Braunkohle und Industriekultur im Fokus
BKM-gefördertes Projekt widmet sich ganzheitlicher Bestandserfassung der bergbaubedingten Kulturlandschaft des Industriezeitalters im Mitteldeutschen Revier
16. März 2022
Die folgende Presseinformation ist auch als PDF zum Herunterladen erhältlich.
Gefördert durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvGK) wird am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie (LDA) Sachsen-Anhalt ein umfassendes und interdisziplinäres Projekt zur Bestandserfassung von Zeugnissen der Braunkohlegewinnung und -verarbeitung im Mitteldeutschen Revier realisiert. Im Fokus steht die in ihrer Vielfalt und Denkmaldichte deutschlandweit herausragende bergbaubedingte Kulturlandschaft, deren Zeugnisse in ihrem Bestand erfasst und bewertet werden sollen.
Zu Sachsen-Anhalts außergewöhnlich reichem kulturellen Erbe zählt auch die deutschlandweit herausragende bergbaubedingte Kulturlandschaft dieses Bundeslandes. Dessen weit zurückreichende, bedeutende Wirtschafts- und Industriegeschichte brachte zahlreiche herausragende technisch-wirtschaftliche Innovationen hervor und spiegelt sich noch heute im Baubestand, etwa in Form von Industrie- oder Infrastrukturanlagen, aber auch darüber hinaus in Zeugnissen der materiellen Kultur wider. Diese vielfältigen Hinterlassenschaften, vom Prägebrikett bis zum Großkraftwerk, stehen seit dem 1. Juni 2021 im Fokus eines interdisziplinären Projektes zur Bestandserfassung von Zeugnissen der Braunkohlegewinnung und -verarbeitung am Landesamt für Denkmalpflege und Archäologie Sachsen-Anhalt (LDA). Es kann dank der finanziellen Unterstützung der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) in Höhe von bis zu rund 1,6 Millionen Euro im Rahmen des Investitionsgesetzes Kohleregionen (InvGK) umgesetzt werden.
Vergleichbare Projekte werden in demselben Förderprogramm Industriekultur auch in den entsprechenden Braunkohlerevieren der Länder Brandenburg, Sachsen und Nordrhein-Westfalen durchgeführt, wobei die Erfassung im Mitteldeutschen Revier in enger Kooperation mit dem Freistaat Sachsen erfolgt, der mit dem Landkreis Leipzig, der Stadt Leipzig und dem Landkreis Nordsachsen ebenfalls in diesem Braunkohlegebiet verortet ist. Allen Bundesländern gemeinsam ist das Ziel einer umfassenden Bestandsaufnahme und -bewertung der materiellen und immateriellen Zeugnisse, die ihre bergbaubedingten Kulturlandschaften und Industriekultur prägen. Der im deutschlandweiten Vergleich außergewöhnlichen Dichte und Vielfalt der zu berücksichtigenden Denkmale und Zeugnisse in Sachsen-Anhalt entsprechend, verfolgt das LDA im Hinblick auf die Zusammensetzung des Projektteams allerdings einen einzigartigen interdisziplinären Ansatz. Anders als in den anderen Bundesländern, mit denen ein enger fachlicher Austausch besteht, sind innerhalb des eigens eingesetzten siebenköpfigen Teams die Fachbereiche Bau- und Kunstdenkmalpflege und Archäologie mit jeweils drei Kolleginnen und Kollegen zu gleichen Teilen vertreten. Hinzu kommt ein Spezialist für Geoinformatik. So wird im Rahmen des Projektes auch erstmals eine montanarchäologische Landesaufnahme der Bergbaugeschichte durchgeführt. Ihr Gegenstand sind die oberirdisch oft nicht auf den ersten Blick wahrnehmbaren Hinterlassenschaften, wie beispielsweise die älteren, in der Landschaft in aller Regel nur schwer erkennbaren Gruben, die nichtsdestotrotz in hoher Dichte erhalten sind und teils über mehrere Jahrhunderte zurückgehen, mithin die lange, bis ins Mittelalter zurückreichende Bergbaugeschichte der Region bezeugen.
