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Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn

Eröffnung der Sonderausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale)

15. Dezember 2022

Die folgende Presseinformation ist auch als PDF zum Herunterladen erhältlich.

Die Sonderausstellung ›Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn‹ (16. Dezember 2022 bis 25. Juni 2023), die am heutigen Abend im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) eröffnet wird, widmet sich den bedeutenden Reichen der Reiternomaden deutschlandweit erstmals in vergleichender Perspektive. Anhand einer großen Bandbreite an originalen Funden werden vom 16. Dezember 2022 bis zum 25. Juni 2023 die Grundzüge reiternomadischer Kultur, die Parallelen und Unterschiede der aufeinanderfolgenden Völkerverbünde der Hunnen, Awaren und Ungarn sowie die Beziehungen zu ihren Nachbarn vorgestellt. Die Welt des frühen Mittelalters vom 5. bis zum 10. Jahrhundert erscheint in einer neuen Perspektive, die auch aufzeigt, wie die Reiternomaden die kulturelle Entwicklung Europas prägten.

Reiternomadische Reiche gab es nicht nur in den fernen Steppengebieten Asiens, sondern auch in Mitteleuropa, in den Ausläufern der eurasischen Steppenzone im Karpatenbecken und an der unteren Donau. Von dort aus drangen ihre Krieger zeitweilig bis weit nach Mittel- und Westeuropa sowie nach Südosteuropa vor. Auch das heutige Mitteldeutschland wurde im Frühmittelalter von Auseinandersetzungen mit den nomadischen Gruppen nicht verschont. Bis heute hält sich das Bild von den wilden Reiterhorden aus dem Osten. Doch die Steppennomaden waren nicht nur zähe Krieger. Als Händler und Hirten hatten sie Moden, Bräuche und Technologien im Gepäck. In Europa machten Klima, Bodengüte und Bewaldung eine weiträumige Wanderweidewirtschaft unnötig, weshalb viele Nomaden sesshaft wurden. Die Viehzucht blieb ihnen wichtig, doch zuletzt unterschieden sie sich kaum noch von ihren Nachbarn. Allein die wehrhafte Oberschicht pflegte die Traditionen der Steppe noch länger.

Die Sonderausstellung ›Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn‹ führt auf etwa 620 Quadratmetern Fläche und anhand reichen archäologischen Fundmaterials in die reiternomadischen Reiche der Völkerwanderungszeit und des frühen Mittelalters ein. Deutschlandweit erstmals werden die großen Reitervölker der Hunnen (4./5. Jahrhundert), Awaren (6. bis 8. Jahrhundert) und Ungarn (9./10. Jahrhundert), die die Entwicklung und Geschichte Europas bis weit ins Mittelalter hinein prägten, in vergleichender Perspektive und unter Einbezug der kulturellen Beziehungen zu ihren Nachbarn – Germanen, Rom, Byzanz – betrachtet. Möglich wurde dies durch die großzügige Unterstützung von 30 Museen und Sammlungen aus sechs Ländern (Österreich, Tschechien, Ungarn, Polen, Slowakei und Deutschland), die dem Landesmuseum für Vorgeschichte über 420 Exponate als Leihgaben zur Verfügung stellten. Entwickelt wurde die Ausstellung in enger Kooperation mit der Schallaburg Kulturbetriebsgesellschaft m.b.H. (Niederösterreich). Unterstützender Partner ist das Kunsthistorische Museum Wien (KHM-Museumverband Wien).

Von April bis November 2022 war die Ausstellung unter dem Titel ›Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Bulgaren, Ungarn‹ auch auf der Schallaburg zu sehen. Für die Präsentation in Halle wurde sie in verschiedenerlei Hinsicht modifiziert. So wurde ausschließlich für die hiesige Präsentation ein Ausstellungsbereich konzipiert, der die Spuren von Steppennomaden in Mitteldeutschland in den Blick nimmt. Hier wird aufgezeigt, dass der Kontakt zu den Steppenvölkern – angefangen bei Kimmeriern (um 900 vor Christus) und Skythen (7. bis 5. Jahrhundert vor Christus) bis hin zu den Reiternomaden des frühen Mittelalters – die mitteldeutsche Geschichte entscheidend prägte.

