer bereits 1873/74 ein standesgemäßes Wohnhaus errichten ließ, das wegen seiner Größe landläufig als das »Alte Schloss« bezeichnet wird. Zeitgenössische Abbildungen überliefern, dass sich östlich und westlich davon streng formal gestaltete Gartenpartien befanden. Parallel zur Gestaltung dieser Partien begannen die Arbeiten am eigentlichen Landschaftspark, der unmittelbar an die bereits beschriebenen Bereiche angrenzte. Ein dichter Gehölzgürtel rahmte die Parkanlage. Davor befanden sich zahlreiche Kleinarchitekturen und Plastiken, deren räumliche Wirkung durch den geschlossenen Hintergrund verstärkt wurde. In den beiden künstlich geschaffenen Teichen, insbesondere im Schwanenteich, dessen wohlgeformte geschwungene Uferlinie sich harmonisch in die umgebende Parklandschaft einfügte, spiegelten sich die Gehölzgruppen und die angrenzenden Wiesen. Eine weitere Besonderheit des Parks entstand mit der Anlage des Wasserfalls, für dessen Funktionsfähigkeit man einen künstlichen Hügel aufschüttete. Das für den Parkbesucher unverhoffte Bild eines hinter Gehölzen geschickt versteckten Gebirgsmotivs in einer ansonsten überwiegend flachen Region zählt zu den gartenkünstlerischen Höhepunkten des Parks (Abbildung 1).
Während der ersten Gestaltungsphase (circa 1873 bis 1909) des Landschaftsparks gelangte man am Schwanenteich vorbei in das südöstlich gelegene Areal. Langgestreckte Sichtachsen führten über Wiesen- und Wasserflächen hinweg auf die Alte Villa bzw. am Wasserfall vorbei auf das 1883 für den verstorbenen Franz von Wagenführ durch den Berliner Architekten Otto March errichtete Mausoleum. Das harmonische Miteinander von Wegeführung, Bodenmodulation, Sichtbeziehungen zu ausgewählten Höhepunkten pflanzlicher oder architektonischer Art, rahmenden Gehölzkulissen und weiten Wiesenräumen ließ viele Gartenbilder entstehen. Durch das geschickte Ausnutzen des durch die naturräumlichen Verhältnisse begrenzten Terrains erschien der Park bereits in dieser Gestaltungsphase weiträumiger als er in der Realität war.
1889 heiratete die verwitwete Frau von Wagenführ Ferdinand Rudolf Curt von Armin, der fortan die Leitung der Eisenhütte übernahm. Im selben Jahr wurde ein in der Tangerhütte hergestellter gusseiserner Pavillon auf der Pariser Weltausstellung gezeigt. Danach stellte man ihn im Park am Ufer des Schwanenteiches auf (Abbildung 2). Die Kataloge der Tangerhütte enthalten zahlreiche Abbildungen von Garteninventar wie Bänke, Pergolen, Blumensäulen und Lampen. Im Park befanden sich viele dieser Musterstücke. Am Schwanenteich errichtete man eine gusseiserne Pergola beidseitig gesäumt von Bäumen mit einer hängenden Wuchsform. Das Mausoleum umgab eine formale Gartenpartie mit symmetrisch angeordneten Blumensäulen aus Zementguss, vielfach als Pergola bezeichnet. Mit der Errichtung der Neuen Villa in den Jahren 1909 bis 1911 erweiterte man den Park in Richtung Süden. Ähnlich der Situation an der Alten Villa entstand ein großzügig gestaltetes formales Gartenparterre, das beidseitig durch eine geschnittene Hainbuchenhecke begrenzt wurde. Im Anschluss daran entstanden zwei dicht mit Gehölzen bepflanzte Waldpartien, die das lichte Parterre rahmten. Eine gestalterische Besonderheit stellt das sogenannte Vasenrondell dar, das sich westlich der Neuen Villa im Gehölzbestand befindet. Die beiden Villen der Familie von Wagenführ beziehungsweise von Armin standen untereinander in keiner sichtbaren räumlichen Beziehung. Nach der 1945 erfolgten Enteignung der Familie von Armin wurden die beiden Villen und der Park mehrfach umgenutzt. Der Park Tangerhütte zählt als Gartenkunstwerk zu den herausragenden Beispielen eines Industriellenparks in Mitteldeutschland, der hinsichtlich seiner gartenkünstlerischen Qualität, seines Umfangs, seiner Entstehungszeit und der gesellschaftlichen Stellung seines Initiators von besonderer Bedeutung ist.
Text: Heike Tenzer
Redaktion: Sabine Meinel, Uwe Steinecke
Online-Redaktion: Anja Lochner-Rechta