Darüber hinaus nimmt das Projekt all jene oberirdisch sichtbaren Kulturzeugnisse in den Blick, die direkt oder mittelbar auf den Braunkohleabbau zurückzuführen sind. Hierzu gehören Zeugnisse der Energiewirtschaft, der chemischen und der Zuckerindustrie, aber auch Ziegeleien und Maschinenfabriken sowie industrielle Infrastrukturelemente wie Straßen, Brücken, Schienen und Bahnhöfe oder Umspannwerke. Hinzu kommen (Werks-) Siedlungen, Verwaltungs-, Versorgungs- und Kulturgebäude, die mit der Braunkohleförderung und Energiegewinnung in Zusammenhang stehen. Das Spektrum reicht beispielsweise von komplexen Industrieanlagen wie der Brikettfabrik Herrmannschacht in Zeitz, der ältesten Brikettfabrik der Welt mit historischem Maschinenbestand von 1888, über profane und sakrale Bauwerke, wie etwa die ehemalige Bergmannskirche von Deuben von 1907/08 mit ihrem einen Bergmann darstellenden Bleiglasfenster, bis hin zu Grab- und Gedenksteinen. Ein besonderer, weltweit einzigartiger und bis heute fortlebender Aspekt des bergbaubedingten Kulturerbes in Sachsen-Anhalt ist die Tradition der Schmuck- und Prägebriketts.
In geographischer Hinsicht bildet der auf dem Gebiet Sachsen-Anhalts liegende Bereich des Mitteldeutschen Braunkohlereviers mit den Landkreisen Anhalt-Bitterfeld und Mansfeld-Südharz, dem Burgenlandkreis, dem Saalekreis sowie der kreisfreien Stadt Halle (Saale) den Gegenstand der Untersuchungen.
Den Ausgangspunkt der Betrachtungen bilden rund 1.300 Objekte, die mittels einer Pilotstudie im Vorfeld des Projekts ermittelt wurden. Seit dem Projektstart wird dieser Bestand im Detail analysiert, aber auch weitere bisher unbekannte relevante Objekte ausfindig gemacht und dokumentiert. Eine Grundlage hierfür bilden Grubennamen, Wegweiser oder auch überformte, jedoch noch in ihrer Gebäudesubstanz vorhandene Revier- oder Grubenhäuser als Überreste alter Gruben. Neben der Recherche und Akteneinsicht in Archiven und Bibliotheken besteht eine weitere wesentliche Quelle in den vorhandenen Karten der Preußischen Landesaufnahme von 1852 bis 1854 sowie den Historischen Meßtischblättern von 1904 bis 1908. Mit ihrer Hilfe lassen sich weitere Relikte der industriellen Bergbaugeschichte, von Transport- und Verkehrswegen, Zulieferindustrie und Rohstoffgewinnung identifizieren, die sich meist noch unerkannt im Gelände befinden. Wertvolle Impulse ergeben sich ferner aus dem Kontakt und dem Austausch mit regionalen Akteuren, wie Heimatvereinen, Ortschronisten, Bürgermeistern, Initiativen und Betrieben. Auf diese Weise ließ sich etwa für das Zeitz-Weißenfelser Braunkohlenrevier (Burgenlandkreis) seit dem Projektstart die Anzahl der erfassten Objekte mit Bezug zu Braunkohleabbau und -verarbeitung von etwa 75 um weit über 100 deutlich erhöhen.
Das Hauptanliegen des Projektes ist es, unmittelbar oder mittelbar mit dem Bergbau verknüpfte industriekulturelle Zeugnisse zu erfassen und zu dokumentieren und so die Geschichten, die sie erzählen, für nachfolgende Generationen zu bewahren. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Sichtbarmachung von Querverbindungen und übergreifenden Zusammenhängen. So kann anhand zahlreicher Beispiele die enge Verknüpfung zwischen Kulturzeugnissen aufgezeigt werden, die für sich genommen Einzelaspekte der Industrie-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte repräsentieren, zusammen aber ein dichtes Bild der außergewöhnlichen Bedeutung und Innovationskraft der Region in der Zeit seit der Industrialisierung zeichnen. Die Erfassung kann gleichfalls einen Beitrag dazu leisten, ein größeres Bewusstsein hierfür, aber auch für die Leistungen im Zusammenhang mit den Deindustrialisierungsprozessen und dem Strukturwandel der jüngeren Vergangenheit zu schaffen. Gleichzeitig soll die umfassende Erfassung und Bewertung der Zeugnisse der bergbaubedingten Kulturlandschaft und Industriekultur in Sachsen-Anhalt eine Grundlage dafür bilden, herausragende Industriegebäude und -anlagen dieses einzigartigen und identitätsstiftenden kulturellen Erbes zu erhalten und zu lebendigen Kulturdenkmälern umzugestalten. Die Bestandserfassung läuft noch bis Ende 2023. Ihre Ergebnisse werden in eine Projektdatenbank einfließen und auch publiziert.
Kontakt
Dr. Alfred Reichenberger
Stellvertretender Landesarchäologe, Pressesprecher und Leiter der Öffentlichkeitsarbeit
+49 345 5247-312
areichenberger@lda.stk.sachsen-anhalt.de
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