Daneben sind Ausstellungsarchitektur und Gestaltung, die wieder dem preisgekrönten Fotografen und Szenografen Juraj Lipták verdankt wird, wie üblich auf die Räumlichkeiten und ästhetischen Ansprüche des Landesmuseums zugeschnitten. Im Zentrum der das Atrium des Landesmuseums beherrschenden Zentralinstallation, vom halleschen Designer Klaus Pockrandt nach der Idee Liptáks umgesetzt, stehen fünf Gefäße aus dem Goldschatz von Sânnicolau Mare/Nagyszentmiklós aus dem 8. Jahrhundert, einem der bedeutendsten Fundkomplexe der Awarenzeit. Die Motive, die die prächtigen Schalen, Kannen und Becher zieren, stammen aus der Bilderwelt des Mittelmeerraumes. Der Herstellungsort des edlen Tafelgeschirrs, das einem awarischen Fürsten gehört haben dürfte, ist wohl in Byzanz zu suchen. Die im Atrium errichtete Schatzkammer, die diesen Gefäßen sowie weiteren Prestigeobjekten aus hunnischen, awarischen und ungarischen Befunden einen angemessenen Rahmen bietet, deutet in ihrer Form das Rund der typischen steppennomadischen Behausung – der zeltartigen Jurte – an. Hinterleuchtete Bildwände mit verfremdeten, erst auf den zweiten Blick erkennbaren Darstellungen heranstürmender Reiter greifen die Farbenpracht auf, die noch von heutigen Steppennomaden bekannt und auch für die Textilien der Reitervölker der Vergangenheit vorauszusetzen ist. Zudem lenken sie den Blick der Besucherinnen und Besucher auf die lebensechte Rekonstruktion eines awarischen Reiterkriegers, eine Leihgabe des Déri Múzeum in Debrecen (Ungarn), die erstmals außerhalb Ungarns zu sehen ist. Der Krieger, dessen Grab 2017 bei Derecske (Ungarn) ausgegraben wurde, war im 7. Jahrhundert in voller Rüstung und begleitet durch sein aufgezäumtes Pferd beigesetzt worden. Seine Entdeckung stellt einen Glücksfall für die Archäologie dar, die insbesondere in dem vollständig erhaltenen Lamellenpanzer aus mehr als 500 rechteckigen Eisenplatten einen spektakulären und einzigartigen Fund bereithielt: Es handelt sich um die einzige bekannte vollständig rekonstruierbare Rüstung aus der Awarenzeit.

Zu den weiteren Highlights der Ausstellung zählen die Funde aus der Bestattung der sogenannten Herrin von Untersiebenbrunn, der hunnenzeitlichen Bestattung einer jungen Frau aus dem ersten Drittel des 5. Jahrhunderts. Ihre reichen Grabbeigaben kennzeichnen sie als Mitglied der Spitzengruppe ihrer Gesellschaft und gehen auf unterschiedliche Kulturtraditionen zurück: Sie vereinen Reitzubehör und einen zerbrochenen Metallspiegel reiternomadischer Tradition mit germanischen Fibeln und Kämmen, spätrömischem Toilettbesteck und Trinkgeschirr und orientalischem Schmuck.

Als Mitglied der awarischen Elite zeichnen seine Grabbeigaben den Bestatteten aus dem sogenannten Fürstengrab von Kunbábony aus der Mitte des 7. Jahrhunderts aus. Das mit Goldmanschetten auf seiner Scheide prächtig verzierte Schwert, goldene Armreifen und die Goldbeschläge seines Waffengürtels sind Zeichen seiner hohen gesellschaftlichen Stellung. Der Waffengürtel, an dem Köcher, Schwert, Messer und Beutel befestigt waren, galt als eines der höchsten Rangabzeichen innerhalb der reiternomadischen Welt Eurasiens. Zusätzlich wurden Ziergürtel mit herabhängenden Riemen getragen, deren Schnallen und Beschläge in wertvollen Materialien ausgeführt waren. Im Falle des ›Fürsten‹ von Kunbábony wurden etliche Stücke des Gürtelzierats wie auch Ohr- und Fingerringe in byzantinischen Werkstätten angefertigt. Bemerkenswert ist daneben insbesondere das Trinkhorn mit abgewinkeltem Schaft, das zeremonielles Trinkgefäß und Würdezeichen zugleich war und beispielsweise bei diplomatischen Anlässen Verwendung fand. Anhand von Beschlägen und Verschlussresten lässt sich ferner ein goldbesetzter Pfeilköcher rekonstruieren, der nicht nur das Kriegertum, sondern auch die Feldherrenmacht des Bestatteten symbolisierte.

Neben den beispielhaft präsentierten Bestattungen von Mitgliedern der gesellschaftlichen Elite zur Zeit der Hunnen, Awaren und Ungarn sind weitere Teile der Ausstellung thematisch bestimmten Komplexen wie der Bewaffnung, der Wirtschaft, den Kulten und der Landnahme der Reiternomaden gewidmet. Einen besonders wichtigen Aspekt stellt dabei das Thema ›Mensch und Pferd‹ dar. So waren es wohl die eurasischen Steppennomaden, die im 3. Jahrtausend vor Christus erstmals Pferde domestizierten. Bis heute spielt das Pferd im Leben der Steppenvölker eine entscheidende Rolle. Nicht selten war es daher Brauch, dass ein Pferd seinen Reiter nach dessen Tod ins Jenseits begleitete. Die Awaren brachten im 7. Jahrhundert erstmals den Steigbügel nach Europa, eine Innovation, die die Reiterei revolutionierte und für Jahrhunderte beeinflusste.

Das jüngste der hier präsentierten Reitervölker, die Ungarn, suchte nach der vernichtenden Niederlage gegen Otto I. der Große im Jahr 955 vermehrt die politische und kulturelle Anbindung an den Westen. Mit der Umwandlung Ungarns in ein christliches Königreich westlichen Vorbilds durch König Stephan I. endete die Ära der Reiternomaden in Europa. Sinnbildlich hierfür steht als chronologischer Schlusspunkt der Ausstellung die Nachbildung der ›Heiligen Krone Ungarns‹. Diese sogenannte Stephanskrone wurde in mehreren Phasen zwischen dem 11. und 13. Jahrhundert hergestellt, nachdem die ursprüngliche Krone Stephans verlorengegangen war, und gilt als Symbol der Geburt des europäisch geprägten christlichen ungarischen Staates.

Die Sonderausstellung ›Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn‹ wird durch ein umfangreiches Veranstaltungsprogramm begleitet. Pünktlich zur Eröffnung erscheint ferner ein umfangreicher Begleitband, der im Museumsshop des Landesmuseums, über den Archäologischen Fachverlag Beier & Beran sowie im Buchhandel erhältlich ist.

Begleitband

Reiternomaden in Europa – Hunnen, Awaren, Ungarn. Begleitband zur Sonderausstellung vom 16. Dezember 2022 bis zum 25. Juni 2023 im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle (Saale) (Halle [Saale] 2022).

Herausgegeben von Harald Meller, Falko Daim und Thomas Puttkammer.

Format: 24,4 mal 29,9 Zentimeter.
Umfang: 296 Seiten mit zahlreichen farbigen Abbildungen.
ISBN: 978-3-948618-45-2.

Preis: 35,90 €.

Öffnungszeiten des Landesmuseums für Vorgeschichte

Dienstag bis Freitag: 9.00 bis 17.00 Uhr.

Samstag, Sonntag und Feiertage: 10.00 bis 18.00 Uhr.

Montag: nur nach Voranmeldung (Gruppen, Führungen).

Jedes Jahr jeweils am 24. Dezember und am 31. Dezember geschlossen.

Am 2. Weihnachtsfeiertag – Montag, den 26. Dezember 2022 – von 10.00 bis 18.00 Uhr geöffnet.

Eintrittspreise

Erwachsene: 12,00 €.
Ermäßigt: 9,00 €.
Kinder/Jugendliche (6 bis 18 Jahre): 3,00 €.
Kinder (0 bis 5 Jahre): freier Eintritt.

Weitere Eintrittspreise (zum Beispiel Gruppen, Schulklassen, Familien- oder Jahreskarten) finden Sie bei den Besuchsinformationen des Landesmuseums.

Die Ausstellung ist ein Kooperationsprojekt mit der Schallaburg Kulturbetriebsges. mbH, Schallaburg (Österreich).

Unterstützender Partner: KHM Museumsverband, Wien.

Kontakt

Dr. Alfred Reichenberger
Stellvertretender Landesarchäologe, Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
+49 345 5247-312
areichenberger@lda.stk.sachsen-anhalt.de

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